Das Haus der Melitele - inneres Heiligtum

Wyzima war die Hauptstadt von Temerien und einst Herrschersitz von König Foltest. Von hohen Stadtmauern umgeben, liegt sie an den Ufern des Wyzimasees; die Ismena fließt durch Wyzima und mündet in diesen. Das Bier "Wyzimas Gold" wird hier gebraut.
Nach der Ermordung des König streiten nun Herzoge und Barone um de Herrschaft.
Zeitweise war Wyzima der Sitze var Emreis, denn Temerien ist von Nilfgard besetzt.
in Wyzima ist der Orden der Flammenrose strak, inoffiziell regiert hier der Orden.
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Jakob von Nagall
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Lebenslauf: Jakob von Nagall

Er war nicht so tief weg, dass er gar nichts mitbekam, aber alles war unscharf und überzeichnet zugleich, jede Bewegung fühlte sich ausholend an, weich und unkoordiniert. Aber er half etwas mit, als sie ihm die Kleidung abstreifte. Im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Kurz sackte er wieder in den Dämmerschlaf, dann berührte Nässe seine Haut, wärmte erst und kühlte dann, als sie trocknete. Überdeutlich, viel zu klar. Ein Schwamm. Finger. Finger auf seiner Haut, der Berg- und Tallandschaft seiner Narben. Es erinnerte ihn an etwas.
Finger auf seiner Schläfe. Er schlug die Augen auf, deren Glanz seinen Zustand überdeutlich machte, aber er sah sie. Iola, das hübsche Mädchen mit den blauen Augen. Doch jetzt fehlte etwas, dass ihn immer band, wenn er sie ansah. Das ihn hielt und einen Abstand wahrte, den der Anstand gebot und sein Schwur. Es war weg. Da war nur ein perlendes Gefühl, das seine Seiten entlang lief.
Er hob die Hand, berührte ihr Gesicht, das im dämmrigen Licht seltsam verklärt wirkte.

Er hob seine Finger und berührte sie.
Das setzte nicht nur ihre Seele in Flammen, sondern auch ihr Körper begann lauter nach etwas zu verlangen, von dem sie bisher nicht gewusst hatte, dass sie es in sich trug.
Seine Finger spielten auf ihr wie ein Bogen auf einer Violinsaite, brachte sie zum Klingen, etwas tief in ihr zum Vibrieren.
Sie wollte etwas. Aber was? War es das, was in den Büchern über die Fortpflanzung gesehen hatte?
Sie wusste es nicht, aber sie war bereit es herauszufinden.
Seine schmalen Lippen zogen die ihren an wie ein Magnet. Sie ließ sich von diesem Impuls ziehen, legte ihren Oberkörper auf seinen, drückte ihre Lippen auf seinen Mund, ohne genau zu wissen warum. Es war richtig so. Seine Lippen waren rau und eine nicht ganz so verliebte, nicht ganz so berauschte Person hätte an den Verlauf seines Ausfluges gedacht und den Kuss vermieden.
Nicht Iola.
Ihr Herz schlug so hart gegen ihre Brust das sie dachte, wenn sie dem Begehren nicht nachging, würde es ihr zerspringen.
Unwissend, dass es da mehr gab als nur die Lippen aufeinander zu drücken huschten ihre schmalen Finger in sein Haar, seinen Nacken, über seine Schulter.
Sie spürte wie sich ihre Brustwarzen aufrichteten und gegen die Stoffstreifen rieben, die sie um den Oberkörper gewickelt trug. Wie es sich wohl anfühlte, wenn sie ihre Haut nackt auf seine legte?
Ob es ihm so gefiel wie ihr?
Völlig im Kuss versunken rückte die Welt weit fort von ihr.

Sie war so nah, schmeckte so süß. Sein Verstand war noch im Delirium, sein Körper folgte einfach der Verlockung ihrer Weiblichkeit. Jakobs Hände glitten unter ihr Hemd, folgten einem Instinkt, der so alt war, wie das Leben selbst.

