Westlich, nahe des großen Sumpfs.

Kordon liegt am äußersten Rand der Zone und wird vom Militär bewacht. Die meisten Anfänger halten sich erst eine Zeit lang in Kordon auf bis sie genug Waffen und Mut haben tiefer in die Zone vor zu dringen.
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Jessica Voss
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Lebenslauf:

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von/nach: nirgends / nirgends
Datum: 14. Mai 2021
Uhrzeit: 1600 OEZ (Zulu+2)
betrifft: noch niemanden
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Mit einem monotonen Geklacker machte der kleine, batteriebetriebene Strahlungsmesser an Jessicas Brusttasche auf sich aufmerksam. Ebenso monoton waren die Schritte der schweren Stiefel ihrer kleinen Gruppe, die einen kleinen, überwucherten Feldweg austraten, der wohl schon seit 1986 keine Menschen mehr getragen hatte. Das Gras stand zu beiden Seiten kniehoch und der recht starke Wind wehte es stetig von einer Seite zur anderen. Allgemein konnte man das Wetter in der Sperrzone nur als beschissen bezeichnen. Es regnete hier fast ständig und auch wenn der moderne Geigerzähler ihr versicherte, dass die Hintergrundstrahlung selbst bei Regen nur leicht erhöht und nicht für den menschlichen Körper gefährlich war, so war das kühle Nass von oben doch nie erfreulich. Vor allem nicht, wenn man hunderte Kilometer von der nächstgrößeren, zivilisierten Stadt entfernt war und durch die seit Jahren unberührte Wildnis des ukrainischen, bewaldeten Flachlands stiefelte.

Ihre kleine Gruppe bestand aus ihr selbst, ihrem Kameramann, Assistenten und gelegentlichem Liebhaber Lukas, und den beiden Ex-KSK-Soldaten Michael und Marco, deren Nachnamen sie nicht kannte und wohl auch nie erfahren würde. Die beiden Ex-Elite-Soldaten hatte sie noch in Deutschland auf Anraten eines ihrer Informanten kontaktiert. Sie hatten sich nach ihrer Karriere bei der Bundeswehr als Söldner selbstständig gemacht und sich auf eher zwielichtige Aufträge konzentriert, was Jessica in dieser Situation nur allzu recht war. Sie war von ihnen schon bei der Planung des Unternehmens abhängig gewesen und hier in der Sperrzone war sie es noch viel mehr. Als selbstständige Frau, die in jeder Situation gerne die Initiative zeigte, war es ihr eigentlich zuwider, auf andere Leute und speziell Männer angewiesen zu sein, aber im Laufe ihrer Karriere hatte sie auch gelernt, dass es für alles Spezialisten gab und sie selbst lange nicht alles wissen und tun konnte. Demnach war sie froh, dass sie mit den beiden Männern halbwegs gut auskam. Michael war ein sturer Macho, der ihre Vorschläge scheinbar allein aus dem Grund nicht annahm, weil sie eine Frau war. Marco hingegen war immer freundlich, aber professionell. Und beide schienen stets zu wissen, was sie taten, auch wenn sie noch nie zuvor in diesem Teil der Welt operiert hatten. Zudem trugen sie die meiste ihrer Ausrüstung, allen voran die Zelte, wofür Jessica ihnen sehr dankbar war.

Die Söldner hatten ein paar Tage zuvor für sie ein Safehouse in Kiew eingerichtet, welches als Ausgangsbasis ihrer Exkursion diente. Dort hatten sie auch die notwendige Ausrüstung bereit gestellt, mit dem ihre Gruppe sich nun einen Weg durch schlechtes Wetter und unwegsames Gelände bahnte. Billige russische Uniformen aus einem Army-Shop. Dafür aber gute, bequeme Kampfstiefel, denn, so wusste Jessica, einen solchen Gewaltmarsch in billigem Schuhwerk hätte sie wohl am ersten Tag wieder abgebrochen. Sie wusste nicht, ob sie sich mit der russischen Pistole an ihrem Bein sicher fühlen sollte. Sie würde ihr sicher überhaupt nichts nutzen, sollte eine ukrainische Streife sie erwischen. Marco hatte ihr versichert, dass die Waffe nur zur Selbstverteidigung gegen Plünderer oder wilde Tiere zum Einsatz kommen würde und war erstaunt, mit welchem Geschick sie die Pistole zu händeln wusste, obwohl sie nur eine Journalistin war.
Von Kiew aus hatten sie ein kleines Schiff bestiegen, mit dem sie den Dnepr hinauf gefahren waren. In einem kleinen Kaff namens Stracholissja hatten sie wieder angelegt und waren weiter gen Nordwesten marschiert, bis sie die Sperrzone von Süden aus erreicht hatten. Es gab nicht viele Informationen, die Jessica über das Innere der Zone in Erfahrung hatte bringen können, aber eine Quelle hatte ihr berichtet, dass ein guter Start ein Ort im Süden namens Cordon sein sollte. Und genau dort hin waren sie nun unterwegs.

Jessica war ungemein gespannt darauf, welche Geheimnisse die Zone für sie bereit hielt. Aufgrund ihrer beschwerlichen Reise hatten Lukas und sie sich darauf geeinigt, keine große Kamera mitzunehmen. Sie selbst führte nur ein paar kleine Digitalkameras und eine ordentliche Kodak mit großem Objektiv mit sich. Lukas hatte ein professionelles Video-Modell dabei, welches zwar noch immer so groß, wie eine durchschnittliche Mikrowelle, aber dafür auch allen digitalen Kameras in Sachen Qualität weit voraus war. Das Gerät schien ihn jedenfalls nicht sonderlich zu belasten. Naja, der schnuckelige Kerl war auch ganz ordentlich gebaut, dachte sie belustigt und erinnerte sich an manche spaßigen Nächte mit ihm zurück. Es war gut, dass sie beide wussten, dass zwischen ihnen nie mehr, als nur Freundschaft Plus sein würde. Denn nur so konnten sie effektiv miteinander arbeiten. Und Lukas machte nicht nur im Bett gute Arbeit. Sie wusste gar nicht, wie sie all die Jahre beim Spiegel ohne ihn ausgekommen war, bevor ihr Erfolg ihr ein eigenes Team gerechtfertigt hatte, denn er regelte auch viel von dem täglich anfallenden Papierkram, ihre üblichen Reiseunterlagen und so weiter, und so fort. Das er dazu noch ebenso abenteuerlustig war, wie sie, und seinen Kick in den gefährlichen Situationen suchte, war wohl noch das Sahnehäubchen. Gerade diese Aktion nach Tschernobyl war das gefährlichste, was sie jemals gemacht hatten und die Chance, nicht mehr lebend zurück zu kommen, war unglaublich hoch. Dennoch hatte Lukas keine Sekunde gezögert, als sie ihn gefragt hatte.

