Zwischen Traum und Vision

Ein Ort, zwar in dieser Welt, aber neben der Wirklichkeit. Eine andere Ebene der Wirklichkeit vielleicht, ein Ort der Träume und Geister.
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Jakob von Nagall
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Lebenslauf: Jakob von Nagall

Die Wochen und Monate hatten Jakob verändert, hatten auf die frisch gegrabene Erde seines neu entfachten Glaubens Samen geworfen, die unter Jarels Führung niemals aufgegangen wären. Doch der Ritter war fort und der Knappe auf sich gestellt, geführt und geformt von jenen, die den Machtkampf im Orden dominierten. Der junge Mensch wurde zum Muster eines Ritters vom Orden der Flammenrose: demütig den Ordensoberen gegenüber, eisern im Glauben, unerbittlich gegen die Entartungen der Natur und treu bis in den Tod. Er machte sich unter den Mächtigen schnell einen Namen, kaum das er den Ritterschlag empfangen hatte, scheute weder vor theologischen Debatten noch vor schweren Aufgaben zurück. Er führte das Wort inzwischen fast so sicher wie das Schwert und reiste oft zwischen den Komtureien und Klöstern herum.
Auch in Wyzima, dem Zentrum des Ordens, tauchte er regelmäßig auf. Gern gesehener Gast im Kloster, pflegte er die Kameradschaft zu den einstigen Mitschülern und einen regen Austausch mit dem Bewahrer, dessen geistige Führung er sehr schätzte. Und gerade Philaemon war es, der im Geist des jungen Menschen das Feuer göttlichen Zorns immer wieder neu anfachte. Ihn daran erinnerte, welche Sünden er mit sich trug und wie er diese sühnen konnte. Denn Jakob war noch immer das Kind von einst, dessen Sünden seine Seele belasteten und der selbst die Sünden seines Rittervaters noch als die seinen betrachtete. Seine Schuld. Asche und Feuer.
Seine Liebe zu Iola erstickte er unter Gebeten und Selbsttäuschung, begegnete ihr neutral und mit dem klaren Vorsatz, sich nicht mehr zu beflecken. Seine Gelübde waren ihm heilig und er würde keines davon mehr brechen. Doch unfreundlich war er nicht gegen sie, war sie doch die Mutter seiner Tochter und die liebte er mit ganzem Herzen. Man sah es ihm an, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Dann zeichnete sich väterliche Zärtlichkeit auf seinen Zügen ab und die tiefgehende Zuneigung zu Miriam.

Iola litt sehr darunter den Mann, mit dem sie sich ein Familienleben erwünscht hatte, vollständig an den Glauben verloren zu haben. Sie hatte zwar von Anfang an gewusst worauf sie sich einließ, doch die Hoffnung auf eine gewisse Menge heimlicher Zweisamkeit war erst in dem Moment erloschen, als Jakob ihr auch in den wenigen Augenblicken, in denen sie allein waren, die körperliche Nähe, ja sogar eine Umarmung oder einen Kuss verweigerte.
Und eine zweite - daraus resultierende - Erkenntnis traf sie hart. Nicht so hart wie ihr gebrochenes Herz, aber trotzdem schneidend wie ein Skalpell, welches an ihrem Selbstbild schnitt wie ein Feldscher an einer brandigen Wunde:
Ihre Visionen, ihre Prophezeiungen waren nicht eingetreten.
Sie hatte das zweite Gesicht nicht, es war nicht mehr gewesen als ein Hirngespinst, gefußt auf einem Wunschtraum, der sich nie erfüllen würde.
Ihre Tochter und ihr Glaube waren ihr einziger Trost in diesen Zeiten. Dies, und die kleinen Präsente und Überraschungen, die immer wieder in ihrer Nähe auftauchen, jeweils gefolgt von kleinen Gesprächen mit ihrem "Vater".
Auch mit Jarel war es anfangs nicht einfach gewesen, nachdem sie erkannt hatte wer er war - was er war - hatte sie wochenlang nicht mit ihm geredet und ihn nicht an sich herangelassen.
Zudem es ohnehin nicht einfach war, mit einem Mann auf der Flucht in Kontakt zu bleiben.
Doch irgendwann - es war wieder eines der kleinen Präsente die ihr regelrecht in den Schoß fielen - kam es endlich zu Gesprächen und einer Art Annäherung.
Es würde nie mehr werden wie früher, aber Miriam hatte so wenigstens einen Großvater, der sich zu ihr bekannte. Und der für sie beide sorgte.
Als Jake an diesem Tag in Begleitung einer Schwester das Zimmer der jungen Mutter betrat, war diese - zu seiner Überraschung und der der Schwester - nicht da.
Dafür stand neben dem Bett der Mutter ein neues Möbel. Ein Kinderbettchen. Eine Art Wiege, anscheinend aus einem Stück beinahe schneeweißen Holzes geschnitzt mit Schaukelkufen und einem wahren Gemälde als Kopfstück.
Eine Darstellung eines Stückes Wald, im Mittelpunkt eine junge Frau im fließendem weißen Kleid, die die Hände vor ihrem Schoß zu einer Schale geformt vor sich hielt, unter der Darstellung von Neu-Voll-und abnehmendem Mond.
Jake wusste: So wurde in Azeroth Elune dargestellt, Jarels Version der dreifaltigen Göttin.
Über dem Bettchen hing ein Mobile mit verschiedenen kunstvoll geschnitzen Tieren. Reh, Bär, Adler, Raubkatze...von allem etwas und alle so gestaltet, dass keine Spitzen oder Kanten das Kleine gefährden konnten.
Kein Zweifel, wer dieses Kunstwerk geschaffen hatte.