Ihr Zögern verlosch wie ein Feuer, auf den ein Schlagwetter niederging.
Sie zog sich mit fließenden Bewegungen aus, löste die Bänder um ihre Oberweite, streifte ihr Untergewand ab, ließ alles achtlos zu Boden gleiten und schlüpfte zu ihm ins Bett.
Noch lag sie neben ihm, schwer atmend immer wieder nach seinen Lippen haschend, während ihre Finger seinen Körper erforschten und seine Hände den ihren. Seine Finger fanden Brustwarzen so hart, dass man damit einen gefrorenen Acker hätte umpflügen können.
Zwischen den Schenkeln des Jungen gerieten ihre Finger an etwas, dass sie bisher nur in der nicht erigierten Version kannte. Das hier war anders. Erstaunt linste sie zwischen die beiden vor Schweiß und Luftfeuchtigkeit glänzenden Körper. Ja…das kannte sie von den Stichen. Und jetzt war ihr auch klar, warum es in den Büchern immer so detailliert dargestellt war. Stramm vor Jakobs flachem Bauch stehend lachte ihr die pure Verlockung entgegen.
Und tief in sich wusste sie auch, was sie nun anfangen würde. Anfangen wollte. Anfangen musste.
Sanft schob sie ihn auf den Rücken und schwang sich auf seine Oberschenkel, nahm seinen Schaft in die Hand, spielte etwas damit, stöhnte tonlos. Wie es ging, wusste sie nicht recht.
Noch einen Kuss…ja, dann würde sich alles ergeben. So legte sie sich also auf ihn, seinen Schwanz zwischen seinen und ihren Bauch einklemmend, küsste ihn wieder – Küssen war sooo schön – und rieb sich an ihm, ihre Schenkel an seiner Hüfte, ihr dunkles Haar schirmte seine Sicht, so dass er nur sie sah, nur sie roch, nur sie spürte.
Es gab nur noch sie. Und ihn. Und ihre gemeinsame Lust.

Er trank ihre Küsse, atmete ihren Duft und fiel dem Feuer ihrer Berührungen hoffnungslos zum Opfer. Von allen Hemmungen befreit, erkundete er ihren jungen Körper, ließ keinen Zentimeter aus, auch wenn alles wie durch einen Dunstschleier zu ihm drang. Die Reaktion seines Körpers war ihm vertraut - wie wohl jeder Junge hatte auch Jakob sich unzählige Male der Sünde des Onan schuldig gemacht - aber von feiner Frauenhand berührt zu werden, einen warmen Körper auf der eigenen Haut zu spüren, war aufregend neu. Die Euphorie machte ihn etwas wacher, auch wenn dieses Bewusstsein verzerrt war von den Giften in seinem Blut.
Er stieß keuchend den Atem aus, als sie sich an ihn presste, bewusst oder unbewusst mit seiner Erektion spielte. Sie war schön. Ihre blauen Augen leuchteten überirdisch. Ein Engel. Sein Engel.
Sein überhitztes Gehirn gaukelte ihm Bilder vor, ließ die Ränder verschwimmen und Iolas Gesicht. Ließ sie zu Aria werden, zu Sindra, zu Miriam, zu Petra (oder Paula) - zu allen Frauen, die seine jugendliche Libido je angesprochen hatten. Bis er wieder zurück stürzte ins Jetzt. Ins Hier. Verloren.
Ein Sünder. Elend.
Aber die Hölle würde noch eine Nacht warten.

