Re: Hafenviertel | Im Kerker von Nowigrad
Verfasst: Freitag 6. Januar 2023, 13:18
Ein unangenehmes Summen erzwang Aevnes Aufmerksamkeit. Ein Rauschen...Flüstern...Zwicken und Jucken, dem man unbedingt nachgehen wollte.
Sie hatte den Lärm gehört, die Stimmen. War an die Tür ihrer Zelle gestürzt, hatte das Ohr gegen das Holz gepresst und instinktiv versucht hinaus zu greifen... der Schmerz in ihrem Kopf war atemberaubend gewesen. Als würde sie mit aller Kraft gegen eine Mauer laufen. Aevne war an der Tür zusammen gesackt, benommen und orientierungslos.
So fand sie der Ruf und hatte leichtes Spiel. Dieses Mal.
"Mylady."
Eine Stimme, dunkel und warm wie schwarzer Samt direkt neben ihr.
Da saß der alte Elf aus der anderen Welt etwas rechts von ihr, ebenfalls an die Wand gelehnt, in der sich die Tür befand. Das linke Bein angezogen, das rechte ausgestreckt, das Handgelenk locker auf dem angewinkelten Knie abgelegt.
So nah, dass sie ihn hätte berühren können aber nicht so nah, dass es aufdringlich wirkte. "Mylady Faoiltiarna, es tut mir leid. Ich habe versucht euch aufzusuchen. Ich habe versagt. Ihr seht nicht gut aus. Haben sie euch gefoltert?"
Bei den Göttern, selbst so am Boden wie jetzt war sie wunderschön. In Freiheit, ein Schwert in der Hand auf einem Reittier würde ihr kein Mann widerstehen können.
Aevne lag auf der Seite und schloss für einen Moment die Augen - die körperlichen, wie auch die ihres geistigen Spiegelbilds.
"Nein. Der Effekt, wenn man versucht Magie zu wirken, aber von Dwimerit umgeben ist.", erwiderte sie in ihrer ruhigen, überaus sachlichen Art. "Nichts, was eine Mahlzeit nicht wieder in Ordnung bringt.", auch wenn sie nicht daran glaubte, dass man sich diese Mühe noch machen würde.
Sie blieb liegen, streckte aber den zuunterst liegenden Arm leicht in seine Richtung, auch wenn sie wusste, dass seine Erscheinung nur in ihrem Kopf war.
Die Geste berührte ihn.
Hilfesuchend, haltsuchend, bittend.
Er lächelte bedauernd.
"Ich kann nicht körperlich bei euch sein, Mylady. Da habe ich versagt. Aber euren Wunsch zu reden, eurem letzten Wunsch, würde ich gerne nachkommen."
Er legte zögernd seine langen, schlanken Finger auf die Stelle, wo sich ihre Hand befand. Körperlich war da ...nichts. Kein Wiederstand, keine Wärme, keine Berührung. Zumindest nicht auf der Materiellen Ebene.
"Es tut mir so leid, euch nicht helfen zu können."
Aevne legte den Kopf etwas zurück und betrachtete die Hand, die die Ihre nur optisch berührte. Wie schaffte er es nur durch die Barriere, während sie versagte?
"Sag, bist du einer der Aen Saevherne?"
"In meiner Welt nennt sich meine Spezies Quel´Dorei und die nachfolgende Generation Sin´Dorei. Frei Übersetzt hieße das so in etwas 'Kinder des hochgeboreren Blutes' und 'Kinder des alten Blutes'. Über diese Welt hier weiß ich so gut wie nichts. Bis heute habe ich kam über den Horizont hinaus schauen können, den die menschliche Rasse für mich aufgespannt hat. Ihr habt mir gezeigt, dass es noch etwas dahinter gibt. Ich hätte euch so gern zu eurem Volk begleitet, die euren kennengelernt.
Verratet ihr mit, was bedeutet Aen Saevherne?"
"Die Aen Saevherne sind die Weisen unseres Volkes. Die Alten. Ich bin nur eine Aen Seidhe. Die Jüngeren."
Aevne schloss erneut die Augen, doch ihr fehlte die Kraft, auch nur ein einzige Bild zu beschwören. Statt dessen war da nur elendige Schwäche und Kopfschmerzen.
"Einen Moment lang habe ich glauben wollen - ein Aen Saevherne in der Gunst der Menschen. Aber sie haben dich genauso verraten, wie sie uns schon seit Jahrtausenden verraten, nicht wahr?" Wie sonst ließe sich erklären, dass er nicht körperlich zu ihr kommen konnte?