"Nanu?" Schwester Philippa ging Jakob voran ins Zimmer und sah sich um, als stecke Iola vielleicht einfach nur unter dem Wandbehang. Jakob blieb an der Tür stehen und hatte die Situation wohl schneller erfasst. Es war der Vorabend der Weihe, einer Art Taufe im Glauben der Melitele. Wie gerne hätte er Miriams Seele auch dem ewigen Feuer anvertraut, den Segen des Bewahrers für sie erbeten, aber dafür hätte er sich zu ihr bekennen müssen und das war unmöglich. Er konnte das Kind nur in seine Gebete einschließen. Auf der Wiege bleib sein Blick einen Moment länger hängen und die Bedeutung dahinter sickerte bleischwer in sein Herz. Er war zurück. Er war zurück und hatte es gewagt, sich seiner Tochter zu nähern.
Doch anders als früher ließ das nicht haltlosen Zorn in ihm aufkeimen, sondern eisige Berechnung. Ein neuer Zug an ihm, der ihn im Zweikampf inzwischen zu einem gefährlichen Gegner machte, denn er verlor nicht mehr den Kopf. Die Veränderung, die ihn zu jenem demütigen Diener des Ewigen Feuers gemacht hatte, hatte auch einen schwer zu besiegenden Schwertkämpfer aus ihm geschmiedet, der sich seine Gegner mit der Präzision eines Chirurgen zurecht legte, um die richtigen Schnitte zu setzen.
Wohin also konnte Iola gegangen sein und wollte sie den abtrünnigen Ritter treffen? Sein Blick wanderte ein weiteres Mal suchend durch den Raum - es fehlte auch das Körbchen, in dem Miriam immer lag, obwohl sie eigentlich schon zu alt dafür war. Nicht seine Entscheidung, auch wenn er manchmal wünschte, er könne mehr Einfluss nehmen. Iola verhätschelte das Kind seiner Ansicht nach maßlos.
"Danke Schwester, ich komme später wieder.", erklärte er höflich und ging. Am Tor ließ er sich sein Schwert wieder aushändigen. Den Anderthalbhänder seines Vaters, mit dem Kreuz der Templer im Knauf. Die Klinge einer Hexerklinge ebenbürtig. Die Waffe wieder am Gürtel machte er sich auf den Weg durch die Stadt. Nicht zurück zum Kloster, sondern da hin, wo er Iola vemutete.

Schon als er sich der kleinen Lichtung im Wald näherte wusste er, dass er richtig vermutet hatte, denn neben Iolas rauer Stimme war da der warme, vibrierende Bass seines ehemaligen Rittervaters.
Und dieser verstummte gerade mitten im Gespräch und der alte Mann sah in die Richtung, aus der Jakob sich näherte.
Natürlich hatte er ihn bemerkt.
Aber er floh nicht. Er stand nicht einmal auf, so wie auch Iola Platz behielt, nachdem sie Jarels Blick in seiner Richtung gefolgt war.
Das Bild war geradezu idyllisch.
Im Moos lag das riesige Widderfell, darauf eine bestickte Patchworkdecke und darauf Teller mit Obst und geschmierten Broten, zwei Flaschen und Becher, in dem sich entweder Wein befand oder...Traubensaft.
Iola trug ein einfaches weißes Kleid, dessen obere Hälfte so gewickelt war, dass sie jederzeit die ewig hungrige Miriam anlegen konnte.
Sie sah entspannt aus, wesentlich gesünder als in der Zeit der Schwangerschaft. Sie war regelrecht aufgeblüht und die weiblichen Rundungen die dabei entstanden waren standen ihr ausnehmend gut.
Und auch Jarel schien es nicht schlecht ergangen zu sein. Noch brauner gebrannt als ohnehin schon, in hautenges schwarzes Leder gekleidet, die Unterschenkel in kniehohen dünnen Lederstiefeln, die Schläfen rasiert und die hüftlangen Haare zu einer regelrecht verspielten Flechtfrisur nach hinten gebunden.
Nachdem ihm Slava wegen der ständigen Probleme in die er geriet und seiner übertrieben dramatischen Art abserviert hatte, hatte sich der ehemalige Ritter von der Zivilisation komplett abgewandt und wie ein Einsiedler irgendwo in den Wäldern gehaust. Und wie es aussah, hatte er dort nun Gesellschaft gefunden, denn die Frisur schrie den Einfluss eines Elfen - oder einer Elfe - regelrecht heraus.
Der krasse Gegensatz zu dem wehrhaften Eindruck war jedoch das zart rose gefärbte Spucktuch über seine Schulter und das an seiner Schulter schlafende kleine Mädchen.
"Hallo Jakob.", begrüßte Jarel den jungen Ritter neutral.

Angesprochener blieb zwischen den Bäumen stehen und betrachtete das friedliche Bild. In seinen Augen lag nichts, weder Freude noch Ablehnung oder sonst eine Regung, die verriet, was er hierzu empfand. Das klare Grün, in dem sich so oft das Feuer seiner Emotionen gespiegelt hatte, war zu kaltem Stein gefroren und auch seine Züge blieben betont neutral. Innen sah es anders aus, da stritt es heftig. Der verlassene Sohn mit dem Vater und dem linientreuen Ritter.
Langsam setzte er sich in Bewegung und begann am Rand der Lichtung entlang zu gehen, Abstand wahrend. "Was willst du hier?" Mit dem Wissen Jarels, könnte man vielleicht hören, das Jakob weder erfreut noch friedlicher Stimmung war, auch wenn er das Schwert noch nicht gezogen hatte. Sein ganzer Habitus, kaum das er den ersten Schritt gesetzt hatte, zielte auf eines: die Sonne im Rücken haben und den besseren Stand.