Der Rest des Aktes ertrank in Rausch und Delirium.
Halb seinen Händen, halb ihren Instinkten gefolgt richtete sie sich auf ihn auf, brachte ihn in Position…und senkte ihr Becken dem seinen entgegen.
Er spürte den Widerstand, hörte ihr tonloses Keuchen, eine Mischung aus kurzem Schmerz und aufflammender Lust, roch die Kräuter der Seife, ihren Schweiß, den leichten Geruch von Kupfer.
Und dann empfing ihn enge, tropfend feuchte Hitze.
Es brauchte nicht viel sie zu steuern. Eine kurze, sanfte Berührung seiner Hand, gewichtsloser Druck auf ihrem Becken. Sie gab keinen Laut von sich, doch schon nach wenigen Minuten warf sie den Kopf in den Nacken, ihr dunkles Haar folgte dem Schwung in einem weiten Bogen. Sie spannte den Körper, begann zu zittern. Er hatte nicht viel Mühe mit ihr. Einige kurze Stöße nach oben und sie begann zu zucken. Auf ihren Lippen ein Stöhnen, das keinen Laut abgab, doch ihr Körper rief um so lauter ihre Lust hinaus. Eng. Heiß, pulsierend.
Er kam. Mit ihr.
Und endlich riss ihn die Schwärze hinweg in einen tiefen und endlich auch erholsamen Schlaf.
Es war keine lange Nummer gewesen. Kein endloses Wälzen in den Laken. Trotzdem fühlte Iola sich, wie sie sich noch nie gefühlt hatte.
Sie war erfüllt von einer Liebe, die ganz anders war als die zur Muttergöttin. Tiefer, brennender, verlangender.
Noch bevor der gemeinsame Höhepunkt in ihrem Körper verklungen war lag er reglos da, ein seliges – und ein wenig dümmliches- Lächeln auf den Lippen, tief atmend, schlafend, ruhig.
Wenigstens für diese Nacht hatte sie ihm das Leid genommen. Ob sie jemals wieder das Bett teilen würden?
Sie wusch ihn nochmal, versuchte alle Spuren zu verwischen. Der Ritter würde mit ihr hadern, wenn er es wüsste. Schlimmer noch, Jakob durfte keine Frauen haben. Was hatte sie nur getan?!
Sie wusch, ließ alles verschwinden, drehte ihn auf die Seite, platzierte das Bettzeug so, dass er sich nicht umdrehen konnte.
Was sie nicht wusste war, dass ihr Retter und Vormund über eine Nase verfügte, die weit besser war als die eines Menschen. Zumindest so lange die Bestie in ihm das wollte.

Als Jarel sich nach der Dämmerung endlich von Iolas Schulter löste, in Jakobs Zimmer trat und ihn betrachtete, wollte der Schwarze es. Und wie er es wollte. Er präsentierte die Aromen in der Luft auf einem Silbertablett, rieb sie dem Ritter im wahrsten Sinne des Wortes unter die Nase.
Der alte Mann erstarrte, es dauerte Minuten, bevor er die Tür von innen schloss. Und sich schwer auf den Stuhl neben dem Tischchen fallen ließ.
Er starrte Jakob an, atmete tief durch die Nase ein. Brandnarben, Narben von selbst zugefügten Peitschenhieben. Der unverkennbare Duft der Grünen Fee. Alkohol. Erbrochenes. Urin. Eine feine Spur Blut. Selbstverständlich, darauf wies der schwarze schließlich besonders hin.
Und natürlich...Sex.
Die Bestie hatte Spaß an der Reaktion, witterte Lunte, befeuerte die Wut seines Gefängniswärters, den Ausbruch direkt vor Augen. Das würde ein Spaß…
Die Nacht brach ein und als Jakob langsam wieder dem Traumland entkam, war das erste was er fühlte eine wohlige Post koitale Schwere. Das zweite ein unglaublicher Kater und brennender Durst.
Und das dritte…
Das Dritte waren seine Instinkte, die ihn warnten. Es war stockduster im Raum. Zu hören waren außer dem scharfen, Übelkeit erregenden Rauschen zwischen seinen Ohren, nichts.
Aber er spürte es. Etwas starrte ihn an. Und dieses Etwas hegte in diesem Moment keine Zuneigung.
Dieses etwas war wütend. Und gefährlich.