"Ja. Ich wurde verraten. aber ich lebe noch. Ich habe versucht euch hier aufzusuchen. Der, den ich für meinen Gastgeber hielt, schoss auf mich. Ohne zu zögern. Kein tödlicher Schuss und ich durfte die Wunde selber heilen, aber nun bin ich eingesperrt, gedemütigt, erniedrigt."
Er hob in einer hilflosen Geste Arme und Schultern.
"Ich habe versagt, aber ich freue mich, euch noch einmal sprechen zu dürfen. Ich würde so gerne..."
Aevne schwieg. Sie fühlte sich bestätigt, nur leider brachte das keinem von ihnen noch etwas.
"Kannst du diese Mauern auflösen? Ich würde so gerne die Sterne sehen..." Wenn auch nur als Bild in ihrem Kopf.
"Ich kann dir die Sterne in meiner Welt zeigen." Er lächelte.
"Komm, schließ die Augen, nimm meine Hand."
Sie folgte ihm widerstandslos.
Sie fühlte ein kurzes ziehen, einen sanften Fall durch warme Luft, streichelnd. Dann schwerelose Schwärze.
Und dann...fand sie sich in dichten grünen Moos liegend wieder, es duftete nach Frühling, neuem Leben und Wiedergeburt. Der Wind strich über ihr Gesicht, streifte durch die Blätter der Bäume, die die Lichtung umgaben, brachte sie zum Rauschen.
Da war noch mehr. das Rufen der Vögel, das Huschen kleinerer und größerer Tiere, weit weg der Ruf einer Wildkatze.
Die Bäume um die Lichtung herum trotzten jeder Beschreibung. Riesige, uralte Bäume, doch mit elegant gewundenen und in sich gedrehten Stämmen, so dicht belaubt, dass man die Kronen nicht erkennen konnte. Übermannshohe Farne, säulendicke Ranken.
Ein alter Wald. Ein sehr alter Wald und im Hintergrund, nur so gut zu sehen weil auf der Lichtung nichts den Blick versperrte, ein einzelner Baum, hoch wie ein Gebirge, in dessen unterem Bereich gelegentlich goldene Lichter blitzten.
Und über all das spannte sich der Himmel wie ein dunkelblaues Tuch aus Samt, auf dem eine unglaubliche Menge an Sternen gepinnt war.
Ein leises Seufzen entfloh den Lippen der Elfe, die hier wieder die jüngere Version ihrerselbst war. Ohne die Narben im Gesicht und ohne den bitteren Zug um Lippen und Augen. Sie glaubte das Moos zu fühlen, den Wind zu spüren und ließ sich ganz hinein fallen in die Illusion. Wie schön es wäre mit diesem Anblick zu sterben. Doch das wäre ihr wohl kaum vergönnt. Sie war zu zäh. Ein paar Stunden und ihr Körper würde sich wieder aufrappeln, würde weiter machen.
"Sie ist schön, deine Welt. Wie heißt dieser Ort?" Ihre Stimme klang bereits wacher.
Er riss den Blick vom Himmel los und sah zu ihr. Bei Malornes warmen Segen. So schön. So schön, dass es schmerzte.
"Das war Teldrassil. Der Weltenbaum, Wiege des Lebens, Quelle der Magie. Geschaffen von den ersten Elfen. In den alten Sagen verbanden Wurzeln, Stamm und Krone die Welten. Siehst du die Lichter ganz unten?"
Er hob die schmale Hand mit den langen Fingern und deutete mit einer eleganten Bewegung in Richtung des Baumes.
"Das ist Darnassus. Die Hauptstadt der Kal´Dorei, den Kindern der Nacht. Ich vermute, dieser Ort zeichnet die erste Weltenkonjunktion in meiner Welt."'
Er nahm sich die Unverschämtheit heraus, seine Hand auf die ihre zu legen. Und hier, in seinem Kopf, konnte sie ihn spüren, zärtlich, fürsorglich und warm.
Aevnes Spiegelbild hatte sich aufgesetzt und folgte mit den Augen der angedeuteten Richtung. Sie erinnerte sich, dass es einst solche Orte auch in ihrer Welt gegeben hatte. Orte, an denen die Architektur die Natur umgarnte, achtete und Teil davon war. Es war lange her und der Gedanke an das Verlorene stimmte sie wieder traurig und wütend zugleich. Nein, sie bereute nichts, auch wenn es sie in diesen Kerker gebracht hatte.