"Nach meiner Enkeltochter und meiner Tochter sehen."
Jarel streichelte Miriam zärtlich über den Rücken. Er bewegte sich entspannt, lächelte sogar und hätte Miriam eigentlich nicht abgeben wollen, aber Iola erhob sich um ihm die Kleine abzunehmen und wieder in dem Körbchen abzulegen.
Auch sie richtete endlich das Wort an den Ritter. "Jakob, schön dich zu sehen."

"Du bringst beide in Gefahr. Der Orden hat die Acht über dich gesprochen." Jakobs Ruhe ließ seine Stimme kalt bleiben. Er formte den Kelch der Flamme. "Das Ewige Feuer hat dich verdammt." Er griff an sein Schwert. "Du hättest nicht herkommen sollen."
"Ich habe eine Enkeltochter, Jakob. Eine Tochter. Nichts in der Welt könnte mich davon abhalten mich zu kümmern. Das Gefühl kennst du. Auch wenn du es verleugnest."
Jarel ließ Jakob nicht aus den Augen. Jake wirkte wie eine Klapperschlange, die vor lauter Vorbereitung auf einen Angriff das Klappern vergessen hatte.
"Du machst dich gut im Orden.", fuhr der Schattenläufer fort, zog ein Bein an und legte sein Handgelenk locker ab. Und er lächelte noch immer. Die braunen Augen glänzten halb vor Begeisterung, halb vor Bedauern.

Jakob ignorierte den Einwurf bezüglich Tochter und die Liebe zu ihr. Diese Schwäche war schlimm genug, sie in sich zu wissen, aber aussprechen würde er es niemals. Was gesprochen war, wurde real, wurde gehört, so wie er jetzt Jarel hörte und dazu hatte er nicht den Mut. Lieber stellte er sich tausend Monstern entgegen.
Monstern wie seinem ehemaligen Rittervater, in dem der Wolf schlummerte.
Er machte sich also gut. Jakobs Miene verdüsterte sich. "Und genau darum werde ich tun, was das Ordensrecht gebietet. Kommst du freiwillig mit und unterwirfst dich dem Urteil deiner Brüder?" Er glaubte nicht daran und versuchte es doch. Aber Jarel lebte nicht schon so lange auf der Flucht, um jetzt freiwillig ins Kloster zu spazieren und sich verbrennen zu lassen.

Iola wollte das Wort erheben. Ihre Augen liefen ohnehin bereits fast über vor Tränen, doch Jarel wies ihr mir einer sanften Bewerbung zu schweigen. Im Grunde war sie froh darum, den wenn sie jetzt anfangen würde zu reden, würde sie weder aufhören können, noch konnte sie dafür garantieren, dass ihr Tränen wieder versiegten und sie musste stark sein. Für Miriam. Und für sich selbst.
So war es Jarel, der leise, richtig und fast schon provozierend gefasst antwortete:
"Es ist Recht, mich wegen den was ich bin zu richten und bei lebendigen Leib zu verbrennen.."
Der Schattenläufer wurde von einem Schluchzen unterbrochen, den jetzt gab es bei Iola doch kein Halten mehr. Zu gern hätte er diese jetzt in die Arme genommen, doch in diesem Moment herrschte Gefahr. Er musste Abstand waren, sonst würde sein verblendeter und fehlgeleiteter Sohn die junge Mutter noch verletzen.
"Es ist Recht, Jakob. Aber ich Frage dich, ist es auch richtig?"

Mit einem singenden Laut glitt die Klinge der Templer aus der Scheide an Jakobs Seite. Das fleckige Licht zwischen den Bäumen reflektierte auf dem Metall, das deutlich heller war, als die Stähle, die man hier üblicherweise schmiedete. Silberne Fäden durchzogen die Blutrinne und machten die Waffe tödlich auch für magische Wesen, oder einst in Jakobs Welt eben Vampire und Werwölfe. Buchstaben spiegelten sich inmitten dieser Linien: Non nobis Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam! (Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern Deinem Namen gib Ehre.)
"Ich bin nur ein demütiger Diener des Ewigen Feuers. Es ist nicht an mir, ein einmal gesprochenes Urteil in Frage zu stellen. Es ist an mir, es zu vollstrecken.", erwiderte er im Brustton der Überzeugung. Wenzel, Erhard und Phileamon hatten ganze Arbeit an der jungen Seele geleistet und nicht einmal Iolas Tränen konnten Jakob erweichen. Er durfte sich nicht erweichen lassen.
Das Ewige Feuer hatte ihn aus dem Tod auferstehen lassen und ihn erneuert. Diese Gnade war zu groß, als das er ihr nicht mit Demut und Frömmigkeit begegnen konnte.