Er erwachte mühsam - etwas zerrte ihn ins Bewusstsein - etwas, was Gehör verlangte. Konditionierung, die ihre Mühe mit dem zerstören Ding hatte, was Jakob zur Zeit war. Zunächst rührte er sich nicht - immerhin dieser Impuls reagierte noch - und forschte an sich. Er war nackt, verstrickt in seine Laken und sein Kopf lag zwischen zwei gigantischen Mühlsteinen.
Es war dunkel und er fühlte sich...
Er war blind!
Wichsen macht blind, Jung!, hörte er seinen Opa schimpfen. Seine Oma lachte und er bekam heiße Ohren.
Der Alkohol machte sich längst nur noch als Gift bemerkbar, aber die zusätzlichen Stoffe aus dem Gebräu der zahnlückigen Alten hatten sein Gehirn noch voll im Griff. Realität und Erinnerungen mischten sich auf groteske Weise in seinem Kopf, malten Bilder und weckten Tote. Dann huschten wieder Momente der Klarheit vorbei.
Es war dunkel.
Nacht. Nicht blind, Idiot.
Er versuchte seinen Kopf von den Mühlsteinen zu befreien.
Ächzend wälzte er sich auf den Rücken, was zur Folge hatte, dass aus dem Mühlstein eine glühende Nadel wurde, die jemand in seinen Gehörgang hämmerte. Trotzdem versuchte er hoch zu kommen. Er musste pissen, hatte Durst und brauchte endlich Licht. Er fühlte sich unwohl so im Dunkeln. Irgendwas kratzte an seiner Aufmerksamkeit, aber diese war noch zu benebelt. Außerdem sorgte der Versuch sich aufzurichten gleich dafür, dass die spärlichen Reste seines Mageninhalts nach Ausgang verlangten.
Jakob kippte halb über den Bettrand. Das er den Eimer zu greifen bekam, den die umsichtige Iola dort platziert hatte, war pures Glück.
Stöhnend rollte er sich wieder auf sein Bett, tastete nach der Nachttischlampe. Erfühlte das Talglicht. Achja.
Es dauerte eine weitere gefühlte Ewigkeit und brauchte mehrere Anläufe, dann flammte der Docht auf und warf ein gelbliches Licht.
Jakob erstarrte. Seine Augen waren in die richtige Richtung gerichtet, aber es war, als sehe er zunächst nichts dort. Herzschlag um Herzschlag verklang, dann endlich zuckte sein Stammhirn, ließ ihn zurück prallen, bis die Wand grob in seinem Rücken war und neuer Schmerz in seinem Kopf die Schatten tiefer werden ließ.
Samuel!
Sein Puls begann zu rasen.
Nein, Samuel war tot.
Das hier war nicht real!
Wie ein Kind, das damit die Schreckgespenster der Nacht aussperren wollte, kroch er wieder in die Laken und zog das Kissen über seinen Kopf.

Der Schatten auf dem Stuhl sagte noch immer keinen Ton.
Aber er machte ein Geräusch.
Tacktacktack
kleine Pause
Tacktacktack
wieder eine Pause...
Das ungeduldige Trommeln von Fingernägeln auf Holz.

Da war nichts.
Nichts.
NICHTS!
Die Faust, die das Kissen auf seinem Kopf hielt, krallte sich fester hinein.

Das ganze wiederholtesich.
Tommeln von Fingernägeln auf Holz.
Pause...
und wieder.
Mal sehen, wer als ersts aufgeben würde.
Der Mann auf dem Stuhl, oder die Blase des Knappen.
"Geh weg. Du bist nicht echt.", tönte es gedämpft unter dem Kissen hervor. Doch es klang eher flehend, als befehlend.
Ein unwilliges Brummen war die Antwort.
"Für einen Feigling hatte ich dich bisher nicht gehalten."

Die Stimme kannte er. War das jetzt besser? Er war nicht sicher.
Die Worte trafen ihn nicht besonders. Was manche Dinge anging war er ein schrecklicher Feigling und gerade war ihm so elend, dass Jarel ihn gerne alles nennen durfte, wenn er es nur nicht zu laut tat und dann wieder verschwand.
Er wühlte ein wenig in den Laken.
Achja. Pissen.
Die Geräusche, die als nächstes aus dem Kissen drangen, klangen nach Flüchen.
Endlich tauchte ein halbes Gesicht zwischen Strohsack und Kissen auf, schielte blinzelnd zu der finsteren Gestalt in der Ecke. Die Bedrohung, die dieser bewusste aufbaute, war mit Händen zu greifen und sie hatte ihre Wirkung auf Jakobs Organismus. Nur sein Verstand war noch luftig unterwegs, sodass er die Dreistigkeit besaß zu maulen: "Wenn du mir den Kopf abreißen willst, mach schnell. Dann hören wenigstens die Zwerge darin auf zu hämmern."

Die Antwort war leise, doch scharf. Sehr scharf.
"Passiert das jetzt jedes Mal, wenn ich dich auf deine Vergangenheit anspreche, Knappe?"
Nicht 'Jakob' Nicht 'Junge'. Etwas hatte sich verschoben. Weg von der immer verständnisvollen Art. Weg von dem verhohlenen Stolz, wenn er sich beim Mist bauen besonders geschickt angestellt hatte. Weg vom väterlichen. Das war mehr als nur Wu über einen ordentlichen Rausch.
Etwas lief hier schief.