Momentan war Marco bei ihnen und Michael spähte den Weg vor ihnen auf ein bis zwei Kilometer aus. So machten sie es immer und wechselten sich nur gelegentlich dabei ab. Während die beiden Journalisten nur mit kleinkalibrigen Pistolen bewaffnet waren, trugen die beiden Söldner die großkalibrigen Langversionen des AK-15 mit Zielfernrohren, mit dem sie auch auf große Distanz für ihre Sicherheit sorgen konnten.
Sie hatten soeben den Rand eines Sumpfes erreicht, als Michael wieder zurück kehrte, um sich mit Marco über den weiteren Weg zu beraten. Die Gruppe stoppte für eine kurze Pause und Jessica war froh, sich einmal richtig durchstrecken zu können. Sie wühlte gerade in ihrem Rucksack nach einem Müsliriegel herum, als Lukas sie mit dem Ellenbogen anstieß.
"Fox." murmelte er und seine Stimme klang besorgt. Sie schaute ihn fragend an und er deutete in den Sumpf. "Siehst Du da auch eine Bewegung?"
Sie runzelte die Stirn und hob die Kodak ans Auge. Durch das große Objektiv konnte sie weit in den Sumpf hinein zoomen und tatsächlich konnte sie dort Bewegungen ausmachen. Es sah aus, wie ein Rudel Hunde, welches mit irrsinniger Geschwindigkeit durch das brackige Wasser preschte. Ein seltsamer Anblick, obwohl Jessie nicht sagen konnte, warum. Schließlich war es ja zu erwarten, dass es in einer Sperrzone entweder Wolfsrudel oder verlassene Wildhunde geben musste. Aber soweit sie es durch die Kamera erkennen konnte, bewegten sich viele der Tiere äußerst merkwürdig.

Eine fremde Stimme riss sie aus ihren Gedanken, und die gesamte Gruppe wirbelte zu dem Neuankömmling herum, der sie auf Russisch angesprochen hatte. Er hatte etwas von "Frieden" und "Stalker" gesagt. Stalker! Das Wort, dass sie bei ihrer Recherche schon immer fasziniert hatte. Die beiden Söldner hatten ihre Waffen blitzschnell erhoben, durchgeladen und auf den Neuankömmling gerichtet, der schockiert drein blickte. Der Mann war in mittlerem Alter und sah ganz unscheinbar aus. Gekleidet war er ebenfalls in abgenutzte Militärkleidung worüber er einen robusten Ledermantel mit Kapuze trug. Eine alte AK-47 hing über seine Schulter, war aber nicht auf jemanden gerichtet.
In gebrochenem Russisch, welches ihn sofort als Deutschen ausgeben musste, fragte Michael den Mann die üblichen Standardfragen. Wer bist du? Was machst du hier? Was willst du von uns?
Einerseits wollte Jessica dem ehemaligen Soldaten nicht in die Arbeit pfuschen, doch ein Bauchgefühl sagte ihr, dass sie mit Freundlichkeit mehr erreichen würde, als mit der bedrohlichen Haltung der beiden Söldner, zumal der Neuankömmling sich ohne Mühe an sie angeschlichen hatte, dabei seine Waffe aber nicht erhoben hatte. So ging sie langsam auf Michael zu und legte ihm eine Hand auf den Arm, der die AK-15 am Vordergriff hielt. Langsam drückte sie den Arm herunter und ignorierte das böse Funkeln in den Augen des Ex-KSK.
"Ich denke, wir kommen hier mit freundlichen Worten weiter." sagte sie auf Deutsch. "Wahrscheinlich ist er ebenfalls nicht gut auf das Militär zu sprechen, so wie wir, falls wir entdeckt werden sollten. Überlass das mir!" Die letzten Worte an Michael glichen beinahe einem Befehl und der Mann zuckte überrascht zusammen. Jessie ignorierte das geflissentlich und wendete sich dem Fremden zu. In perfektem Russisch sprach sie zu ihm.
"Bist Du ein Stalker?"
Der fremde runzelte die Stirn und nickte dann.
"Ja, das habe ich doch sofort gesagt. Und da ihr trotz eurer Ausrüstung nicht wie Militär oder Plünderer ausseht, bin ich neugierig geworden. Was macht ihr hier?"
Jessica zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. Sie würde nicht offenbaren, dass sie Journalisten auf der Suche nach der ganz großen Story waren.
"Sagen wir mal, wir sind im Abenteuerurlaub." erwiderte sie lächelnd und der Fremde schnaubte angewidert.
"Pah,... Touristen! Geht zurück, wo ihr herkommt. Dieser Ort ist nichts für euch. Er wird euch nur den Tod bringen,... wenn ihr Glück habt."
Ein kalter Schauer lief Jessicas Rücken hinunter. Die Worte des Fremden waren so sehr Klischee, dass sie aus einem von vielen billigen Abenteuerfilmen hätten stammen können und doch sagte der Mann sie mit einer Inbrunst, die ihre Wahrheit deutlich offenbarte. Sie schluckte, jetzt ein wenig nervös. Sie wollte mehr wissen. Und der Mann schien einiges zu wissen.
"Was ist ein Stalker?" fragte sie als erstes, doch den Fremden schien die Frage nur noch wütender zu machen.
"Hör' auf, so dumme Fragen zu stellen! Wir haben keine Zeit für sowas! Ein Blowout steht bevor, ein sehr großer diesmal. Und ihr Touristen habt wohl scheinbar nichtmal einen PDA. Selbst wenn uns der Blowout nicht killt, wird es der Strom der Mutanten tun, die auch davor fliehen."

Ein PDA? Jessica fragte sich, warum sie ein solches Relikt mit sich führen sollte. Zugegeben, alte Technik war nicht immer verkehrt. So hatten sie seit dem Betreten der Sperrzone feststellen müssen, dass sie weder ein Handynetz, noch Internet empfangen konnten. Auch spielte ihr Handy und Laptop manchmal ein wenig verrückt. Sie hatte mal ein Video gesehen, das im Reaktor von Tschernobyl aufgenommen worden war und die Strahlung dort hatte das Bild stark gestört. Sie hatte vermutet, ein solcher Effekt würde auch ihre Technik beeinflussen, selbst wenn die Hintergrundstrahlung nicht allzu schlimm war. Vielleicht spielte der Fremde darauf an, dass sie hier mit alter Technik weitaus besser zurechtkommen würden.
Und was zur Hölle war ein Blowout? Vielleicht einer dieser Effekte, die hier für lokalisierte Strahlung und Stürme sorgte? Sie hatte davon gelesen und das war mit einer der Hauptgründe, warum sie dem Rätsel auf die Spur gehen wollte.
Aber Mutanten? Machte sich der Kerl jetzt über sie lustig? Als wenn sie doch in einem schlechten Film gelandet waren.

