Re: Wyzima - Straßen und Gassen
Verfasst: Donnerstag 13. Juli 2023, 22:34
Es geschah auch etwas anderes als das, womit er gerechnet hatte.
Statt zumindest etwas klarer zu werden, wurde der ältere von einem Hustenanfall besonderer Güte durchgeschüttelt.
Erst als der Anfall vorbei war und Jarel jappste wie ein Fisch auf dem trockenen, wurde er eine Spur klarer.
"Ich würd mich gern ne kleine Weile setzen."
Jakob hielt Jarel während des fürchterlichen Hustenanfalls so fest er konnte an seine Seite gepresst. Scheiße, was sollte er nun mit ihm machen? Beide Tempel kamen nicht in Frage - er konnte nicht zulassen, dass irgendwen ihn so sah. Kein Ritter und schon gar nicht Iola. Er überlegte fieberhaft, während Jarel scheinbar etwas zu sich kam.
Setzen? Auf keinen Fall - dann bekam er ihn sicher nie wieder hoch. Ein erneutes Deja-vu rollte durch seinen Kopf: Jade, die im Drogenrausch genau so über seiner Schulter hing und keinen Meter mehr gehen wollte. Selbst dieses Persönchen zu bewegen, war ein Kraftakt gewesen.
"Komm, erstmal noch ein Stück weg hier." Damit ging er los und hoffte einfach.
Tatsächlich folge der schwere Klotz, fast wie in Trance, Eine leere, verstandsbefreite, willenlose Hülle, deren Schritte immer unsicherer und weicher in den Knien wurden.
"Ich will nach Hause.", nuschelte der Brocken. "Ins Lamm. Zu meiner Schwester. Da hab ich noch gereicht... "
"Meine Kinder wiedersehen.", murrte er nach einer langen Pause. "Ila...sogar meinen Vater vermisse ich. Auch wenn unser Verhältnis nach Mutters Tod echt am Arsch war."
Ganz offensichtlich wurde der Ritter redselig, wenn er besoffen war.
Jakob biss die Zähne aufeinander und zog Jarel einfach vorwärts, so weit dieser mitlief, allerdings hatte er den Eindruck, der Mann wurde zusehends schwerer. Der Knappe begann zu schwitzen.
"Wie war dein Vater so?", versuchte er Jarel wach zu halten, während sie die Mauer erreichten und das Tor passierten. In Alt-Wyzima wurde das nicht mehr bewacht, man wachte nur über die Insel, entsprechend war das Klientel auf dem Festland. Jakob war vor ein paar Tagen von dieser Seite gekommen, daher hatte er nun ein Ziel vor Augen: eine verlassene Fischerhütte, in der er genächtigt hatte.
"Streng.", antwortete der tatsächlich immer schwerer werdende Klotz zunächst.
"Streng, aber gerecht. Hat nicht viel geredet. Dafür war Mutter zuständig. Von ihm hab ich das Kochen gelernt... und das Schweigen."
Nicht nur Ritter wurde immer schwerer, auch Stimme und Stimmung zog es abwärts.
Er ließ den Kopf hängen, starrte vor sich und tauchte spürbar immer tiefer in Erinnerung und Melancholie ein.
"Meiner auch. Streng, aber meistens fair. Manchmal vermisse ich ihn auch." Er sortierte sich unter Jarels Gewicht etwas um, packte das Handgelenk des Ritters fester und mit der anderen Hand einfach den Hosenbund der Lederhose.
"Mutter hatte allerdings das bessere Händchen für Strafen." Er klang gepresst. So weit war ihm der Weg bis zur Hütte gar nicht vorgekommen.
"Von den Kindern musst du mir mehr erzählen. Ich werde... Tipps brauchen." Verflucht, so würde das nichts werden.
Der Gesichtsausdruck des Ritter geriet auf unheimliche Weise leer und abwesend. Es wirkte, als sei etwas auf eine endgültige unumkehrbare Art zerbrochen.
"Clay..." Er seufzte.
"Ilarion und ich haben uns sehr unterschieden. Nicht nur, weil wir verschiedenen Rassen abstammen.", begann der Ältere einen lallenden Monolog.
"Er war ein unglaublich hübscher Kerl, wickelte das Weibsvolk reihenweise um den Finger. Hatte jeden Abend mindestens eine andere." Jarel atmete tief durch. Seltsam…das schmerzte sogar jetzt noch.