"Was würde deine Schwester dazu sagen, wenn sie erführe was du getan hast. Was du getan hast, statt ihren Namen zu ehren? Was du mit deinem Körper tust und..." Er verstummt.
"Ich habe nicht das Recht, dir dein Leid abzusprechen und du nicht die Pflicht, mit mir darüber zu reden. Auch wenn du dich an die Geübte nicht gebunden fühlst, kratzt mich das nicht. "
Er beugte sich vor und wurde eine Spur lauter.
"Aber deinen Körper mit Drogen zu geisseln und dich von einem Mädchen aus der Gosse ziehen zu lassen..."
Ein dunkles Knurren drang an Jakobs Ohr. Da war noch etwas, was der Ritter allerdings herunterschluckte.

Knappe. Neuer Tonfall. Ein Ton, der ihm im Normalfall sogar Genugtuung bereitet hätte, denn es hieß, er hatte es mal wieder geschafft. Das Maß voll gemacht, den nächsten Akteneintrag kassiert. Seine eigene traurige Statistik weiter voll gemacht.
Moment. Auszeit.
Anderes Leben, andere Umstände.
Hier hatte er doch ein anderer sein wollen. Neu anfangen. War doch bisher gut gelaufen: er stellte nichts allzu gravierendes an und Jarel benahm sich nicht wie all die anderen.
Gerade versagten sie beide.
Die Leier. Ach verdammt... Was würde dein Vater sagen, was deine Mutter... Zugegeben, Schwester war neu, aber das Schema das Gleiche.
Dann wurde es verwirrend. Oder besser noch verwirrender. Drogen??
Er stöhnte leise. Zu laut.
"Ich weiß es nicht.", hatte er irgendwann mitten in Jarels Monolog angefangen zu murmeln.
"Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht!" Auch seine Stimme wurde lauter, bis es in seinen Ohren pfiff.
"Was für Drogen?", murmelte er wieder leiser, seinem eigenen Kopf zugunsten. Er kramte wirklich in seiner Erinnerung, aber je mehr er es versuchte, desto chaotischer schienen diese zu werden.
"Ich wollte nur ein Bier trinken... Besser als 'ne Schlägerei anzufangen, oder?!" Seine Stimme klang, als habe er eine Drahtbürste gefressen. Immerhin weckte ihn das Adrenalin langsam immer mehr auf.

Irgendwie gelang es ihm, in eine sitzende Position zu kommen, ohne das Gefühl zu haben, sein Magen kehre sich um. Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, aber besser wurde davon nichts. Nicht das verschobene Körpergefühl, nicht der Schmerz, nicht die Wut über die Vorwürfe.
"Ich habe mich immer an alle meine Gelübde gehalten! Alle!" Irgendwie war ihm das wichtig, so egal es Jarel auch sein mochte.
Tacheles also? Er fühlte sich nicht danach - ganz und gar nicht. Und er musste pissen. Der Eimer war verlockend... Er stank eh schon. Doch er widersetzte sich.
"Da ist etwas Böses in mir, Jarel. Als wäre mit Miriam der gute Zwilling gestorben... Es ist in meinem Kopf, es will ständig raus und hier gibt es kein Ventil. Nichts was hilft." Er wurde wieder laut, obwohl es ihm selbst weh tat und der Schmerz dafür sorgte, dass ihm speiübel wurde. Jakob presste die Augen zusammen, drückte die Fäuste hinein.
"Es macht mich wahnsinnig."

Etwas in Jarel brach in bitteres Lachen aus.
Er hatte sich nicht nur jemanden raus gesucht, der ihm ähnlich war, sondern eine Kopie von sich.
"Und kennst du jemanden, mit dem du über dieses Problem reden könntest? Vielleicht jemanden, der das Problem kennt?", brummte Jarel, schon einiges ruhiger als zuvor.
Trotzdem gab es da noch etwas, das verhinderte, das er sich vollständig beruhigte.

