Eine verbrannte Hütte irgendwo zwischen Nowigrad und Zgraggen

Der Landstrich im Pontar Delta und südlich von Nowigrad wird 'Grashügel' genannt, diese grenzen an Graufeld, bereits ein Teil von Velen.
Südöstlich des Pontar liegen die Sturmfelder.
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Emyja
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Registriert: Dienstag 14. Juni 2022, 19:28
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Ich verlor den Letzten Halt in der Bucht von Nowigrad...

Silas hatte sie verlassen.
Pavrina war Asche und Rauch.
Seltsam still war es in ihrem Innersten, als sie auf Baals Rücken weiter nach Osten ritt. Stille, die in der Nacht noch ein wilder Sturm der Verzweiflung gewesen war, als Silas einfach nicht zurück kam und der nächste Anfall sie wie eine heißkalte Welle herumgewirbelt hatte. Kurz davor Baal die heiß pulsierende Schlagader mit dem Dolch zu öffnen, war es wohl nur der Kämpfernatur des Hengstes zu verdanken, dass sie nun auf seinem Rücken weiter zog, denn der hatte sie so heftig am Kopf erwischt, dass Emyja bis zum Morgen bewusstlos gewesen war. Nun zierte auch noch ein riesiger blauer Fleck ihr ohnehin schon zerschundenes Gesicht.
Silas hatte alles an Ausrüstung, was er nicht am Körper getragen hatte, bei seinem Pferd zurück gelassen und so konnte sie den Rest der Strecke recht gut bewältigen.

Pavrinas Heim war eine niedrige Hütte zwischen Dorf und Waldrand gewesen, umgeben von wilden Wiesen und mit einem angrenzenden Kräutergarten. Eine Weile stand Baal ganz still am nieder gerissenen Gartenzaun, weil die Gestalt auf seinem Rücken ganz still war.
Emyjas gründe Augen glitten über das Bild der Zerstörung, das sich ihr bot. Der Garten war zerwühlt von beschlagenen Hufen und später waren wohl Wildschweine hinzu gekommen, die das Werk vollendet hatten.
Das mit Holz, Soden und Moos gedeckte Dach war zum größten Teil verbrannt und eingestürzt, die Hütte darunter starrte mit leeren Fensterhöhlen trostlos in den trüben Nachmittag. Die dicken Holzbohlen waren geschwärzt, doch wie es schien hatte ein Regen die völlige Vernichtung verhindert.
Es dauerte noch einige Herzschläge, dann stieg sie von Baals Rücken und warf die Zügel über einen einsamen Zaunpfahl. Im Inneren des kleinen Hauses herrschte ein heilloses Durcheinander und fast alles war vom Feuer versehrt. Doch Emyja war zielstrebig, suchte nach einer bestimmten Kiste, deren schwer beschlagener Deckel zwar angesengt, aber sonst unversehrt war. Den entsprechenden Schlüssel holte sie aus den Tiefen des Herdes, hinter einem der Schamottsteine hervor. Als sie den Deckel hoch stemmte, war sie bereits über und über mit Ruß und Asche bedeckt, aber darauf achtete sie nicht mehr.
In feinen Samt gebettet fand sie fünf Phiolen, schwarz wie Obsidian. Drei waren leer, die anderen beiden enthielten eine Flüssigkeit, die sich ölig am Rand nieder schlug. Zögernd hielt Emyja das wertvolle Gut in den Händen, denn sie erinnerte sich zu genau daran, wie heftig ihr Körper aufgrund der Dimeritiumfesseln reagierte, wenn sie aktiv nach Magie zu greifen versuchte. Dennoch war der Sog, den die Phiolen auf sie ausübten, mächtig und sie hatte zwei. Wenn die erste sie umbrächte, egal. Wenn es nur Schmerz war, hatte sie eine Zweite, sobald sie jemanden gefunden hatte, der die Fesseln löste.
In einer fließenden Bewegung entkorkte sie die erste Phiole und leerte den Inhalt, warm und sämig, in ihre Kehle. Den Ekel hatte sie vor langer Zeit schon überwunden, denn da war der rauschhafte Taumel, der folgte, wenn die Kraft sie durchströmte... Doch zunächst geschah nichts, dann war da wieder dieses Gefühl, als renne sie mit aller Macht gegen eine Mauer, nur dass sie diesmal unbarmherzig gegen diese Mauer gepresst wurde. Keuchend fiel Emyja auf die Hände, dann auf die Seite hinein in den Ruß und die Asche ihres neu begonnen Lebens. Sie konnte nicht mehr atmen, nicht mehr denken, sich nicht mehr bewegen - eine riesige Faust wollte sie zermalmen...
Ob es Zufall war - ein zeitgebundener Zauber vielleicht - oder die Kraft aus dem Elixir könnte sie nachher nicht mehr sagen, jedenfalls öffneten sich in dem Moment, da ihr Herz drohte zu springen und auszusetzen, die Fesseln an ihren Handgelenken und die Kraft fand ihren Weg. Dennoch dauerte es viele heftige Atemzüge, bis Emyja sich auf den Rücken wälzte und durch die Löcher des Daches zum grauen Himmel aufblickte. Und es dauerte noch ein Vielfaches länger, bis sie wieder auf die Beine kam.
Doch eines geschah fast sofort: das schwarze Muster auf ihrer Haut versank in dieser, als sei es nie da gewesen und zurück blieb makellos helle Haut, von der selbst ihre Sommersprossen verschwunden waren. Ihre Verbrennungen schlossen sich, die Wunden an den Handgelenken heilten zu, bis sie wirkten, als wären sie schon zwei Wochen alt. Ein Automatismus, zu dem ihr Körper griff, sich selbst heilend mit der Kraft fremden Lebens.
Emyja setzt sich auf und sah sich das erste Mal wirklich um. Zuvor war sie auf die Elixiere fixiert gewesen, doch nun sah sie, was die Wut der Menschen hier angerichtet hatte. Nichts war mehr heile, man hatte sogar Schmähungen auf die Wände geschmiert, für die den Schmierfinken die Peitsche auf den nackten Hintern gehörte. Die Hütte lag sehr abseits, entsprechend war der Kreis der Leute, die hierfür verantwortlich waren, erschreckend überschaubar. Und all jene verdankten Pavrina und ihr vieles, nicht zuletzt vielleicht sogar das eigene Leben. Wie konnten sie also?