Sie hob abwehrend die Hände und versuchte einen möglichst diplomatischen Tonfall anzuschlagen.
"Kannst du uns ein paar Informationen zur Zone geben? Wir haben auch Geld, mit dem wir deine Zeit belohnen können."
Wieder schnaubte der Stalker.
"Kein Geld der Welt ist den Tod wert, den ich mit der vergeudeten Zeit auf mich nehmen würde. Ihr habt zwei Möglichkeiten. Entweder haltet ihr mich fest und wir sterben alle, oder wir gehen hier getrennte Wege und jeder von uns hat die Chance zu überleben. Ich jedenfalls werde gehen, sofern ihr mich nicht erschiessen wollt."
Damit setzte er sich auch schon in Bewegung. Michael hob wieder seine Waffe und wollte ihn gerade erneut zum Anhalten auffordern, doch Jessie fuhr dem Söldner scharf dazwischen.
"Lasst ihn gehen! Wir sollten vielleicht besser auf ihn hören und irgendwo einen Unterschlupf suchen."
Michael ließ die Waffe sinken und starrte Jessica boshaft an. Er wollte gerade eine Schimpftirade von sich geben, da ging Marco dazwischen.
"Ich denke, einen Unterschlupf zu finden ist keine schlechte Idee. Es wird auch bald dunkel."
Michael schnaubte und zischte Jessica aggressiv an.
"Hör' auf, uns in unser Handwerk zu pfuschen! Ihr Zivilisten seid stets die größte Gefahr mit eurer Unwissenheit."
"Also bis gerade warst du doch auch noch Zivilist, oder hat dich der Bund etwa wieder eingestellt?" gab sie zuckersüß zurück.
Der Mann, der gebaut war, wie ein Bär, Jessie aber trotzdem keinerlei Angst einflößen konnte, knirschte mit den Zähnen und drehte sich zu seinem Kameraden, um ihm zu folgen.
"Darüber sprechen wir im Lager!" gab er noch stur von sich und dann ging die Gruppe wieder geschlossen weiter.

Lukas schaute Jessie besorgt an, doch sie war nun nicht in der Stimmung auf diese Weichspül-Diskussion mit ihm. Der Ex-Soldat sollte ruhig von seinem hohen Ross herunter kommen und einsehen, dass sie hier sein Auftraggeber war. Und sie wusste ganz genau, was Lukas zu ihr sagen wollte. Dass sie wie üblich wieder die Kontrolle an sich reißen wollte, obwohl sie Experten dabei hatte, denen sie vertrauen sollte. Dass ihre sture Haltung sie noch in Teufels Küche bringen würde, da sie abhängig von den beiden Söldnern waren. Bla, bla, fucking bla! Das war einer der Gründe, warum eine Beziehung zu Lukas niemals funktionieren würde. Er kritisierte ihr zugegebenermaßen stures Handeln viel zu oft. Als Assistent konnte sie ihm ohne schlechtes Gewissen sagen, dass er die Schnauze halten sollte. Aber eine feste Beziehung würde wohl ein wenig darunter strapaziert werden.

Sie marschierten am Rand des Sumpfes weiter nach Norden und das Wetter änderte sich beinahe schlagartig. Der eh schon starke Wind ähnelte schon bald einem Sturm und die Böen bogen die Bäume in der Umgebung wie unanständige Spielzeuge durch. Regen peitschte fest wie Hagel auf die Gruppe herab und verdeckte die Sicht in einem Vorhang aus bitter schmeckendem Wasser. So war es auch kein Wunder, dass sie die Hunde erst knapp vor ihren Nasen bemerkten.
Erschrocken rief Lukas noch eine Warnung, aber Michael und Marco reagierten sofort und hoben ihre Sturmgewehre. Lautes Knattern dröhnte von den Waffen, als sie Feuerstoß um Feuerstoß in das Rudel pumpten. Jessie zog selbst ihre Waffe und zielte auf eines der seltsam aussehenden Tiere, welches sie umrundet hatte und flankieren wollte. Sie war sich nicht sicher, ob es der dichte Regen war, der ihren Augen einen Streich spielte, oder ob diese Hunde wirklich völlig entstellt waren. Sie nahm sich einen kurzen Augenblick Zeit, genauer hinzusehen und erkannte, dass die Tiere missgestaltet waren, übersät mit Buckeln und Beulen. Da war auch eines, das ein fünftes und sechstes Bein in der Mitte des Körpers aufwies, doch diese waren viel zu kurz und pendelten nur leblos in der Luft umher. Waren das die Mutanten, von denen der Stalker erzählt hatte?

Mit gezielten Schüssen verpasste sie dem Hund zwei Volltreffer und das Tier überschlug sich vornüber und kam rutschend im Matsch zum liegen. Jessie wollte sich gerade dem nächsten verunstalteten Wesen widmen, da sah sie, wie das verletzte Tier sich wieder aufrappelte, beinahe als wäre nichts passiert. Das sollte nicht möglich sein. Jessie war keine Expertin, was das anging, aber das Tier hätte die Kugeln nicht einfach so abschütteln sollen. Ungläubig schaute sie sich um und sah, dass die beiden Soldaten ähnliche Probleme hatten. Ihre durchschlagskräftigen Waffen machten zwar mit vielen Tieren kurzen Prozess, zerfetzten sie beinahe schon in mehrere Teile, aber es gab auch einige dieser Mutanten, die trotz abgerissener Hinterläufe weiter voran krochen. Und es war ein großes Rudel. Für jedes Tier, welches sie endgültig im Schlamm versenkten, tauchte ein neues aus dem dichten Regenschleier auf.

Verzweifelt schoss Jessie, bis ihr Magazin leer war. Mit zittrigen Händen lud sie die Waffe nach und hätte das Ersatzmagazin beinahe durch die nassen und vor Schweiß glitschigen Hände gleiten lassen. Doch schaffte sie es gerade noch rechtzeitig, um ein Tier, welches soeben Marco von der Seite anfallen wollte, einige Kugeln in die Flanke zu jagen, die es schlitternd im Matsch landen ließ. Der Söldner drehte sich zu ihr um und zwinkerte ihr mit einem anzüglichen Lächeln seinen Dank zu. Flirtete dieser Idiot etwa hier und jetzt mit ihr? Sie konnte es nicht fassen, aber eine Antwort auf ihre Frage sollte sie auch nie erhalten, denn mit einem Male wurde der Mann von den Beinen gerissen, als etwas riesiges aus dem Regenvorhang auf ihn zu sprang, ihn wie eine Puppe zu Boden warf und seine Fänge in die Kehle des ehemaligen Soldaten versenkte. Das Wesen glich einem Wolf auf Anabolika und Steroiden. Wenn die Situation nicht so grausam und real gewesen wäre, hätte sie wohl gelacht und sich gefragt, ob sie sich am Set von 'Game Of Thrones' befand, an dem einer dieser Schattenwölfe umher spazierte. Doch auch dieses Tier war, abseits seiner immensen Größe, verunstaltet, vernarbt und übersät mit Beulen und Buckeln. Was seine Tödlichkeit allerdings nicht schmälerte. Die Kehle des Soldaten wurde förmlich zerfetzt und der schlammige Boden unter seinem Körper färbte sich sogleich tiefrot.
Michael hatte sich umgedreht und feuerte eine ganze Salve seines Sturmgewehres in den riesigen Wolfskörper, doch außer einem Zucken und einem leisen Jaulen, ließ sich das Tier nicht zu einer heftigeren Reaktion hinreißen. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Jessie, wie auch der andere Söldner von einem Tier angefallen wurde. Der normal große, aber garstig aussehende Hund hatte nicht die Masse, um den stämmigen Mann umzuwerfen, doch seine Kiefer fanden dennoch ihr Ziel und verbissen sich in der Kehle des Mannes, der anfing gurgelnd zu schreien und mit hektischen Bewegungen versuchte, das an ihm baumelnde Tier von sich zu streifen. Doch kamen mehr Hunde dazu und bissen ihm in die Kniekehlen und Oberschenkel. So fiel auch der Riese unter der wütenden Menge der mutierten Tiere. Der Typ war zwar ein Arsch gewesen, aber das hatte Jessie ihm auch nicht gewünscht.