Jakob schnaubte. Alles was Sie jetzt sagen, wird garantiert gegen Sie verwendet - so kam er sich vor, dennoch gab er diesen Laut von sich. Auch wenn alles ruckhafte, selbst solch ein Laut, Nägel in seinen Schädel trieb. Sie waren schon ein Duo. Was versuchte er denn seit über einem Jahr? Es fiel ihm zum Henker nicht leicht, aber er hatte sich Jarel gegenüber schon weiter geöffnet als jemals einem Menschen zuvor. Wie konnte er so eine Frage stellen? Plötzlich war Jakob zum Heulen zumute. Seine Emotionen wankten noch gemeinsam mit dem Ballon am Bändchen, das sein Gehirn darstellte, auf und ab.
"Willst du mich verarschen?", fragte er schließlich unerwartet heftig. Scheinbar brauchte es leichte Drogen, um diesen Menschen emotional aus der Reserve zu locken. Er fluchte, zeigend, dass er Schüler eines guten Lehrers war, dann erhob er sich auf wackelige Beine.
"Warte kurz - bitte - ich muss echt pissen."
Mit sehr vorsichtigen Bewegungen, stieg er in die Sachen, die Iola ihm dagelassen hatte und schlurfte dann hinaus. Den Eimer nahm er mit.
Auf dem Weg zur Latrine versuchte er seine Gedanken irgendwie zu sortieren, sich zu erinnern. Aber der größte Teil des gestrigen Abends war in einem Nebel verborgen, aus dem nur hier und da ein eher verwirrendes Bild hervor stach. Bilder, die auf ein Gesamtkunstwerk hinwiesen, dass er eigentlich lieber nicht sehen wollte.
Erleichtert und mit nassem Kopf, nachdem er selbigen in den Eimer am Brunnen gesteckt hatte, kehrte er in seine Kammer zurück. Jarel wartete, wie erbeten. Immer noch der brütende Schwarze Schatten. Jakob wäre es lieber, er könnte die Diskussion führen, wenn er all Sinne beisammen hatte, aber das würden sie wohl beide nicht zulassen.
Ächzend machte er sich wieder auf seinem Bett lang. Liegen war gut. Fand auch sein Magen.
"Gott, wie kann man nach so einem Erwachen je wieder auch nur an eine Wiederholung denken?", knirrschte er kleinlaut.

"War das dein erster Tanz mit der grünen Fee?", fragte der Ritter düster. Noch immer war von ihm außer seiner Worte nicht zu hören. Als würde er nicht atmen. Als wäre er nichts existent.

Jakob schnaufte und schon saß er wieder. Beschissene Idee. Er schluckte hart, schloss einen Moment die Augen, blieb aber eisern sitzen.
"Nochmal. Ich war ein Bier trinken - ok, zwei Bier und den ein oder anderen Brandwein. Ja, gegen alles, was ich geschworen und bisher gelebt habe.", entgegnete er erneut heftiger als man es von ihm gewohnt war. Er zwang sich zur Ruhe. "Da war dieser kleine Kerl..." Dann zögerte er, dachte offenkundig nach. Lange. Puzzleteile. Bilder. Nein, Fetzen von Bildern.
Endlich sah er Jarel an. "Ich kann mich ums Verrecken nicht an mehr erinnern."
Er blinzelte. Eine Alte mit einer schrecklichen Zahnlücke... er schauderte. "Sicher nicht an irgendwelche Feen."

"Du stinkst nach erbrochenem, Pferdepisse und einem ausgiebigen Tanz mit der grünen Fee, Knappe."
Und nach Sex und Blut. Doch das verschwieg er. Noch.
"Keine Erinnerung, ja? An nichts?" Das konnte doch nicht wahr sein. Die Kleine hatte sich ihm geschenkt, und er würdigte das nicht einmal. Nun...vielleicht besser?
Oder war das Unrecht...

Unwillkürlich witterte er an seinem Ärmel, warf Jarel dann einen skeptischen Blick zu. Catriona? Er roch nichts von all dem, nur die Seife...
Seife.
Kräuterseife.
Irgendwas klingelte leise in seinem Hinterkopf. Leicht schüttelte er den Kopf, aber er wirkte nicht mehr ganz so sicher.
"Ich... keine Ahnung... ich." Er legte sich wieder auf den Rücken, starrte zur Decke, drehte dann den Kopf. "Jarel, glaub mir bitte - ich hab bis zum gestrigen Tag noch niemals irgendwas in der Richtung angerührt. Ich weiß nichtmal von was für einer Fee du die ganze Zeit redest."

"Hier heißt es glaube ich...", er musste überlegen. "...Absinth."
Jarel zog sich an der Lehne des Stuhles hoch.
"Denk über die Nacht nach. Es gibt da etwas wichtiges, an dass du dich erinnern solltest." Unsicher ging Jarel zur Tür.
"Du bist nicht allein auf dieser Welt. Benimm dich auch so."
Noch in der Tür sah er sich um. "Morgen früh, im Waisenhaus. Deine Schonzeit ist vorbei."