"In einer Nacht zogen wir gemeinsam los. Er hatte eine besondere Nacht mit zwei rassigen Sin'Dorei organisiert. Erinnern kann ich mich kaum. Drogen... Alkohol.. Zehn Monate später wurde mir ein Säugling in die Arme gedrückt. Die zweite Hure. Sie behauptete, ihre Kollegin sei bei der Geburt gestorben und ich solle mich um das verfluchte Halblings- Kind, das sie trotz Verhütung empfangen habe selber kümmern. "
Und kleine Weile verstummte Jarel. "So wurde ich schlagartig Vater. Es hat etwas gedauert, aber ich habe ihn lieben gelernt."
Der Alkohol, der seinen Verstand benebelte, das Selbstmitleid in dem er gerade badete und die Sehnsucht nach der Heimat verklärten seine Erinnerungen, wie es so oft war, wenn man alt wurde, ganz nach dem Motto 'Früher war alles besser'.
"Mit Alystin erging es uns ähnlich. Allerdings war die Mutter keine Hure, sondern eine seiner zahlreichen Affären. Die Kleine verdreht jetzt sicher mit ihrer Schönheit den Männern den Kopf."
Fast hätte er vergessen, warum Jakob die Frage überhaupt vorgeschoben hätte. Aber nur fast.
"Tipps kann ich dir nur zwei geben. Hör auf dein Bauchgefühl. Und lass dir nicht reinreden. Du wirst es richtig machen. Du bist ein schlauer und guter Junge. Der Rest kommt von allein."
"Seine anderen Kinder wuchsen bei ihren Müttern auf. Einmal hat er Drillinge mit der Mutter eines Bekannten und ein Mädchen mit dessen Ehefrau gezeugt. Elfen sind da...recht frei. Monogamie ist da nicht angesagt."
Er redete. Gut, dann blieb er wach und bewegte sich vorwärts. Darauf, wirklich Antworten zu bekommen, spekuliert der Knappe eigentlich nicht. Umso überraschender, dass Jarel tatsächlich geistig noch so weit bei ihm war, dass er die Frage aufgenommen hatte.
Bauchgefühl.
Nicht rein quatschen lassen.
Gut, das waren zwei Dinge, denen er ohnehin oft folgte, nur ersteres ignorierte er gern. Ebenso gern hätte er nun das ungute Gefühl ignoriert, das in seinen Eingeweiden Platz beanspruchte, denn je mehr Jarel vor sich hin lallte, desto klarer wurde dem "guten Jungen", dass sein Rittervater nicht nur ein Bier gehabt hatte. Der Vergleich zu Jade drängte sich ihm auf und damit kam die Angst, dass irgendwas Furchtbares passieren würde, dem er nicht Herr würde. Jakob fiel in Schweigen, stapfte durch die dunkle Morgenstunde nordwärts, bis im Schein des Mondes und der fernen Leuchtfeuer Wyzimas die kleine Hütte auftauchte.
"Warte hier." Er setzte Jarel an einen Baum, warf ihm seinen eigenen Mantel um die Schultern - verdammt, das hätte er längst tun sollen! - und schlich zur Hütte, um sich zu vergewissern, dass dort keine böse Überraschung lauerte.
Der degradierte Ritter war tatsächlich – zumindest für die Verhältnisse eines Mannes, der fast zwei Flaschen Rum geleert und sich dazu ‚sonst noch was‘ reingepfiffen hatte – erstaunlich klar.
Später würde es Jakob vielleicht dämmern: Der Mann war lange Zeit Alkoholiker und drogenabhängig gewesen. Und für so jemanden war es typisch, dass man ihm die Trunkenheit weniger anmerkte als einer Person, die sich das Leben nicht mit dieser Sucht versaut hatte.
Während Jakob in der Hütte nach dem Rechten sah, sank der Ritter immer weiter vorn über und somit auch zusammen. Trotzdem es eigentlich nicht kalt war, zitterte der Mann. Doch an dem Zittern war seltsam. Es waren keine kleinen, vibrierenden Bewegungen. Es war eher ein ausholendes Schlottern, das Jakob wahrscheinlich mehr an Parkinson als an eine frierende Person erinnerte.