Ihr Blick fiel zu Lukas, der sich trotz all seiner Abenteuerlust vor Angst nicht gerührt hatte. Sie wollte ihn soeben anschreien, ebenfalls seine Waffe zu ziehen, da fand sein panischer Blick den ihren und er lief einfach blindlings los. Er kam nicht sehr weit, da hatte ihn der Rest des Rudels auch schon eingeholt. Flüchtende Beute war ein noch größerer Ansporn für Raubtiere, das wusste Jessie. Was sie aber nicht wusste war, was ihr in diesem Moment mehr weh tat. Dass ihr langjähriger Freund und Gelegenheitsliebhaber vor ihren Augen in Stücke gerissen wurde, oder dass er sie kurz vor seinem Tod einfach hatte allein lassen wollen.

Mit einer zitternden Hand vor dem Mund, um einen panischen Aufschrei zu unterdrücken, stolperte sie rückwärts. Die noch halb geladene Waffe in ihrer anderen Hand war für den Augenblick vergessen, denn wenn ihre gesamte Gruppe der Bedrohung nicht hatte Herr werden können, wie sollte sie sich solch einer Menge an mutierten Raubtieren mit ihrer mickrigen Pistole stellen?
Ihr Überlebensinstinkt regte sich plötzlich und machte sie auf die morbide Tatsache aufmerksam, dass alle Tiere momentan mit Fressen beschäftigt waren. Lukas hatte durch seine feige Flucht eventuell und indirekt ein Opfer für sie erbracht. Langsam ging sie einige Schritte rückwärts, bis der Regenvorhang den Blick auf die Tiere völlig verbarg. Dann drehte sie sich um und lief ebenfalls blindlings in eine ihr unbekannte Richtung davon.

Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie gelaufen war und zu welchem Zeitpunkt sie sich zur schnelleren Fortbewegung den Rucksack abgestreift hatte. Aber so langsam ließ das Adrenalin auch nach und sie spürte, wie ihre Beine und ihre Lunge brannten, wie Feuer. Erschöpft stolperte sie noch ein paar Schritte, bevor sie anhielt und sich zu Boden sinken ließ. Erst jetzt bemerkte sie, dass der Regen aufgehört hatte. Der Himmel war noch grau wie eine Stahlplatte, aber hier und da brachen ein paar Strahlen goldenen Lichts durch. Noch immer saß ihr der Schock in den Knochen, aber sie atmete tief durch und sagte sich innerlich, dass sie die grausamen Bilder später noch verarbeiten konnte. Zuerst musste sie an ihre eigene Haut denken. Und mitten im Nirgendwo, mit kaum etwas an Ausrüstung und umgeben von mutierten, blutrünstigen Wesen, war ihre Haut noch lange nicht sicher.

Sie rappelte sich wieder auf und schaute sich um. Sie hatte keinen Anhaltspunkt, in welche Richtung sie gehen sollte. Am verhangenen Himmel konnte sie den Stand der Sonne nicht gut ausmachen, aber eigentlich war es auch egal. Sie konnte eh nur hoffen, in einer der verlassenen Ruinen Hilfe oder zumindest einen Unterschlupf für die Nacht zu finden. Also stapfte sie müde weiter und schaute sich immer wieder nervös um. Ihre Waffe hatte sie während der gesamten Flucht so krampfhaft in der Hand gehalten, dass selbst jetzt noch die Abdrücke des geriffelten Griffes in ihrer Handfläche zu sehen waren. Aber es kam ihr auch nicht in den Sinn, die Waffe wieder weg zu stecken. Selbst wenn sie bei den Mutanten kaum Eindruck machte, so war es doch zumindest etwas, mit dem sie sich wehren konnte.

Einige Minuten später hörte sie das ferne Geräusch von Hubschraubern und sowohl Sorge, als auch Hoffnung machten sich in ihrer Brust breit. Sie drehte sich um und sah am Horizont, nur wenige Kilometer entfernt, eine Rotte aus vier Kampfhubschraubern der ukrainischen oder russischen Armee. Ein Ka-52 'Alligator' führte die Rotte an und sorgte für erweiterte Sensoraufklärung, während die drei Flügelmänner in ihren Ka-50 'Akula' oder auch 'Schwarzer Hai' genannten Fluggeräten, die als Gegenstück zum amerikanischen Apache Kampfhubschrauber dienten, die Ziele aufstöberten und ausschalteten.
Jessie überlegte, ob ein ukrainisches Gefängnis dem Tod durch Mutantenhunde vorzuziehen war und wollte gerade schweren Herzens mit wedelnden Armen und ihrer Taschenlampe auf sich aufmerksam machen, als einer der Ka-50s aus der Formation ausbrach und ein Stück nach vorn schnellte. Seine seitlich angebrachte 30mm-Kanone spuckte Feuer und Jessie konnte sehen, wie die Geschosse in der Ferne mit kleinen Explosionen einschlugen. Der dumpfe, durch die Entfernung verzerrte Schall brauchte einige Sekunden länger, um ihre Ohren zu erreichen, was der ganzen Situation anfangs etwas Surreales anhaften ließ. Sie überlegte es sich nochmal mit dem Hilfegesuch, denn sie wusste ja nicht, auf wen oder was die Piloten dort schossen. Allerdings hob sich ihre Kodak beinahe wie von allein und die professionelle Karrierefrau in ihr nutzte, trotz all der Widrigkeiten um sie herum, die Gelegenheit für ein paar seltene und aufregende Schnappschüsse. Glücklicherweise dachte sie früh genug daran, den Blitz auszuschalten.

Plötzlich scherte ein zweiter Hai aus der Formation aus und näherte sich ihrer Position. Sie schluckte und ließ die Kamera sinken. Was sollte sie jetzt tun?
Das Mündungsfeuer der Bordkanone blitzte stakkatoartig auf und diesmal hörte Jessie den Einschlag der Explosivgeschosse sofort, da sie nicht weit von ihr entfernt einschlugen. Der feuchte Boden verhinderte, dass zu viel Staub und Dreck von den Explosionen in die Luft geschleudert wurde und so konnte sie erkennen, dass es sich um Menschen oder menschenähnliche Wesen handelte, die dort beschossen wurden. Ihr Herz sank ihr in die Hose bei dieser Erkenntnis und sie suchte sich ein nahes Gebüsch als provisorischen Sichtschutz. Das war hier eine verdammte Kriegszone und dennoch wagte sie es nicht, für einige Photos aus dem Gebüsch hervorzulugen. Sie betete inständig, dass die Hubschrauber noch nicht modernisiert worden waren und noch immer mit den altmodischen Kontrastkameras ihre Ziele aufschalteten. Sollten sie bereits auf Infrarot aufgerüstet worden sein, standen ihre Chancen selbst unter den dichten Zweigen des Gebüschs sehr schlecht.
Immer wieder donnerten die Bordkanonen der Hubschrauber und wie vielfach verstärkte Echos antworteten die Explosionen der chemisch gefüllten Geschosse am Boden. Ein jedes Mal zuckte Jessie panisch vor Angst zusammen. Sie hasste es Angst zu haben. Warum gab man ihr keinen Gegner, gegen den sie kämpfen konnte? Einen Schlägertypen in einer Bar. Einen Terroristen mit einer Kalaschnikow. Sie hätte in diesem Moment sogar ein Rudel dieser Mutantenhunde bevorzugt. Immerhin hätte sie auf sie schießen und sich somit wenigstens in irgendeiner Weise verteidigen können. Dieser Angriff aus der Luft war so unpersönlich. So übermächtig. Der Pilot entschied mit einem Zucken seines Zeigefingers über ihr Leben oder ihren Tod, ganz so wie jemand, der eine Schusswaffe hielt. Doch der Pilot tat dies noch aus bis zu vier Kilometern Entfernung zielgenau und das war es, was die ganze Sache beinahe so unpersönlich machte, wie einen Drohnenangriff. So also mussten sich die hilflosen Zivilisten im Irak oder in Afghanistan täglich fühlen. Kein beneidenswertes Gefühl.