Iola gab einen erschrockenen Laut von sich und spang auf, griff aber nicht ein, sondern stellte sich schützend vor das Körbchen, in dem die kleine Miriam ein leises Glucksen von sich gab.
Auch Jarel stand in einer langsamen, geschmeidigen Bewegung auf. Sein ganzer Habitus hatte sich von dem eines mit Kraft und Schwung das Schwert schwingenden Ritter weg zu etwas entwickelt, in dem Jakob unlängst den Schattenläufer erkannt hatte.
Mit ausgebreiteten, leeren Händen bewegte Jarel sich leicht von Mutter und Kind weg, als hätte er Angst, sein ehemaliger Knappe könnte in seinem Feuereifer die beiden ebenfalls verletzen.
Und dem war tatsächlich so. Nach außen hin die Ruhe in Person hätte er sich zu gerne Iola angeschlossen und ebenfalls die Tränen nicht mehr unterdrückt.
Da stand der Mann, den er liebte wie einen Sohn und der nun versuchen würde ihn zu töten. Die Chancen, Jakob mit Worten zu erreichen schätze er gegen Null.
Mit langsamen, kleinen Schritten bewegte er sich seitwärts, während er weiter sprach:
"Es ist die Pflicht einer jeden Person gesprochenes Wort und Urteil mit dem eigenen Verstand zu prüfen. Denn jeder kann Fehler machen und fehltreten, auch die, die die Urteile sprechen."
Noch immer bewegte er sich mit kleinen Schritten seitwärts, aber nicht weg. Und auch Bewaffnung war nicht zu sehen, wobei der Jungritter genau wusste, dass dies bei dem Mann mit den warmen braunen Augen nichts - aber auch wirklich gar nichts - zu sagen hatte.
"Ich kenne eine junge Frau, die hat das zweite Gesicht, sieht die Zukunft und spricht mit fremden Zungen. Wenn sie dir sagen, du sollst sie als Hexe verbrennen, stellst du sie dann selber auf den Richtplatz und legst ihr euer Kind in die Arme, bevor du im Namen der Flammenrose das Feuer entzündest?"
Jarel blieb stehen, hob ein wenig das Kinn und wartete ein paar Sekunden, bevor er fortfuhr.
"Ist es recht jemanden zu töten, weil er anders ist? Ich bin sicherlich nicht unschuldig, aber es gibt so viele, die der Orden getötet hat, allein weil sie zu klein, zu groß oder ihre Ohren zu spitz waren. Du bist ein intelligenter junger Mann, Jakob. Hinterfrage die Entscheidung der anderen, denn ist deine Seele, die du mit der Ausführung belastest. Glaubtest du nicht an ...Himmel und Hölle? Mich zu töten würde dich nicht in die Hölle bringen, aber wen schicken sie dich als nächstes zu richten?"

Als Katholik lernte man Zwiedenken und unter der Fuchtel seiner neuen Gönner war dieses Talent wieder erblüht. Er hörte schlicht nur einen Teil von dem, was Jarel redete und den Rest blendete er aus. Er würde keine Debatte mit jemandem führen, der das Licht des Ewigen Feuers nicht mehr im Herzen trug, der womöglichen falschen Göttern huldigte und sich vom einzig wahren Glauben abgewandt hatte. Iola nahm in diesem Realitätskonstrukt eine Sonderstellung ein und Miriam war über jeden Zweifel erhaben. Allein das Jarel es wagte, hier einen Vergleich zu ziehen, ließ Jakob das Schwert heben und auch die zweite Hand ans Heft nehmen. Das Leder der Handschuhe knirschte leise, als seine Finger sich um die Waffe spannten.
Blasphemische Reden. Es gab keinen Himmel und keine Hölle. Es gab nur das Ewige Feuer, in das alle Sterblichen gingen, um gerichtet zu werden. Rauch zu werden oder Asche. Neu geboren oder auf ewig zerfallen. "Irrlehren. Es beweist nur, wie wenig du unsere Glauben je verstanden oder gelebt hast. Ich bin ein Werkzeug des Göttlichen und das Göttliche ist unfehlbar."
Mit einer eleganten Bewegung drehte er beide Arme seitlich und hob das Heft des Schwertes auf Kopfhöhe, die Spitze auf Jarel gerichtet. Es steckte viel Schönes in diesem Aufrichten, Anmut und Kraft zugleich, Perfektion in der man noch die Handschrift des Klingenmeisters erkennen konnte. Der ehemalige Ritter war ein guter Lehrer, der Jüngling ein guter Schüler. Nun standen sie sich als Gegner gegenüber.

Jarel stand noch immer da. Die Arme mit den leeren Händen ausgebreitet. Ganz ruhig, nur die Augen vor Trauer verhangen.
Den Glauben nicht gelebt. Das schmerzte mehr als die Klinge, die auf ihn gerichtet war aber weniger als der Fanatismus in den Augen seines Sohnes.
Wenn es so sein sollte, dann würde es so kommen.
Mit einem hatte Slava Recht gehabt. Er hing schon lange nicht mehr so sehr an seinem Leben wie er sollte und war vor allem in den letzen Wochen ein ums andere Mal keinem Risiko aus dem Weg gegangen. Er vermisste den Spion. Er vermisste Iola. Er vermisste Jakob, Ljerka, sogar die Hexer vermisste er.
Und er hatte gelernt, Miriam zu vermissen.
"Das göttliche ist unfehlbar.", erwiderte er leise und mit hörbarem Zittern in der Stimme. "Bist du es auch?"
Er nahm die Schultern nach hinten, streckte seine Gestalt, nahm das Kinn hoch und biss die Zähne aufeinander.
Was nun geschehen würde, würde geschehen.

Es sollte Schmerzen. Die Wahrheit war oft nicht leicht zu ertragen.
Für Jakob war es genau diese Wahrheit, die ihn letzten Endes gezwungen hatte, zu entscheiden. Jarel hatte die Gelübde, die sie beide abgelegt hatten, mit Füßen getreten. Was sollte er also tun? Ihm folgen? Auf dem Weg, der den Ritter zur Flucht und zum Untertauchen gezwungen hatte, weg von jeder Ehre? Nein. Jakob hatte anders entschieden, war zurück gekehrt auf den Pfad des Glaubens, der Ehre und Ritterlichkeit. Und er würde nicht mehr weichen. Nie mehr.
"Es leitet mich. Ich lege mein Leben jeden Tag in seine Hände." Wenn er fehlte, würde er es direkt merken. Und damit ging er zum Angriff über...
...nur um nach dem ersten Ausfallschritt wieder hart abbremsen zu müssen, denn etwas - nein jemand - stand ihm plötzlich im Weg. Instinktiv öffnete er den Griff am Heft des Schwertes und ließ dieses seitlich sinken, um Iola nicht zu verletzen. Auch darin war er gut geworden: seine Züge waren wohl überlegt und frei von der wilden Hitzköpfigkeit, die ihn früher geleitet hatte. Er war gewachsen, nur leider trieb er rot brennende Blüten.