Wenn die böse Überraschung nicht in der Hütte lauerte, dann eher unter dem Baum.
Statt zumindest etwas klarer zu werden, wurde der ältere von einem Hustenanfall besonderer Güte durchgeschüttelt.
Erst als der Anfall vorbei war und Jarel jappste wie ein Fisch auf dem trockenen, wurde er eine Spur klarer.
"Ich würd mich gern ne kleine Weile setzen."
Jakob hielt Jarel während des fürchterlichen Hustenanfalls so fest er konnte an seine Seite gepresst. Scheiße, was sollte er nun mit ihm machen? Beide Tempel kamen nicht in Frage - er konnte nicht zulassen, dass irgendwen ihn so sah. Kein Ritter und schon gar nicht Iola. Er überlegte fieberhaft, während Jarel scheinbar etwas zu sich kam.
Setzen? Auf keinen Fall - dann bekam er ihn sicher nie wieder hoch. Ein erneutes Deja-vu rollte durch seinen Kopf: Jade, die im Drogenrausch genau so über seiner Schulter hing und keinen Meter mehr gehen wollte. Selbst dieses Persönchen zu bewegen, war ein Kraftakt gewesen.
"Komm, erstmal noch ein Stück weg hier." Damit ging er los und hoffte einfach.
Tatsächlich folge der schwere Klotz, fast wie in Trance, Eine leere, verstandsbefreite, willenlose Hülle, deren Schritte immer unsicherer und weicher in den Knien wurden.
"Ich will nach Hause.", nuschelte der Brocken. "Ins Lamm. Zu meiner Schwester. Da hab ich noch gereicht... "
"Meine Kinder wiedersehen.", murrte er nach einer langen Pause. "Ila...sogar meinen Vater vermisse ich. Auch wenn unser Verhältnis nach Mutters Tod echt am Arsch war."
Ganz offensichtlich wurde der Ritter redselig, wenn er besoffen war.
Jakob biss die Zähne aufeinander und zog Jarel einfach vorwärts, so weit dieser mitlief, allerdings hatte er den Eindruck, der Mann wurde zusehends schwerer. Der Knappe begann zu schwitzen.
"Wie war dein Vater so?", versuchte er Jarel wach zu halten, während sie die Mauer erreichten und das Tor passierten. In Alt-Wyzima wurde das nicht mehr bewacht, man wachte nur über die Insel, entsprechend war das Klientel auf dem Festland. Jakob war vor ein paar Tagen von dieser Seite gekommen, daher hatte er nun ein Ziel vor Augen: eine verlassene Fischerhütte, in der er genächtigt hatte.
"Streng.", antwortete der tatsächlich immer schwerer werdende Klotz zunächst.
"Streng, aber gerecht. Hat nicht viel geredet. Dafür war Mutter zuständig. Von ihm hab ich das Kochen gelernt... und das Schweigen."
Nicht nur Ritter wurde immer schwerer, auch Stimme und Stimmung zog es abwärts.
Er ließ den Kopf hängen, starrte vor sich und tauchte spürbar immer tiefer in Erinnerung und Melancholie ein.
"Meiner auch. Streng, aber meistens fair. Manchmal vermisse ich ihn auch." Er sortierte sich unter Jarels Gewicht etwas um, packte das Handgelenk des Ritters fester und mit der anderen Hand einfach den Hosenbund der Lederhose.
"Mutter hatte allerdings das bessere Händchen für Strafen." Er klang gepresst. So weit war ihm der Weg bis zur Hütte gar nicht vorgekommen.
"Von den Kindern musst du mir mehr erzählen. Ich werde... Tipps brauchen." Verflucht, so würde das nichts werden.
Der Gesichtsausdruck des Ritter geriet auf unheimliche Weise leer und abwesend. Es wirkte, als sei etwas auf eine endgültige unumkehrbare Art zerbrochen.
"Clay..." Er seufzte.
"Ilarion und ich haben uns sehr unterschieden. Nicht nur, weil wir verschiedenen Rassen abstammen.", begann der Ältere einen lallenden Monolog.
"Er war ein unglaublich hübscher Kerl, wickelte das Weibsvolk reihenweise um den Finger. Hatte jeden Abend mindestens eine andere." Jarel atmete tief durch. Seltsam…das schmerzte sogar jetzt noch.