Erst nach ein paar Minuten bemerkte sie, wie sie verkrampft da lag und die Hände auf die Ohren gepresst hatte, um nicht mehr hören zu müssen, ob das grausame Donnern näher kam oder sich entfernte. Aber als sie ihre Ohren befreite hörte sie nichts mehr, auch nicht das Knattern der Rotoren. So kroch sie aus ihrem Versteck hervor und suchte den Horizont ab. Da war nichts zu sehen und die Anspannung wich von ihr, wandelte sich in immer stärker werdende Müdigkeit. Wieder rappelte sie sich auf und stolperte in eine zufällige Richtung weiter.

Nach etwa einer halben Stunde hatte der Himmel bereits am Horizont eine rötliche Farbe angenommen und anhand der nun klaren Himmelsrichtung konnte Jessie ausmachen, dass sie zumindest weiter in nördlicher Richtung unterwegs gewesen war. In der Ferne konnte sie nun durch das Objektiv ihrer Kodak ein altes, verfallenes Bauernhaus erkennen. Aber alt und verfallen war noch immer besser, als gar keine Zuflucht für die Nacht. So stolperte Jessie weiter auf das Gebäude zu, als sie plötzlich ein Grunzen in der Nähe hörte. Das Adrenalin schoss ihr sofort wieder durch die Adern und panisch drehte sie sich mit vorgehaltener Waffe zu dem Geräusch um.
Sie blinzelte erstaunt. Ein Wildschwein richtete sich aus einer Kuhle im Boden auf und grunzte sie aggressiv an. Abwehrend hob Jessie die Hände, wusste sie zwar, dass Wildschweine normalerweise ohne Jungtiere nicht aggressiv waren, aber dieses hier sah auch nicht gerade normal aus. Es schien ebenso mutiert, wie die Hunde und der Wolf zuvor. Und es schien sich bereit zu machen, Anlauf zu nehmen.
"What the fuck!" stieß sie aufgebracht hervor, einerseits vor Schreck, andererseits, weil sie nicht fassen konnte, wie viele Fettnäpfchen und Gefahren dieser Tag noch zu bieten hatte. Aufgrund ihrer vorigen Erfahrungen mit den mutierten Hunden, wagte sie gar nicht erst zu warten, was der ebenso mutierte Eber vor hatte. Sie rannte, so schnell sie konnte, los in Richtung des Hauses. Dabei schoss sie nur halb gezielt ihr restliches Magazin auf den Eber ab, von dem aber nur wenige Kugeln ihr Ziel trafen und keinen nennenswerten Eindruck am Tier machten.
Jessie wägte ab, ob sie ihr letztes Magazin nachladen sollte, entschied sich dann aber, ihre Kraft und Aufmerksamkeit aufs Rennen zu konzentrieren. Das Haus kam zwar immer näher, aber der Eber ebenso. Sie wusste, sie würde es nicht schaffen dem Tier auf geradem Weg davon zu laufen. Also schlug sie so gut es mit ihrer verbleibenden Kraft noch ging Haken, die das Tier aber erstaunlich geschickt für einen so dicken Brocken nachahmte. Wieder kroch die Panik in Jessies Brust und ihre müden Beine versagten den Dienst. Sie spürte, wie sie unter ihr nachgaben und das Wildschwein war direkt hinter ihr und würde sie einfach so platt walzen. Bei einem Attentat oder einer Bombenentschärfung zu sterben wäre ja in Ordnung gewesen, aber von einem Eber plattgetrampelt zu werden stand jetzt nicht auf Jessies Bucket-List.

Im letzten Moment vor dem Fall hörte sie, wie der kleine Strahlungsmesser an ihrer Brust verrückt spielte und knatternde Geräusche von sich gab. Sie hatte allerdings keine Gelegenheit mehr, einen klaren Gedanken daran zu verschwenden, da flimmerte die Luft vor ihr und urplötzlich wurde sie mit der Kraft einer Abrissbirne zur Seite geschleudert. Schmerz durchflutete ihre Schulter, als wenn sie ihr ausgerissen worden wäre. Mit einem ebenso harten Aufprall, der ihr die Luft aus der Lunge presste, landete sie wieder auf dem feuchten Gras vor dem Haus und rollte noch einige Mal um die eigene Achse, wobei sich ihre Gürteltasche und die MagLite auch schmerzhaft in ihre Seite drückten.
Benommen rollte sie sich auf die unverletzte Seite und schaute zu dem Wildschwein herüber. Es lag am Fuße eines Baumes, der durch die Wucht des Aufpralls mittig gesplittert war. Aber ebenso verrenkt und zerbrochen sah der Körper des Tieres aus. Was auch immer sie so erwischt hatte, hatte für das Wildschwein die Samthandschuhe noch ausgezogen. Jessie schaute sich um, konnte aber bis auf dieses Flimmern in der Luft nichts erkennen. Der Strahlungsmesser knisterte leiser vor sich hin, aber momentan war Jessie weder in der Verfassung noch der Laune, sich dem neusten Mysterium an diesem Tag zu stellen.

Sie schleppte sich mit lahmer, rechter Schulter zu dem Haus herüber. Der Eindruck hatte leider nicht getrügt. Das Gebäude war völlig verfallen und kaum eine Wand stand noch gerade und ohne Loch. Allerdings entdeckte sie auf der Rückseite eine Kellertreppe, deren dunkler Schacht noch nicht ganz so baufällig aussah. Glücklicherweise war die MagLite durch den Sturz nicht beschädigt worden und so taumelte sie mit der Taschenlampe voraus in den dunklen Keller hinab. Sie wusste, dass dies eine furchtbar dumme Idee sein konnte, wenn man diese mutierten Biester in der ganzen Zone betrachtete. Aber in ihrem Geiste spielte sie auch immer wieder die Warnung des Stalker von vorn ab. Schutz vor diesem Blowout suchen. Vielleicht war der Keller dann doch keine so schlechte Idee. Zumindest hatte der Mann mit den Mutanten Recht gehabt.
Der Keller war tief, aber nicht allzu groß. Scheinbar wurde er in vergangenen Tagen als Kühlkeller benutzt, denn es gab viele Regale und auch Haken für Fleisch. Allerdings schien alles schon vor Jahren geplündert worden zu sein. Großartig Beachtung schenkte Jessie diesem Zustand eh nicht mehr, denn sie rollte sich einfach nur in einer Ecke des Raumes zusammen und hoffte, dass der morgige Tag nicht ganz so grausam werden würde, wie der diese.