Da stand sie vor ihm, die dunklen vollen Locken umrahmten das zarte Mädchengesicht, das nach der harten Schwangerschaft endlich wieder Farbe erlangt hatte und zwei veilchenblaue Augen, aus denen sich ein glitzernder Strom über die Wangen der jungen Mutter ergoss sahen Jakob flehend und voller Verzweiflung an.
"Jakob! Was tust du da?"
Sie schluchzte unterdrückt.
"Willst du unserer Kleinen den Großvater nehmen und mir den Vater?! Komm zu dir! Was hat er denn böses getan um das zu verdienen?"
Jarel stand immer noch da und rang mit sich.
Sollte er Iola wegschieben und Jakob angreifen lassen?
Zumindest war er plötzlich angespannt und bereit seinerseits anzugreifen, sollte Jakob es wagen Iola ein Haar zu krümmen.
Auch Miriam spürte, dass etwas nicht stimmte und begann leise zu quengeln.

Er sah sie nicht an. Er durfte sie nicht ansehen, sonst würde er nachgeben. Die klaren blauen Augen Iolas hatten noch immer diese Wirkung auf ihn, so sehr er sie auch verleugnen mochte und darum wich er ihr stets aus. Und nun hielt er den Blick auf Jarel gerichtet, versuchte sie zu ignorieren. Tat so, als könne er die Tränen nicht sehen oder in ihrer Stimme hören. Als spüre er den Druck ihrer Hände gegen Wappenrock und Kettenhemd nicht, die ihn zurückzuhalten versuchten. Lediglich Miriams Wimmern konnte er nicht ganz ausblenden. Dieser Laut schlug immer Instinkte an, die tiefer saßen als alles, worüber er Kontrolle ausüben konnte. Sein Blick flackerte eine Sekunde zu ihr hinüber.
Was er böses getan hatte.
"Es ist meine Pflicht und längst überfällig." Und er stand zwischen ihm und einem weiteren Aufstieg in der Ordenshierarchie. Ein Makel auf seiner sonst so blütenreinen Robe. Mit der Tat würde er seinen Glauben beweisen, seine Treue. Jakobs Rechte spannte sich um den Schwertgriff, die Linke legte sich mit Nachdruck auf Iolas Oberarm.
"Geh mir aus dem Weg."
Außerdem mochte es ebenso reell sein, dass Jarel ihr den Vater ihrer Tochter nahm. Der Mann war ein Assassine. Jakob würde ihn nicht unterschätzen.

Iola wich nicht zurück. Ganz im Gegenteil.
Die tauchte unter seinen Arm her und schlang ihr Arme um die Tallie des Ritters, umarmte ihn, legte ihre Wange an seiner Schulter ab.
"Ich liebe dich." Die versuchte ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen, Stütze und Halt, doch es gelang ihr nur mäßig. Viel zu groß war ihre Verzweiflung.
Jarel hielt sich da besser, seine Miene blieb eisern, seine Haltung gleich, nur ein Adamsapfel hüpfte nervös.
Das Bild der beiden und Miriams lauter werdendes Weinen brachte ihn fast um den Verstand.

Der Zwiespalt von Pflicht und Gefühl drohte ihn im Inneren zu zerfetzen und er reagierte darauf mit eisiger Kälte. Tötete den Schmerz, indem er sich innerlich zunehmend verhärten ließ. Diese Taktik war ihm aus seinem früheren Leben vertraut, nichts was er nicht zurück holen könnte. Jarel hatte die Mauern mühsam abgetragen, doch Jakob wusste viel zu gut, wie man sie errichtete.
Seine Arme zuckten nur kurz und es sah einen Augenblick so aus, als würde er die Umarmung erwidern. Doch statt dessen schob er Iola von sich, machte sich los und trat einen Schritt zurück. Die Frauen waren Schlangen, so lehrte das Feuer. Ihre Worte wollten becircen, ihr Kuss war Gift. Aber nun musste er sie ansehen, musste sich dem Schmerz in ihren Augen stellen und jenem in seinem Herzen die Stirn bieten.
"Begreif doch, dass das Ewige Feuer mich in diesem Leben für etwas anderes ausersehen hat.", ging er halbherzig auf ihre Worte ein.

Iola ging vor Jakob auf die Knie, brach regelrecht weinend zusammen.
Jakob hatte den Halt verloren und im festen Gefüge des Fanatismus wiedergefunden. Wie einfach es doch war, nicht selber denken zu müssen, keine Entscheidungen mehr zu treffen und blind Befehle zu folgen, sich niemals selbst in Frage zu stellen.
So einfach…und in Iolas Augen so unglaublich falsch.