Er war nicht allein auf dieser Welt. Vielleicht nicht. Aber allein in seinem Kopf. Jarel ging, Jakob hielt sich mit Mühe davon ab, ihm irgendwas hinterher zu werfen, denn das einzig greifbare war das Talglicht. Statt dessen rollte er sich auf der Seite zusammen und starrte finster ins Leere.

Es war zwecklos mit dem Jungen zu sprechen, wenn er so sich in seiner Sturheit zurückzog, nichts an sich heran lies, sich selbst belog.
Leise schloss Jarel die Tür und starrte auf das raue Holz.
Violetta und Jakob also. Sie hätte es definitiv schlimmer treffen können, aber dann vergessen zu werden. Das hatte sie nicht verdient.
Der Junge hatte es nicht leicht gehabt. Sein Mündel aber auch nicht. Er würde nie die Bilder ihre geschändeten Mutter, des erschlagenen Vaters, des zu Tode gequälten Bruders vergessen.
Und auch das nicht, was er mit den Banditen angestellt hatte.
Es war mitten in der Nacht. Morgen, nachdem er dafür gesorgt hatte das der Junge seinen Dienst antrat, würde er mit ihr reden. Würde sich zeigen lassen, wo sie Jakob gefunden hatte. Auf die Nacht würde er sie nicht ansprechen.
Morgen. Heute war es zu spät die Kleine zu wecken.
Morgen war früh genug.
Müde und enttäuscht schleppte sich der Ritter an der Wand entlang zu Arvijds persönlichem Krankenzimmer, in dem er untergebracht war.
Kaum im Bett fielen ihm die Augen zu. Eine ruhige Nacht wurde es trotzdem nicht.
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Jakob von Nagall
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Lebenslauf: Jakob von Nagall

Jakobs restliche Nacht war angefüllt mit Träumen, befeuert von den Resten der Droge in seinem Gehirn. Zunächst war alles wirr und strukturlos, doch dann stürzte er in eine Hetzjagd durch die Dunkelheit. Etwas war ihm auf den Fersen, etwas großes, schwarzes. Lautlos und doch so präsent, dass er wusste, er musste laufen, sonst würde es ihn nieder reißen und unter sich begraben.
Er erwachte schwitzend, holte sich auf zitternden Beinen Wasser. Der Knappe musste feststellen, dass er die Talsohle seines persönlichen Jammertals noch nicht erreicht hatte.
Der nächste Traum war milder, weniger angsteinflößend, eher eine Aneinanderreihung von Erinnerungsfetzen des letzten Tages. Hinein mischten sich eigenartig detailreiche Fantasien eines nackten Frauenkörpers, der sich auf ihm räkelte.
Ein Anhänger, bleich und glatt, zwischen zwei ebenso bleichen und glatten Brüsten. Als er aus diesem Traum erwachte, war ihm etwas passiert, das seit seiner Pubertät nicht mehr passiert war...
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Er wusch sich, zog sich an und stellte das erste Mal fest, dass etwas essentielles fehlte. Er durchwühlte den Kleiderstapel, dann alle Taschen, nahm sogar das Bett auseinander. Dann lief er in die noch einsame Waschküche und wühlte in den Wäschekörben. Nichts.
In seinem Kopf manifestierte sich der Gedanke, dass das Siegel, das letzte Bindeglied an seine Welt und seine Familie, in dieser Nacht voller Dummheiten gestohlen worden war. Oder er hatte es verloren. Im Tempel jedenfalls war es nicht.
Er saß in dem Chaos, das seine Suche in der kleinen Kammer angerichtet hatte und wusste nicht, ob er weinen oder toben sollte.
Zum bestellten Zeitpunkt jedenfalls schlich ein totenbleicher, doch sauberer Knappe zur Pforte des Waisenhauses, wo ihn Jarel, Iola und zwei fremde Priesterinnen erwarteten. Jarel würdigte ihn nicht mal eines Grußes - gut, Botschaft angekommen - und der Anblick Iolas bewirkte schlagartig, dass er sich wünschte, der Boden möge sich auftun und ihn verschlingen. Weshalb, hätte er im ersten Moment nicht sagen können. Im zweiten dann schon. Ihre blauen Augen hatte er im Traum gesehen. Nur ein Traum. Oder? Sie wirkte verlegen und auch der ansonsten so unangenehm anhaftende Blick Jakobs fiel auf seine Füße. Er übersah etwas wichtiges, ganz sicher.
Dann sprach ihn eine der Schwestern an und lenkte seine Gedanken ab, während Jarel mit Iola davon schlenderte.