Die Hand Garithes' war nun warm und so stofflich wie die Ihre, deren Finger sich wie selbstverständlich um seine schlossen. Sie wusste natürlich, dass nichts davon real war, doch nach Art ihres Volkes suchte und genoss sie die körperliche Nähe. Es war tröstlich. Wäre er real an ihrer Seite gewesen, sie hätte die Zeit anders zu nutzen gewusst, als sie mit Gesprächen zu belasten.
"Unser Volk sagt, die Aen Saevherne kannten das Geheimnis um die Portale und durchwanderten die Welten ungehindert. Ich glaube, wir alle mögen verschiedene Namen tragen, doch letzten Endes sind wir ein Blut. Du, ich, sie." Sie wies hinüber zu den Lichtern, legte dann den Kopf in den Nacken und betrachtete das Meer der Sterne über ihren Köpfen.
Er strahlte sie an. Die grauen Augen leuchteten regelrecht.
"Ja. Das denke ich auch. Es wäre zu schön zu erfahren, welches die erste Welt war. Obwohl, nunja...im Grunde spielt es keine Rolle."
Er zögerte, sah sich um, entdeckte etwas. War das schon vorher da gewesen oder hatte der alte Elf es sich her gewünscht oder einfach vorgestellt? Keine drei Schritt entfernt blühte ein Rosenbusch. Keine gezüchteten vollen Blütenkörper sondern zarte, unscheinbare und kleine Wildrosen. Schneeweiße, kleine Wildrosen.
Der alte Mann erhob sich und ging zu dem Busch hinüber, brach eine der Blüten ab, lachte leise, wechselte die Blüte in die andere Hand und steckte in einer jungenhaften Geste einen Finger in den Mund. Seine Vorstellungskraft hatte auch die Dornen mit erschaffen.
Schmunzelnd ging er vor ihr in die Knie, die Rose in der Hand.
"Darf ich?", murmelte er verlegen und wollte ihr die kleine Rose ins Haar stecken.
Er reizte die bisher so ernste Elfe zu einem Lächeln und sie neigte leicht den Kopf zu einer Seite, schloss die Augen.
Ganz vorsichtig, fast in Zeitlupe schob Garithes die nun dornenlose kleine Blüte oberhalb Aevnes linken Ohr in ihr Haar. Eine Sekunde ließ er die Finger dort, genoss die seidige Weichheit ihres Haars, dann zog er sich eilig zurück, fast als hätte er sich verbrannt. Das gehörte sich nicht.
"Möchtet ihr über etwas reden?", fragte er leise und höflich.
Bevor er seine Hand zurück ziehen konnte, fasste Aevne sie und schmiegte ihr Gesicht hinein. Sie schloss die Augen, spürte der Berührung nach und verabschiedete sich stumm. Als die dichten Wimpern sich wieder hoben, glomm das Türkis dahinter intensiver als zuvor.
"Mein Bruder, der stets bereit war, Verträge zu verhandeln, Zugeständnisse zu machen und Bedingungen zu akzeptieren , griff irgendwann für Aelirenn zum Schwert. Er sagte, es wurden genug Worte gewechselt, nun müssen Taten sprechen. Und selbst danach glaubte er erneut den Versprechen der Menschen und wurde verraten. Ich kann nicht mehr glauben, Garithes."
Sie hob die Hand und berührte nun ihrerseits seine Wange. Ein feines, magisches Prickeln schien von ihrer Hand auszugehen, doch woher sollte die Magie kommen, wenn sie doch in Dwimerit gefangen war? Das Bild der Elfe begann zu verblassen.
"Leb wohl."
Er konnte nicht anders, als den Drang zu folgen und beugte sich vor, berührte mit seinen Lippen federleicht die ihren, während selbst der erträumte Kontakt jede Substanz verlor, zerfaserte,verschwand.
Minuten später sah man sich den langen, hageren Elf auf der Pritsche auf die Seite drehen, das Gesicht zur kargen Zellenwand wenden.
Er schaffte es sogar irgendwie die Knie anzuziehen.
Niemand sollte sehen, wie sich die Augen in dem blassen Gesicht mit Tränen füllten.
Niemand.
Und niemand sollte je erfahren, was er in dem Moment beschloss.
Aevne hatte die letzte Geste alle Kraft gekostet, denn abgeschirmt nach außen näherte sich die Magie vom Leben des Magiewirkenden selbst, sodass ihr Geist in eine von seltsamen Träumen durchzogene Bewusstlosigkeit gedriftet war. Über das reglose Gesicht perlten Tränen.