Dann umgab sie der gnädige Schlaf, der sie davon abhielt, die Schleusen öffnen und über die erlebten Dinge und gewaltsamen Tode nachdenken zu müssen. Der sie davon abhielt, einfach nur wie ein kleines Kind loszuheulen.

Der sie davon abhielt, etwas von dem Blowout mitzubekommen, der über die Zone und das Hausgerippe hinweg donnerte.

Willkommen in der Zone, Baby!
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Jessica Voss
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Registriert: Dienstag 4. Januar 2022, 03:01
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von/nach: nirgends / Nubgorod (Noobtown)
Datum: 15. Mai 2021
Uhrzeit: 0800 OEZ (Zulu+2)
betrifft: noch niemanden
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Die Erschöpung hatte ihren Tribut gefordert und Jessica bis zum späten Morgen des nächsten Tages durchschlafen lassen. Zögerlich und verwirrt öffnete sie Augen und wunderte sich für einen Moment über die Schmerzen in ihrer Schulter. Ebenso verwirrte sie, dass sie sich in völliger Dunkelheit befand. Das Schlafzimmerfenster ihrer Wohnung in Hamburg ließ immer ein wenig Licht zwischen den Ritzen der Jalousien durchscheinen, selbst wenn es nur der orangene Schein der Straßenlaternen war. Völlige Dunkelheit war für sie völlig fremd. Und sie machte ihr Angst. Zumal plötzlich die ersten Fetzen von Erinnerungen ihren Geist durchfluteten. Panisch suchte sie nach der MagLite und schaffte es nach zwei vergeblichen Versuchen, sie mit ihren zittrigen Fingern zu aktivieren. Hastig ließ sie den Lichtstrahl durch den verkommen und stickig riechenden Kellerraum schweifen; niemals schnell genug, die dabei hervorgehobenen Schatten zu verdrängen.
Die Erinnerungen brachen nun wie eine Flut über sie zusammen und ließen den Schmerz in den Hintergrund rücken, als sich erneut das Adrenalin seinen Weg durch ihren Körper bahnte. Sie befand sich am Arsch der Welt, umgeben von mutierten Bestien. Und das ganz allein auf sich gestellt, weil ihre Gruppe von diesen Monstern zerfleischt worden war. Sie schmeckte die Galle, die ihr den Hals empor kroch, als sie an die zerfetzten Leiber und all das vergossene Blut ihrer Gefährten dachte. Mit einer Hand fest auf den Mund gepresst, schloss Jessica schnell wieder die Augen und konzentrierte sich auf ihre gleichmäßige Atmung. Sie hasste es zu kotzen oder anderen dabei zuschauen zu müssen. Dass sie zur Zeit keinerlei Verpflegung mehr hatte und ihren erbärmlichen Mageninhalt noch brauchen würde, daran dachte sie im Moment gar nicht.

Sie musste hier raus. Raus aus der Dunkelheit. Raus aus dem modrigen Gestank dieses kalten Grabes. Mit wackeligen Beinen stand sie auf und eilte zu der schrägen Luke, die den Keller von der Außenwelt trennte. Den rechten Arm konnte sie kaum heben, bevor der Schmerz unerträglich wurde. So mühte sie sich damit ab, die schwere Holzplanke mit der linken Schulter aus den Beinen heraus anzuheben. Mit einem dumpfen Pochen schlug die Tür auf dem überwucherten Boden auf und Jessie blinzelte geblendet in den sonnigen, wolkenlosen Himmel eines späten Morgens hinein. Gierig sog sie die frische Luft in ihre Lungen, was ihre Übelkeit deutlich milderte. Zögernd stapfte sie eine Stufe nach der anderen hinauf und schaute sich alarmiert in der Umgebung um. Die verfallene Ruine des alten Bauernhauses knarrte im leichten Wind, der über die Ebene strich, leise vor sich hin, lag ansonsten aber ruhig, und dank der hellen Morgensonne unbedrohlich da. Trotz der trügerischen Stille und Sicherheit zog Jessie ihre Jarygin Pja und prüfte das Magazin. Ihre Bewegungen funktionierten völlig automatisch, gesteuert vom Instinkt der Selbsterhaltung, obwohl sie kaum Erfahrungen mit diesem Verhalten hatte. Ihr Hirn verdrängte noch immer die Geschehnisse des Vortages, so gut es konnte und bot ihr die Gelegenheit noch eine Weile länger zu funktionieren, bevor sie unter dem Erlebten zusammenbrechen würde. Sie konnte sich zwar nicht mehr daran erinnern, aber scheinbar hatte sie die Waffe noch mit dem letzten ihrer Ersatzmagazine nachgeladen, bevor sie der Schlaf übermannt hatte. Mit der Waffe in der rechten und der Kodak in der linken Hand, stieg sie nun auch die letzte Stufe hinauf, hob die Kamera an ihr Auge und drehte sich langsam im Kreis. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie den Horizont, als auch die nähere Umgebung im Kreis um sie herum mit dem kraftvollen Objektiv abgesucht und glücklicherweise keine weitere Bedrohung gefunden hatte. Erst jetzt ließ sie zu, dass die Erinnerungen und Gefühle zu ihr durchbrachen und ihre Knie wurden weich. Ihre Beine konnten sie nicht länger tragen und sie sackte noch vor dem Kellerzugang in das hohe, noch leicht feuchte Gras und öffnete die Schleusen.
Die Pistole fiel unbeachtet in ihren Schoß und die Kamera baumelte an ihrem Hals herab, als sie beide Hände vor das Gesicht schlug und die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Mehrere Minuten saß sie einfach nur da und weinte bitterlich, ließ zu, dass Angst und Trauer die Oberhand gewannen. Sie waren tot. Sie alle waren tot! Lukas,...!

Ein erneutes Rinnsal Tränen rollte ihre verdreckten Wangen hinab und zog Spuren in dem Staub, der sich zuvor darauf gelegt hatte, als sie an ihren langjährigen Freund dachte. Sie trauerte nicht um ihn als Liebhaber, auch wenn sie diese Momente sicher vermissen würde. Er war ihr über lange Jahre ein guter Freund gewesen, obwohl sie nie wirklich darüber gesprochen hatten. Vielleicht war es ihnen peinlich gewesen, da sie auch miteinander arbeiten mussten? Vielleicht brauchte es auch nicht ausgesprochen und in abstrakte Konzepte von Worte gefasst werden. Sie hatten zuvor schon einige schwierige Situationen zusammen durchgestanden, waren manchen Gefahren nur um Haaresbreite entkommen,... und nun hatte er sie hier allein gelassen. Tief in ihr wusste Jessica, dass sie zu hart zu ihm war. Sie waren beide keine Superhelden. Nur einfache Leute, die das Abenteuer gesucht und es teuer bezahlt hatten. Konnte sie es ihm wirklich verübeln, sie beim Anblick dieser mordenden Bestien im Stich gelassen zu haben? Eine innere Stimme sagte ihr, sie konnte. Immerhin war sie bereit gewesen, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen, hätte es notwendig werden sollen. Der Stich, den ihr seine Flucht verursacht hatte, würde sich nicht so schnell legen und auf eine egoistische und morbide Art machte es seinen Tod unpersönlicher,... erträglicher. Stellte ihn näher an die Tode der beiden Söldner, um die sie zwar auch trauerte, aber auf die Art, auf die man über Leute trauerte, über die man in den Nachrichten las, ohne sie wirklich zu kennen. Die Zeit würde zeigen, ob sie Lukas wegen seines Verrates vergeben konnte, so wie sie sich nicht sicher war, wie lange es dauern würde, bis sie sich nicht mehr schuldig fühlen würde, seinen Tod nicht so sehr zu betrauern, wie sie es eigentlich tun sollte.