“Du machst uns alle unglücklich.“, flehte sie und wollte fortfahren, als ihr ein leises, bebendes aber vor allen Dingen fürsorgliches “Das reicht jetzt.“, das Wort nahm.
Jarel tat das, was Jakob nicht tat. Er trat an Iola heran und zog sie sanft auf die Beine, wollte sie zum Körbchen führen, in dem Miriam herzzerreißend zu weinen begonnen hatte.
“Bitte, geh zurück zum Tempel. Um unseres kleinen Engels Willen. Wir regeln das unter uns. Bring die Kleine nicht in Gefahr.“
Da stand er nun, einen Arm um Iola gelegt, die sich kaum allein auf den Beinen halten konnte, das breite Kreuz auf den ersten Blick sorglos dem Mann zugewandt, der die Klinge auf ihn richtete.
Glaubte er nicht, das Jakob ihn angriff?
Doch, er glaubte daran, aber niemals würde ihn Jakob von hinten angreifen und damit vielleicht seine Liebste in Gefahr bringen.
Niemals!


Oder?

Millimeterweise hatte sich die Schwertspitze dem Boden entgegen gesenkt. Er würde die Waffe niemals auf Unschuldige richten. Und er würde auch niemals jemanden ohne Not von hinten angreifen, das verbot ihm die Ehre. Auch wenn er wusste, dass Jarel gerne mal unfair spielte. Er war ein Ritter.
Er wartete ab.

Es dauerte eine geraume Weile voller überzeugender Worte, bis Jarel Iola so weit hatte tatsächlich zu gehen. Er umarmte sie lang und innig, gab Miriam einen Kuss auf die Stirn - was tatsächlich dafür sorgte das aus dem lauten Weinen ein wesentlich leiseres Quengeln wurde und beobachtet die junge Mutter, wie sie schluchzend den Rückweg zum Tempel einschlug.
Nur einmal fuhr Jarel zusammen und wäre beinahe losgestürzt, als Iola zurück zu Jakob sah, strauchelte und um ein Haar stürzte.
Doch alles ging gut und wenig später standen die Männer allein da. Jarel lehnte an einem Baum, verschränkte die Arme und wartetet stumm ab.

Geduld hatte er, doch Jakob blieb auch aufmerksam. Das Geplänkel zwischen Vater und Tochter sollte nicht zu etwas werden, was Jarel zur Flucht nutzen konnte. Doch der geächtete Ritter wollte gar nicht fliehen und als Iola mit Miriam gen Stadt ging, hob Jakob das Schwert erneut.
In einem weiten Bogen führte er es bis vor sich, präsentierte die aufgerichtete Klinge und stellte die Füße.
Nun wartete er nicht mehr, denn er wusste, dass sein ehemaliger Lehrer sowieso den längeren Atem hatte. Kurz und heftig kam der Angriff des Jüngeren - er ließ das Schwert einen Bogen beschreiben, drehte sich in der Vorwärtsbewegung ein und legte den Schwung des wieder ausdrehens in einen Schlag auf Nackenhöhe mit der Stärke des Schwerts geführt.

Da war es vorbei...
...mit der Haarpracht des Schattenläufers.
Jarel hatte die Bewegung erahnt und war mit einem nach Ausfallschritt nach vorn ausgewichen.
Es hatte gereicht. Im beinahe wahrsten Sinne des Wortes um Haaresbreite, den mit einem kurzen Hochzucken der Augenbrauen sah er seinen Zopf nach, den ihm seine neue Liebschaft - eine verstoßene Elfe, mit der er eher aus Einsamkeit als aus Liebe das Bett teilte - erst kurz vor seinem Aufbrechen geflochten hatte.
Der Junge meinte es ernst.
Und sein Plan ihn auszutanzen würde vorraussichtlich fehlschlagen.
Trotzdem zog er nicht die Waffe, sondern versuchte sich hinter Jakob zu positionieren um ihn in den Schwitzkasten zu nehmen.
Eher Jakob sich versah, umschlangen ihn zwei muskulöse Arme wie Stahlspangen.
" Du bist kein blinder Befehlsempfänger, Jakob. Sohn. Sieh in dich. Ist wirklich alles richtig, was sie dir befehlen?"

Die Haarpracht fiel, dann war Jarel aus dem Weg und Jakobs Schwert kollidierte nahezu ungebremst mit dem Stamm des Baums. Die Erschütterung ging ihm durch beide Arme und die Sekunde, die er brauchte, sich zu fangen, nutzte der Schattenläufer, um ihn in den Schwitzkasten zu nehmen.
Das Spielchen kannte Jakob schon. Er hörte nicht zu, sondern spannte sich und hieb Jarel seinen Hinterkopf ins Gesicht. Der Treffer war nicht kritisch, da Rüstung und Arme des Mannes seine Beweglichkeit einschränkten, aber es war ein Treffer und zwar genug, um frei zu kommen.
"Ich bin nicht dein Sohn." Weitere Wahrheiten, die nur darauf abzielten, weh zu tun. Jakob riss das Schwert nach oben, drehte sich von Jarel weg und führte sofort einen Stich gegen diesen.

"Das bist du.", flüsterte Jarel und wich dem Stich mit einer Eleganz und Leichtigkeit aus, die Jakobs komplette Ausbildung in Frage gestellt hätte, hätte er nicht genau gewusst, dass da mehr als Training und Geschick dahinter steckten.
Jarel war mit den Schatten und die Schatten waren mit ihm.
Nach dem Ausweichen griff sein ehemaliger Rittervater nach seiner Schwerthand. Es folgte ein kurzes, heftiges Gerangel und mit einem Mal hielt der Schattenläufer das Schwert des Jungritters. Zu gern hätte er es gegen den Baum geschmettert und zerbrochen, und einen Moment lang hätte er es auch fast getan, denn er wusste um Jakobs Verhältnis zu dieser Waffe.
Statt sie zu zerstören, holte er Schwung und warf das Schwert im hohen Bogen fort, dorthin wo der Farn hoch und dicht stand.
Jakob würde die Klinge finden. Doch jetzt war sie erst einmal außer Reichweite.
"Jetzt reden wir.", kommandierte Jarel leise.