Sie hatte den Lärm gehört, die Stimmen. War an die Tür ihrer Zelle gestürzt, hatte das Ohr gegen das Holz gepresst und instinktiv versucht hinaus zu greifen... der Schmerz in ihrem Kopf war atemberaubend gewesen. Als würde sie mit aller Kraft gegen eine Mauer laufen. Aevne war an der Tür zusammen gesackt, benommen und orientierungslos.
So fand sie der Ruf und hatte leichtes Spiel. Dieses Mal.
"Mylady."
Eine Stimme, dunkel und warm wie schwarzer Samt direkt neben ihr.
Da saß der alte Elf aus der anderen Welt etwas rechts von ihr, ebenfalls an die Wand gelehnt, in der sich die Tür befand. Das linke Bein angezogen, das rechte ausgestreckt, das Handgelenk locker auf dem angewinkelten Knie abgelegt.
So nah, dass sie ihn hätte berühren können aber nicht so nah, dass es aufdringlich wirkte. "Mylady Faoiltiarna, es tut mir leid. Ich habe versucht euch aufzusuchen. Ich habe versagt. Ihr seht nicht gut aus. Haben sie euch gefoltert?"
Bei den Göttern, selbst so am Boden wie jetzt war sie wunderschön. In Freiheit, ein Schwert in der Hand auf einem Reittier würde ihr kein Mann widerstehen können.
Aevne lag auf der Seite und schloss für einen Moment die Augen - die körperlichen, wie auch die ihres geistigen Spiegelbilds.
"Nein. Der Effekt, wenn man versucht Magie zu wirken, aber von Dwimerit umgeben ist.", erwiderte sie in ihrer ruhigen, überaus sachlichen Art. "Nichts, was eine Mahlzeit nicht wieder in Ordnung bringt.", auch wenn sie nicht daran glaubte, dass man sich diese Mühe noch machen würde.
Sie blieb liegen, streckte aber den zuunterst liegenden Arm leicht in seine Richtung, auch wenn sie wusste, dass seine Erscheinung nur in ihrem Kopf war.
Die Geste berührte ihn.
Hilfesuchend, haltsuchend, bittend.
Er lächelte bedauernd.
"Ich kann nicht körperlich bei euch sein, Mylady. Da habe ich versagt. Aber euren Wunsch zu reden, eurem letzten Wunsch, würde ich gerne nachkommen."
Er legte zögernd seine langen, schlanken Finger auf die Stelle, wo sich ihre Hand befand. Körperlich war da ...nichts. Kein Wiederstand, keine Wärme, keine Berührung. Zumindest nicht auf der Materiellen Ebene.
"Es tut mir so leid, euch nicht helfen zu können."
Aevne legte den Kopf etwas zurück und betrachtete die Hand, die die Ihre nur optisch berührte. Wie schaffte er es nur durch die Barriere, während sie versagte?
"Sag, bist du einer der Aen Saevherne?"
"In meiner Welt nennt sich meine Spezies Quel´Dorei und die nachfolgende Generation Sin´Dorei. Frei Übersetzt hieße das so in etwas 'Kinder des hochgeboreren Blutes' und 'Kinder des alten Blutes'. Über diese Welt hier weiß ich so gut wie nichts. Bis heute habe ich kam über den Horizont hinaus schauen können, den die menschliche Rasse für mich aufgespannt hat. Ihr habt mir gezeigt, dass es noch etwas dahinter gibt. Ich hätte euch so gern zu eurem Volk begleitet, die euren kennengelernt.
Verratet ihr mit, was bedeutet Aen Saevherne?"
"Die Aen Saevherne sind die Weisen unseres Volkes. Die Alten. Ich bin nur eine Aen Seidhe. Die Jüngeren."
Aevne schloss erneut die Augen, doch ihr fehlte die Kraft, auch nur ein einzige Bild zu beschwören. Statt dessen war da nur elendige Schwäche und Kopfschmerzen.
"Einen Moment lang habe ich glauben wollen - ein Aen Saevherne in der Gunst der Menschen. Aber sie haben dich genauso verraten, wie sie uns schon seit Jahrtausenden verraten, nicht wahr?" Wie sonst ließe sich erklären, dass er nicht körperlich zu ihr kommen konnte?