Noch einige Minuten saß sie einfach so da, wie eine Marionette, deren Schnüre jemand durchgeschnitten hatte. Das feuchte Gras durchnässte ihre Hose, doch bemerkte sie es gar nicht. Die letzten Schluchzer vergingen und ihre Atmung beruhigte sich langsam wieder. Die Panikattacke war vorbei und Jessie schloss für den Moment wieder die Tore vor den schrecklichen Erinnerungen und der Hilflosigkeit, die sie verspürte. Sie schob den Riegel davor und zwang sich mit zitternden Beinen wieder aufzustehen. Mit einem dreckigen Ärmel ihrer Feldbluse wischte sie sich die letzten Tränen aus dem Gesicht, beachtete die dunklen Spuren, die sie damit auf ihrer Haut schuf gar nicht. Wahrscheinlich hätte Jessie sogar hysterisch gelacht, hätte sie sich nun in einem Spiegel gesehen, denn der Dreck ließ ihr Gesicht wie das eines getarnten Soldaten aussehen. Wie eine Frau, die wusste, wie man kämpfte und überlebte, was momentan absolut nicht dem entsprach, wie sie sich fühlte.
Noch einmal holte sie tief Luft und ging dann langsam zu der Stelle, an der das Wildschwein lag. Ihre Waffe hatte sie wieder aufgenommen und hielt sie mit der unverletzten, linken Hand auf den Kadaver gerichtet nach vorn. Das Tier war eindeutig tot, das wusste sie. Es hatte hier regungslos die ganze Nacht gelegen. Dennoch gab sie ihm einen vorsichtigen Stoß mit der Spitze ihres Stiefels und hielt die Waffe weiterhin auf dessen Körper gerichtet. Sicher war sicher. Nach einigen Augenblicken hatte Jessie auch sich selbst überzeugt, dass der Kadaver keine Gefahr mehr für sie darstellen würde und ein Funken Neugier blitzte in ihrem Verstand auf. Sie steckte die Waffe zurück in ihr Beinholster und ging vor der Leiche in die Hocke, ließ kritisch den Blick über die Eigenheiten des toten Ebers fahren. Er war riesig. Größer, als jedes Wildschwein, dass sie jemals in der Natur oder auf Bildern gesehen hatte. Die knorrigen Muskelstränge des Tieres waren widerlich verdreht, als wenn sie sich beim Wachsen selbst im Weg gestanden hatten. Überall auf dem borstigen Körper waren Beulen und Auswüchse zu sehen. Eiterbeulen, die aufgeplatzt waren und eine stinkende Flüssigkeit von sich gaben, die Jessie wieder die Galle in die Kehle treiben wollte.

War es die Strahlung? Die Nachwirkungen des Reaktorunfalls, die diese Mutationen verursachten? Sie hatte viel darüber gelesen, wie sich radioaktive Strahlung auf Zellgewebe und Erbmaterial auswirkte. Wie es Mutationen in Folgegenerationen hervorrufen konnte. Zur Hölle, selbst bei den Simpsons gab es dreiköpfige Fische, mit denen man sich über das Thema lustig machte. Aber das Unglück lag nun 35 Jahre zurück. Oder wurden hier weitere Anreicherungen und Experimente durchgeführt, dass es in einigen Bereichen weiterhin zu starker Strahlung kam? Denn gäbe es hier noch so viel Hintergrundstrahlung, dann hätte doch sicher ihr Messgerät ausgeschlagen, oder? Aber hatte es das nicht? Kurz bevor sie von einer unsichtbaren Kraft davongeschleudert worden war und der Eber sein unsanftes Ende gefunden hatte?

Stirnrunzelnd stand sie auf und schaute sich um. Sie konnte kein Flimmern in der Luft erkennen. Auch das Strahlungsmessgerät an ihrer Brust tickerte nur leise vor sich hin. Mit vorsichtigen Schritten suchte sie die nähere Umgebung ab, sich dabei stets der schmerzenden Schulter bewusst, die das Resultat ihrer Begegnung mit dem Ding war, welches sie nun aktiv suchte. Doch konnte sie nichts außergewöhnliches entdecken. Sie stand genau an der Stelle, an der sich das Wildschwein befunden haben musste, bevor es in den Baum geschleudert worden war. Doch nichts. Hatte sie sich das alles nur eingebildet? War sie einfach nur gestürzt und hatte sich die Schulter verrenkt? Hatte die Panik am gestrigen Abend nur mit ihrer Phantasie gespielt? Aber was hatte dann das mutierte Tier mit solcher Kraft in den Baum geschleudert?

Jessicas Neugier war nun vollends entfacht und verdrängte nahezu alle Gefühle an Trauer und Hilflosigkeit. Es gab so viele Fragen, die ihr durch den Kopf gingen und ein Bauchgefühl sagte ihr, dass dies nur die Spitze eines Eisbergs war. Auch wenn sie nicht in der Verfassung war extensive Nachforschungen zu betreiben, so würde sie dennoch alle Antworten verfolgen, die sich ihr auf dem Weg zur Retttung boten und Licht auf die Sache werfen konnten. Aus der Allzwecktasche am Gürtel holte sie eine der drei kleinen Digitalkameras hervor und prüfte sie auf Funktion. Das Gerät hatte den Sturz am Vorabend gut überstanden und eifrig machte Jessie sich daran, ein paar Bilder von dem Eber aus den verschiedensten Winkeln zu machen. Sie wusste nicht, ob sie hier irgendwo an Strom kommen konnte, um den Akku wieder aufzuladen, deshalb begnügte sie sich vorerst mit nur einigen wenigen Bildern. Sie hatte das Gefühl, dass sie noch eine Menge weiterer seltsamer Dinge zu Gesicht bekommen würde und entschied sich, ihre spärlichen Ressourcen zu rationieren. Die Kodak würde sie nur für spektakulärsten Entdeckungen nutzen, denn die Ersatzfilme für die professionelle Kamera waren in dem abgestreiften Rucksack zurück geblieben.
Zufrieden mit den Bildern, die sie geschossen hatte, schaute Jessie sich nochmals in der Umgebung um und runzelte nachdenklich die Stirn. Sie musste diesen Ort namens Kordon finden, wenn sie hier nicht verhungern oder von Mutanten in Stücke gerissen werden wollte. Osten,... sie musste nach Osten. Sie schaute wehmütig auf das nun gesplitterte Display ihres Smartphones, las die Uhrzeit ab und verglich den Sonnenstand mit einer Himmelsrichtung. Dann marschierte sie dorthin los, in der sie den Osten und damit auch den Kordon vermutete.