Den Schatten hatte Jakob den Rücken gekehrt, wie er Jarel diesen zugewandt hatte. Was der Schattenläufer tat, war ihm dennoch bewusst und er verurteilte es, wie so vieles inzwischen an seinem ehemaligen Rittervater. Und dann verlor er seine Waffe an diesen, wie so oft im Training, nur das es heute bitterer Ernst war. Er schaute der Klinge nicht nach, sondern behielt Jarel im Auge. Solche kleinen Fehler wurden einem schnell ausgetrieben.
Reden wollte Jarel also? Bitte!
Jakob gewann zwei Schritt Abstand zum Älteren, wies nun mit dem Finger auf diesen.
"Ach ja?! Wieso hat mich dann nicht dein Schwert zum Ritter geschlagen, sondern von Herrenlohs? Wo warst du, als ich dich gebraucht habe? Als die Scoia'tael Nowigrad fast überrannt haben? Warst du dabei? Im Schatten? Bei den Anderlingen, mit denen du dich inzwischen rumtreibst? Hast du zugesehen, wie meine Brüder gefallen sind? Wo warst du, als ich fast am Wundbrand krepiert bin? Das Ewige Feuer hat mich durch diese Zeit getragen, nicht du!" Die Wut ließ ihn nun doch laut werden.

Wie schon früher wurde der Ältere ruhiger, wärmer und nachgiebiger, je mehr sein ehemaliger Knappe hochfuhr.
"Nichts hätte ich lieber getan als in diesen Zeiten an deiner Seite zu bleiben. Nichts hätte mich stolzer gemacht als dich mit eigener Hand zum Ritter zu schlagen. Ich war so unglaublich stolz als ich euch da gesehen habe, du mit deinem weißen Umhang, das Leuchten in deinen Augen, das intelligende, blitzende Grün. Ich habe aber auch den verkniffenen Zug um deine Lippen bemerkt und den suchenden Blick. Fast hatte ich gedacht, du hättest mich gesehen."
Der Schattenläufer lehnte sich abermals an einen Baum, die Hände im Rücken. Er versuchte es lässig aussehen zu lassen um zu verbergen, wie sehr ihm seine Knie zitterten und wie sehr er gegen die Tränen kämpfen musste.
"Und ja, ich war bei dem Gemetzel auf der Lichtung dabei. Doch nicht auf der Seite der Scoia´tael. Ich stand hinter dir, hinter von Alensbach, habe versucht die Schützen aus den Bäumen zu holen, versucht euch den Rücken freizuhalten, doch es waren zu viele. Viel zu viele. Ich sah sie alle fallen. Ich habe einen Schützen nach dem anderen eliminiert, doch den direkten Angriff auf dich konnte ich nicht verhindern."
Er seufzte bei dem Gedanken an seine gefallenen Brüder und senkte den Blick. Erstaunlich, wie sehr es ihn doch traf.
"Auch das sie Henselt verstümmelt haben konnte ich nicht verhindern. Hat er es überlebt? Ich hab ihn seitdem nich mehr gesehen..."
Fahrig fuhr sich Jarel über das Gesicht.
"Das ich danach nicht in deiner Nähe sein konnte, tut mir leid. Dich im Stich gelassen zu haben tut mir leid. Ich freue mich aufrichtig, dass das Feuer dich trägt, doch lass dir davon nicht den Verstand ersticken. Gut und Böse. Du hattest immer ein feines, unerschütterliches Gespür für Recht und Gerechtigkeit. Hinterfrage, was sie dir sagen. Sonst stehst du eines Tages vor einem Leben, dessen Grundfesten du selbst zertrümmert hast."
Worte. Wie üblich war das nicht sein Ding. Nicht seine Wahl der Waffen.
Sollte er erzählen, das er bei dem Angriff ebenfalls nur knapp dem Tode entkommen war? Ein vergifteter Pfeil, Delirium, Dunkelheit.
Hätte Leana ihn nicht gefunden und aus welchem Grunde auch immer gerettet...
Nun...dann wäre ihm wenigstens dieser Schmerz erspart gebleiben. Und eine Menge Schmerz mehr.
"Erinnerst du dich an den unglücklichen Morgen, als du dich verirrt hattest und im Eis eingebrochen warst?", fragte Jarel vorsichtig und hob den Blick, sah Jakob aus glänzenden Augen an.

Jakob rang seine Emotionen nieder. So war er nicht mehr, per eigener Definition. Seine Vorbilder waren neue - von Alensbach, Ralt... besonnene Männer, die auch in der Hitze eines Gefechts den kühlen Kopf bewahrten. So wollte er sein. So sollte er sein. Hart zog er innerlich eine Linie, biss die Zähne aufeinander und sog scharf Luft durch die Nase.
Ruhiger werden. Er musste ruhiger werden.
"Henselt ist tot." Noch in der gleichen Nacht gestorben. Einer seiner wenigen wirklich engen Freunde, Vergangenheit wie so vieles. Und Jakob wollte Jarel nicht glauben, dass er bei allem wirklich da gewesen sein wollte. Das er sich ihm niemals gezeigt hatte, ließ einen Knoten in seiner Brust wachsen, der auch seine Kehle zuzuschnüren drohte. Tausend Warums, die ihm nie einer beantwortet hatte und die nun in den hellen Augen standen, als Jarel ihn endlich wieder ansah.
Natürlich erinnerte er sich. "Damals warst du da. Und ich hab seither immer zu dir gestanden." Seine Stimme drohte ihn zu verraten, als er die Worte sprach, die einst ein Mensch gewordener Gott ebenso an seinen Vater richtete: "Warum hast du mich verlassen?"