"Ja. Ich wurde verraten. aber ich lebe noch. Ich habe versucht euch hier aufzusuchen. Der, den ich für meinen Gastgeber hielt, schoss auf mich. Ohne zu zögern. Kein tödlicher Schuss und ich durfte die Wunde selber heilen, aber nun bin ich eingesperrt, gedemütigt, erniedrigt."
Er hob in einer hilflosen Geste Arme und Schultern.
"Ich habe versagt, aber ich freue mich, euch noch einmal sprechen zu dürfen. Ich würde so gerne..."
Aevne schwieg. Sie fühlte sich bestätigt, nur leider brachte das keinem von ihnen noch etwas.
"Kannst du diese Mauern auflösen? Ich würde so gerne die Sterne sehen..." Wenn auch nur als Bild in ihrem Kopf.
"Ich kann dir die Sterne in meiner Welt zeigen." Er lächelte.
"Komm, schließ die Augen, nimm meine Hand."
Sie folgte ihm widerstandslos.
Sie fühlte ein kurzes ziehen, einen sanften Fall durch warme Luft, streichelnd. Dann schwerelose Schwärze.
Und dann...fand sie sich in dichten grünen Moos liegend wieder, es duftete nach Frühling, neuem Leben und Wiedergeburt. Der Wind strich über ihr Gesicht, streifte durch die Blätter der Bäume, die die Lichtung umgaben, brachte sie zum Rauschen.
Da war noch mehr. das Rufen der Vögel, das Huschen kleinerer und größerer Tiere, weit weg der Ruf einer Wildkatze.
Die Bäume um die Lichtung herum trotzten jeder Beschreibung. Riesige, uralte Bäume, doch mit elegant gewundenen und in sich gedrehten Stämmen, so dicht belaubt, dass man die Kronen nicht erkennen konnte. Übermannshohe Farne, säulendicke Ranken.
Ein alter Wald. Ein sehr alter Wald und im Hintergrund, nur so gut zu sehen weil auf der Lichtung nichts den Blick versperrte, ein einzelner Baum, hoch wie ein Gebirge, in dessen unterem Bereich gelegentlich goldene Lichter blitzten.
Und über all das spannte sich der Himmel wie ein dunkelblaues Tuch aus Samt, auf dem eine unglaubliche Menge an Sternen gepinnt war.
Ein leises Seufzen entfloh den Lippen der Elfe, die hier wieder die jüngere Version ihrerselbst war. Ohne die Narben im Gesicht und ohne den bitteren Zug um Lippen und Augen. Sie glaubte das Moos zu fühlen, den Wind zu spüren und ließ sich ganz hinein fallen in die Illusion. Wie schön es wäre mit diesem Anblick zu sterben. Doch das wäre ihr wohl kaum vergönnt. Sie war zu zäh. Ein paar Stunden und ihr Körper würde sich wieder aufrappeln, würde weiter machen.
"Sie ist schön, deine Welt. Wie heißt dieser Ort?" Ihre Stimme klang bereits wacher.
Er riss den Blick vom Himmel los und sah zu ihr. Bei Malornes warmen Segen. So schön. So schön, dass es schmerzte.
"Das war Teldrassil. Der Weltenbaum, Wiege des Lebens, Quelle der Magie. Geschaffen von den ersten Elfen. In den alten Sagen verbanden Wurzeln, Stamm und Krone die Welten. Siehst du die Lichter ganz unten?"
Er hob die schmale Hand mit den langen Fingern und deutete mit einer eleganten Bewegung in Richtung des Baumes.
"Das ist Darnassus. Die Hauptstadt der Kal´Dorei, den Kindern der Nacht. Ich vermute, dieser Ort zeichnet die erste Weltenkonjunktion in meiner Welt."'
Er nahm sich die Unverschämtheit heraus, seine Hand auf die ihre zu legen. Und hier, in seinem Kopf, konnte sie ihn spüren, zärtlich, fürsorglich und warm.
Aevnes Spiegelbild hatte sich aufgesetzt und folgte mit den Augen der angedeuteten Richtung. Sie erinnerte sich, dass es einst solche Orte auch in ihrer Welt gegeben hatte. Orte, an denen die Architektur die Natur umgarnte, achtete und Teil davon war. Es war lange her und der Gedanke an das Verlorene stimmte sie wieder traurig und wütend zugleich. Nein, sie bereute nichts, auch wenn es sie in diesen Kerker gebracht hatte.