"In einer Nacht zogen wir gemeinsam los. Er hatte eine besondere Nacht mit zwei rassigen Sin'Dorei organisiert. Erinnern kann ich mich kaum. Drogen... Alkohol.. Zehn Monate später wurde mir ein Säugling in die Arme gedrückt. Die zweite Hure. Sie behauptete, ihre Kollegin sei bei der Geburt gestorben und ich solle mich um das verfluchte Halblings- Kind, das sie trotz Verhütung empfangen habe selber kümmern. "
Und kleine Weile verstummte Jarel. "So wurde ich schlagartig Vater. Es hat etwas gedauert, aber ich habe ihn lieben gelernt."
Der Alkohol, der seinen Verstand benebelte, das Selbstmitleid in dem er gerade badete und die Sehnsucht nach der Heimat verklärten seine Erinnerungen, wie es so oft war, wenn man alt wurde, ganz nach dem Motto 'Früher war alles besser'.
"Mit Alystin erging es uns ähnlich. Allerdings war die Mutter keine Hure, sondern eine seiner zahlreichen Affären. Die Kleine verdreht jetzt sicher mit ihrer Schönheit den Männern den Kopf."
Fast hätte er vergessen, warum Jakob die Frage überhaupt vorgeschoben hätte. Aber nur fast.
"Tipps kann ich dir nur zwei geben. Hör auf dein Bauchgefühl. Und lass dir nicht reinreden. Du wirst es richtig machen. Du bist ein schlauer und guter Junge. Der Rest kommt von allein."
"Seine anderen Kinder wuchsen bei ihren Müttern auf. Einmal hat er Drillinge mit der Mutter eines Bekannten und ein Mädchen mit dessen Ehefrau gezeugt. Elfen sind da...recht frei. Monogamie ist da nicht angesagt."
Er redete. Gut, dann blieb er wach und bewegte sich vorwärts. Darauf, wirklich Antworten zu bekommen, spekuliert der Knappe eigentlich nicht. Umso überraschender, dass Jarel tatsächlich geistig noch so weit bei ihm war, dass er die Frage aufgenommen hatte.
Bauchgefühl.
Nicht rein quatschen lassen.
Gut, das waren zwei Dinge, denen er ohnehin oft folgte, nur ersteres ignorierte er gern. Ebenso gern hätte er nun das ungute Gefühl ignoriert, das in seinen Eingeweiden Platz beanspruchte, denn je mehr Jarel vor sich hin lallte, desto klarer wurde dem "guten Jungen", dass sein Rittervater nicht nur ein Bier gehabt hatte. Der Vergleich zu Jade drängte sich ihm auf und damit kam die Angst, dass irgendwas Furchtbares passieren würde, dem er nicht Herr würde. Jakob fiel in Schweigen, stapfte durch die dunkle Morgenstunde nordwärts, bis im Schein des Mondes und der fernen Leuchtfeuer Wyzimas die kleine Hütte auftauchte.
"Warte hier." Er setzte Jarel an einen Baum, warf ihm seinen eigenen Mantel um die Schultern - verdammt, das hätte er längst tun sollen! - und schlich zur Hütte, um sich zu vergewissern, dass dort keine böse Überraschung lauerte.
Der degradierte Ritter war tatsächlich – zumindest für die Verhältnisse eines Mannes, der fast zwei Flaschen Rum geleert und sich dazu ‚sonst noch was‘ reingepfiffen hatte – erstaunlich klar.
Später würde es Jakob vielleicht dämmern: Der Mann war lange Zeit Alkoholiker und drogenabhängig gewesen. Und für so jemanden war es typisch, dass man ihm die Trunkenheit weniger anmerkte als einer Person, die sich das Leben nicht mit dieser Sucht versaut hatte.
Während Jakob in der Hütte nach dem Rechten sah, sank der Ritter immer weiter vorn über und somit auch zusammen. Trotzdem es eigentlich nicht kalt war, zitterte der Mann. Doch an dem Zittern war seltsam. Es waren keine kleinen, vibrierenden Bewegungen. Es war eher ein ausholendes Schlottern, das Jakob wahrscheinlich mehr an Parkinson als an eine frierende Person erinnerte.
Wenn die böse Überraschung nicht in der Hütte lauerte, dann eher unter dem Baum.