Ihr Fußmarsch führte sie über sanft geschwungene, grasbewachsene Hügel und etwa eine Stunde später kam sie an einen kleinen Bach, an dem sie sich kurz eine Pause gönnte. Nach sorgsamer Prüfung des Wassers mit ihrem Strahlungsmessgerät, gönnte sie sich eine erfrischende Katzenwäsche, entfernte Dreck und Schweiß aus ihrem Gesicht und öffnete ihr Haar, um auch dieses auszuwaschen. Als sie es wieder zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte und gerade dabei war, noch die letzten Reste Feuchtigkeit aus diesem heraus zu wringen, fiel ihr Blick auf etwas, das sich vom Grün und Braun des Grases abzeichnete.
Neugierig ging sie ein wenig näher, vorsichtshalber mit der Hand nahe der Jarygin an ihrem Bein. Es handelte sich um einen Toten. Kein Tier, sondern ein Mensch, ähnlich gekleidet, wie der Stalker, den sie vor dem Angriff getroffen hatten. Zögerlich ging sie vor der Leiche in die Hocke. Es war nicht das erste Mal, dass sie Tote gesehen hatte. Auch das Blutbad des gestrigen Tages war nicht ihre erste Erfahrung mit dem Tod gewesen. Wenn man über Jahre hinweg durch die Straßen osteuropäischer und russischer Städte wanderte und auch nicht vor den Schicksalen der ärmeren und skrupelloseren Bevölkerungsschichten zurückschreckte, kam man zwangsläufig mit Tod und Leid in Kontakt. Trotzdem fiel es Jessie in diesem Moment schwer, sich über die Leiche zu beugen, so allein in der Wildnis und ohne jemanden mit dem sie ihre Sorgen teilen konnte. Sie hob eine Hand vor den Mund, als sie die grausamen Details aufnahm. Alles schien darauf hinzuweisen, dass der Mann sich selbst mit seiner Kalaschnikow gerichtet hatte. Die Waffe hing noch zwischen seinen Knien, eine Hand noch in der Nähe des Griffstücks mit dem Abzug. Getrocknetes Blut geronn in den Winkeln des weit aufgerissenen Mundes, in den er den Lauf der Waffe wohl gesteckt hatte. Glücklicherweise war die Austrittswunde nicht direkt zu erblicken, da sein Hinterkopf in einer großen Lache Bluts am Boden ruhte. Mit einem aufkeimenden Würgen erkannte Jessie allerdings, wie sehr der oberhalb der Leiche liegende Grasbewuchs mit Blutspritzern, Hirn- und Schädelstückchen besprenkelt war.

Warum hatte der Mann Selbstmord begangen? Die Lache unter dem Kopf der Leiche war noch nichtmal völlig geronnen, so dass sein Tod höchstens ein paar Stunden zurück liegen konnte. War er in eine auswegslose Situation mit diesen Mutanten geraten? Aber dann hätten diese ihn doch sicherlich zerfetzt und gefressen, oder? Der Rest der Leiche sah noch völlig intakt aus. Vielleicht hing es ja mit diesem Blowout zusammen, schoss es Jessie durch den Kopf. Der Stalker hatte am Vortag keine Details darüber verloren, aber an der Intensität seiner Worte hatte sie erkannt, dass so ein Blowout nicht nut tödlich, sondern auch schrecklich sein musste. Vielleicht war dieser Mann hier nicht rechtzeitig dazu gekommen, Schutz zu suchen und hatte lieber den Freitod gewählt, als grausam an der Strahlung zu verrecken, oder was auch immer so ein Blowout sein sollte. Voller Unbehagen schluckte sie die Panik herunter, als sie an den letzten Abend dachte. Wie sie scheinbar rechtzeitig einen Unterschlupf gefunden hatte und damit vermutlich ohne es zu wissen ihr Leben gerettet hatte. Das launenhafte Schicksal hatte beschlossen, dass sie noch einen weiteren Tag leben sollte. Sie atmete tief ein und betrachtete die Leiche noch einen Moment, starrte sie so intensiv an, als wenn der bloße Blick ihre Geheimnisse verraten konnte.
Sie würde diesen Tag ausnutzen, beschloss sie. Und jeden weiteren Tag, den das Schicksal ihr noch geben würde. Sie würde sich zu diesem Kordon aufmachen, sich Informationen einholen und dann entscheiden, ob es möglich war, die Geheimnisse der Sperrzone aufzudecken. Dort würde sie abwägen können, ob es besser war, mit eingezogenem Schwanz wieder nach Deutschland zurückzukehren, oder ob sie eine Chance hatte, die Gefahren der Zone zu überwinden und doch noch die Story ihres Lebens zu schreiben. Schuldete sie das den drei Männern nicht, die bereits für diese Story ihr Leben gelassen hatten, oder war dieses Vorhaben doch wieder nur ihr egoistischer Wunsch, sich zu profilieren und wieder einmal das zu schaffen, was andere nicht konnten?

Jessica holte eine Digitalkamera hervor, kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum und steckte sie dann kopfschüttelnd wieder zurück. Der Mann hatte es vielleicht verdient, dass eine richtige Erinnerung von ihm festgehalten wurde. Sie hatte keine Ahnung, warum sie dessen Schicksal so rührte und sie war auch keine reine Kriegsberichterstatterin. Dennoch nahm sie die Kodak in die Hände und bannte das Abbild des Mannes auf altmodische Weise auf einen der wenigen Filmplätze, die ihr noch blieben. Das war das mindeste, was sie tun konnte, denn Werkzeuge hatte sie nicht, um den Fremden zu begraben. Irgendwann würden die Mutanten ihn vermutlich finden und ihre Bäuche mit seinem Fleisch füllen. Kein würdevoller, letzter Übergang.
Eins war aber sicher. Der Tote würde keinen Nutzen mehr an seiner Ausrüstung haben, die bei Jessie viel besser aufgehoben sein würde. So biss sie so fest die Zähne zusammen, dass ihr Kiefer schmerzte und durchsuchte die Leiche nach allem, was ihr auf ihrer Reise helfen konnte. Letztendlich nahm sie seinen kleinen Rucksack an sich, in dem sich zumindest ein paar haltbare Snacks, Bandagen und eine Flasche Vodka befanden. Wasser wäre ihr zwar lieber gewesen, aber Alkohol war auch sehr vielseitig. Vielleicht konnte sie ihre schmerzende Schulter damit einreiben und kühlen. Die Schwellung daran lindern. Funktionierte das so? Sie hatte von diesen Dingen keine Ahnung und ließ den Alkohol erst einmal in der Flasche.
Aus einer Gürteltasche fischte sie dann einen alt wirkenden PDA. So ein Teil hatte sie seit ihrer Abiturzeit nicht mehr gesehen. Scheinbar hatte der Stalker am gestrigen Tag bei allem die Wahrheit gesagt. Diese Geräte schienen hier wohl aufgrund ihrer altmodischen Technik gute Dienste zu leisten. Als sie den PDA zur genaueren Betrachtung näher an ihr Gesicht hob, konnte sie einen verschmorten Geruch wahrnehmen. Und tatsächlich schien das Gerät nicht mehr zu funktionieren. Vielleicht hatte dieser Blowout die Elektrik darin gebraten. Dennoch stopfte Jessie den alten Computer in den Rucksack. Dazu noch drei Ersatzmagazine für die AK-47. Die Waffe selber hängte sie sich um die unverletzte Schulter. Dann nickte sie dem Leichnahm noch einmal respektvoll zu, was ihr beinahe ein ungläubiges Schnauben entlockt hätte, da sie sonst nie so sentimental war.

Ohne einen weiteren Blick machte sie sich weiter auf in Richtung Osten.
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