Die Hand Garithes' war nun warm und so stofflich wie die Ihre, deren Finger sich wie selbstverständlich um seine schlossen. Sie wusste natürlich, dass nichts davon real war, doch nach Art ihres Volkes suchte und genoss sie die körperliche Nähe. Es war tröstlich. Wäre er real an ihrer Seite gewesen, sie hätte die Zeit anders zu nutzen gewusst, als sie mit Gesprächen zu belasten.
"Unser Volk sagt, die Aen Saevherne kannten das Geheimnis um die Portale und durchwanderten die Welten ungehindert. Ich glaube, wir alle mögen verschiedene Namen tragen, doch letzten Endes sind wir ein Blut. Du, ich, sie." Sie wies hinüber zu den Lichtern, legte dann den Kopf in den Nacken und betrachtete das Meer der Sterne über ihren Köpfen.
Er strahlte sie an. Die grauen Augen leuchteten regelrecht.
"Ja. Das denke ich auch. Es wäre zu schön zu erfahren, welches die erste Welt war. Obwohl, nunja...im Grunde spielt es keine Rolle."
Er zögerte, sah sich um, entdeckte etwas. War das schon vorher da gewesen oder hatte der alte Elf es sich her gewünscht oder einfach vorgestellt? Keine drei Schritt entfernt blühte ein Rosenbusch. Keine gezüchteten vollen Blütenkörper sondern zarte, unscheinbare und kleine Wildrosen. Schneeweiße, kleine Wildrosen.
Der alte Mann erhob sich und ging zu dem Busch hinüber, brach eine der Blüten ab, lachte leise, wechselte die Blüte in die andere Hand und steckte in einer jungenhaften Geste einen Finger in den Mund. Seine Vorstellungskraft hatte auch die Dornen mit erschaffen.
Schmunzelnd ging er vor ihr in die Knie, die Rose in der Hand.
"Darf ich?", murmelte er verlegen und wollte ihr die kleine Rose ins Haar stecken.
Er reizte die bisher so ernste Elfe zu einem Lächeln und sie neigte leicht den Kopf zu einer Seite, schloss die Augen.
Ganz vorsichtig, fast in Zeitlupe schob Garithes die nun dornenlose kleine Blüte oberhalb Aevnes linken Ohr in ihr Haar. Eine Sekunde ließ er die Finger dort, genoss die seidige Weichheit ihres Haars, dann zog er sich eilig zurück, fast als hätte er sich verbrannt. Das gehörte sich nicht.
"Möchtet ihr über etwas reden?", fragte er leise und höflich.
Bevor er seine Hand zurück ziehen konnte, fasste Aevne sie und schmiegte ihr Gesicht hinein. Sie schloss die Augen, spürte der Berührung nach und verabschiedete sich stumm. Als die dichten Wimpern sich wieder hoben, glomm das Türkis dahinter intensiver als zuvor.
"Mein Bruder, der stets bereit war, Verträge zu verhandeln, Zugeständnisse zu machen und Bedingungen zu akzeptieren , griff irgendwann für Aelirenn zum Schwert. Er sagte, es wurden genug Worte gewechselt, nun müssen Taten sprechen. Und selbst danach glaubte er erneut den Versprechen der Menschen und wurde verraten. Ich kann nicht mehr glauben, Garithes."
Sie hob die Hand und berührte nun ihrerseits seine Wange. Ein feines, magisches Prickeln schien von ihrer Hand auszugehen, doch woher sollte die Magie kommen, wenn sie doch in Dwimerit gefangen war? Das Bild der Elfe begann zu verblassen.
"Leb wohl."
Er konnte nicht anders, als den Drang zu folgen und beugte sich vor, berührte mit seinen Lippen federleicht die ihren, während selbst der erträumte Kontakt jede Substanz verlor, zerfaserte,verschwand.
Minuten später sah man sich den langen, hageren Elf auf der Pritsche auf die Seite drehen, das Gesicht zur kargen Zellenwand wenden.
Er schaffte es sogar irgendwie die Knie anzuziehen.
Niemand sollte sehen, wie sich die Augen in dem blassen Gesicht mit Tränen füllten.
Niemand.
Und niemand sollte je erfahren, was er in dem Moment beschloss.
Aevne hatte die letzte Geste alle Kraft gekostet, denn abgeschirmt nach außen näherte sich die Magie vom Leben des Magiewirkenden selbst, sodass ihr Geist in eine von seltsamen Träumen durchzogene Bewusstlosigkeit gedriftet war. Über das reglose Gesicht perlten Tränen.