"Weil ich keine Wahl hatte." Jarel verzog das Gesicht einen Moment voller Verzweiflung und Trauer, bevor er sich wieder im Griff hatte. Oder...dachte sich im Griff zu haben, denn Jakob kannte ihn zu gut, wusste was er empfand und spürte, wenn er es jetzt richtig anpackte, konnte er seinen ehemaligen Rittervater brechen wie einen trockenen Halm.
"Sie hätten dich verstoßen, wenn rausgekommen wäre, wir sehen uns noch. Verstoßen oder schlimmeres. Du hattest so große Pläne...gute...nein...großartige Pläne! Du könntest noch immer danach streben. Die Welt besser machen, gerechter."
Wieder das Zittern in der Stimme, doch er hielt dem Blick der hellen Augen stand.
"Was hat sich seit damals verändert?"

Jakob ballte die Fäuste.
"Realität, Jarel. An der Spitze des Ordens ist kein Platz für Träumer. Und um dorthin zu kommen, braucht es mehr, als die Idee einer besseren Welt." Er hatte endlich zur Ruhe zurück gefunden. Eisiger Ruhe. "Um weiter zu kommen, braucht man die richtigen Gönner und die richtige Reputation.", womit er seinem Rittervater letztlich Recht gab und gleichzeitig seine Frage beantwortete. Seine Ziele hatten sich nicht verändert, aber er wusste nun, dass er sie niemals erreichen konnte, wenn er nicht mitlief.
Den lange Gesuchten zu stellen, würde seiner Karriere letztlich Aufwind geben.

In den warmen braunen Augen des Schattenläufers leuchtete einen Moment die Hoffnung. "Dann hast du deine Ziele nicht aufgegeben?" Wie auch immer Jakob es gemeint hatte, Jarel sah tatsächlich etwas positives darin.
"Du kannst es allein schaffen. Sieh dir Lothar an. Er hat es ohne Ambitionen, ohne einen Gönner und sogar ohne jegliche Reputation dorthin geschafft."
Und da war ohne Reputation schon euphemistisch. Bernhard war das Kind einer Trosshure, dass er vom Schlachtfeld aus mit in den Orden genommen hatte. Mitsamt Mutter.
"Es wird selbstverständlich schwieriger, langwieriger und wird dich alles kosten, was du aufbringen kannst. Aber Jakob...gib deine Ideale nicht auf. Du bist kein Mensch, der Unrecht ausführt, nur weil es ihm befohlen wird."
Jarel verstummte. Ihm gingen die Worte aus. Einmal mehr.
"Bist du wirklich willens mich zu töten, nur eril es dir gesagt wird? Worum geht es dabei? Um Recht und Unrecht oder darum, dass ich dich verletzt und im Stich gelassen habe."
Noch immer glaubte Jarel an das, was er als das Gute in Jakob bezeichnete.
"Willst du meinem Leben aus tiefsten Herzen ein Ende machen?"

Jakobs Augen fesselten Jarels Blick und die Kälte darin war geeignet, den Schattenläufer im Innersten zu Eis erstarren zu lassen. "Hast du überhaupt eine Ahnung, was es bedeutet, der Knappe eines Verräters zu sein? Eines abtrünnigen Ritters? Eines Klingenmeisters, der alles in den Wind geschossen hat, worauf er je ein Gelübde abgelegt hat? Du hast keine Vorstellung." Ja, seine Ziele waren noch da, aber sie waren in so weite Ferne gerückt und er durfte sich absolut nichts zu Schulden kommen lassen. Seine Linientreue war die Basis für alles. "Ja Jarel, ja. Weil es meine Pflicht ist. Weil du sonst wie ein ewiger Schatten an meinen Fersen hängst."

Jarel senkte den Blick.
Verloren.
Er hatte verloren.
In Zeitlupe zog er - von wo auch immer - einen seiner Dolche.
Schwarzer, schmuckloser, kalter Stahl.
"Ich wollte dir nie im Wege stehen. Pass auf meine Mädchen auf."
Mit diesen Worten hielt er dem Mann, den er liebte wie einen Sohn, die Klinge Griff voran hin.
Jarel hob den Blick. Mit einem solchen Ende hatte er nicht gerechnet.
Er dachte an Slava, den er trotz allem liebte, an seine Kinder, seine Freunde.
Und an Miriam. Sein kleiner Sonnenschein. So gern hätte er sie aufwachsen sehen. So gerne hätte er Iola zum Altar geführt.
So gerne hätte er...

Jakob packte das Heft des Dolches mit einer Entschlossenheit, die ihn selbst kurz erschreckte. Doch die Zeit hatte ihn skrupelloser werden lassen und auch Jarel hatte bereits seinen Anteil an diesem Wesenszug. Der junge Ritter brauchte nicht lange, zögerte kaum einen Herzschlag, denn wenn er zögerte, würde er vielleicht den Mut verlieren. Er machte den einen Schritt, packte Jarel am Kopf, bog diesen seitlich und rammte den Dolch in der gleichen Bewegung in die Schlagader. Der einzige Bereich, der nicht von Leder geschützt war.
Sofort sprudelte heißer Lebenssaft über seine Hand und er sank zusammen mit Jarel zu Boden, nun doch entsetzt über seine Tat. "Vergib mir.", flüsterte er gegen das schwarze Haar, während er den zuckenden Leib fest an sich presste.
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