In Emyja fiel eine Tür zu - jene, die auch dem verrücktesten Menschen offen gestanden hatte und durch die jeder die Heilerin in ihrer Seele hatte erreichen können. Mensch und Anderlinge zu gleichen Konditionen. Doch die verbrannte, beschmierte Hütte wurde letztlich wie ein Sinnbild für alle jene, die sie geliebt und die der Hass der Menschen zerstört oder verdrängt hatte. Für ihre Mutter, die unter Qualen gestorben war. Für Ion, der niemals in ihre Welt hatte passen wollen. Selbst für ihren Vater, der in den Flammen umgekommen war, die ihr Elternhaus vernichtet hatten. Da war Vajdan, den man mit Eisenkraut verätzt hatte, weil er nur eine halber Mensch war und Nikolavo, den die Menschen so oft verletzt hatten, dass seine Seele einen Panzer trug, durch den es kaum noch ein Durchkommen gab. Selbst Arvijd gehörte für sie dazu, denn sie zweifelte nicht daran, dass auch er verfolgt und gebrandmarkt würde, käme sein Geheimnis ans Licht.
Und zuletzt Pavrina und sie selbst, die versucht hatte die Rote Ruhr zu besiegen und sich dafür die Kraft aus dem Blut von Wesen genommen hatten, die ohnehin im Kochtopf endeten. Doch die Angst vor allem Fremden und der Hass, der daraus entstand, hatte die Menschen blind gemacht und ihnen den Blick verschleiert. Sie sahen nur noch, was sie sehen wollten: Dämonen, Monster und Verfluchte.
Die Tür schloss sich und Emyja wandte sich innerlich ab, auch wenn all die Argumente, die sie sich dafür zurecht legte, genau so viele Gegenargumente geboten hätten. Es war niemand da, um die Menschen zu verteidigen oder sie an die üblen Seiten ihrer Mentorin oder anderer Anderlinge zu erinnern. Sie war allein, wissend, dass hier in dieser Welt bereits der Kampf zwischen den Menschen und jenen tobte, die so waren wie sie.
Dort zwischen den geschwärzten Wänden wählte sie ihre Seite.

2 Jahre später
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