Als Jakob am Morgen in dem Gebäude ankam, in dem die elternlosen Kinder untergebracht waren, empfingen ihn Iola, Jarel und zwei der Schwestern. Jedoch anders als er sich das gedacht hatte. Sowohl Jarel als auch Lola trugen gewöhnliche Straßenkleidung. Das Mädchen sah ihn zwar an und lächelte ihm mit einer seltsamen Mischung aus Verlegenheit und Aufregung zu, ging aber sofort zu Jarel, als dieser sie rief.
Der Ritter "übergab" seinen Knappen seinen Pflichten und ging dann - in seltsamer Vertrautheit einen Arm um Iolas Schultern legend - hinaus ohne ihn auch nur zu begrüßen.
Zurück bleib er mit einer ältlichen, drallen Matrone und einer Ordensschwester in den vierzigern, die gleich das Wort an ihn richtete. "Für die kleinen ist heute Geschichte dran. Kennst du dich damit aus?"
Geschichte. Er nickte zögerlich.
"Ja... Naja kommt drauf an. Welches Gebiet...?" Und wie alt waren die Gören überhaupt?
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Jarel Moore
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Lebenslauf: Jarel

Kaum hatte er den Raum mit den Kindern betreten, umschwärme ihn eine Gruppe von elf...nein zwölf Kindern im bunt gemischten Alter von vier bis zehn Jahren. Sie löcherten ihn mit Fragen. Wo er herkäme, ob er bleiben würde, ob er ein Ritter war und ob er Iolas Bruder wäre.
Die Matrone unterhielt sich kurz mit der anderen Schwester und ging dann. Die andere Schwester blieb bei ihm und sah ihn schmunzelnd an.
Sie trug einen dichten, rotblonden Pferdeschwanz, sah ihn aus beinahe farblos grauen Auge zu, wie er umringt wurde und beobachtete abschätzig, wie er sich schlagen würde.
Sein Ritter hatte ihr Instruktionen gegeben. Den Jungen beschäftigen, ihn einbinden und ablenken. Von was ablenken hatte er nicht gesagt, nur das er Ablenkung nötig hatte. Konnte er bekommen. Die Kinder konnten einen durchaus ablenken. Und auf die Nerven gehen.

Iola und Jarel verließen währenddessen den Tempel. Für Außenstehende eine Tochter, die ihren fußlahmen Vater durch die Gassen führte. Die junge Frau wusste was ihr Vormund wollte. Die zwei hatten über die Jahre ihre eigene Art entwickelt zu kommunizieren. Wobei die Kommunikation meist aus Monologen seitens Jarel und einigen kurzen Handzeichen seitens Lola bestand.
Sie zeigte ihm den Rinnstein in der Gasse, in dem sie Jakob gefunden hatte.
Ja, das passte zu dem Geruch, der ihm noch immer in der Nase brannte.
Der Ritter sah sich um. Tavernen, seltsame Händler und eine sehr seltsame Spelunke. Und auf diese Absteige fiel Jarels erste Wahl.
"Dort versuchen wir es als erstes. Du kennst deine Rolle?" Die kleine nickte.
Und noch schwerer auf das Mädchen gestützt als vorher betraten sie das Gebäude, von dem bereits am frühen Morgen Lärm und ein eigenartiger Geruch ausging.

Langsam bekam Jarel die Koordination seiner Bewegungen zurück, mit der Ausdauer haperte es allerdings noch. So hatte er noch immer einen Arm um die Schulter des Mädchens gelegt, als er durch das Tor auf das Tempelgelände gelassen wurde.
Im Garten empfing ihn Gejohle und wildes Gerenne, ein Pfeil mit einer mit Tuchfetzen umwickelter Spitze eierte vor ihm durch die Luft, stieß gegen einen Baum und plumpste zu Boden, ohne irgendeinen Schaden angerichtet zu haben.
Jarel wechselte einige „Worte“ mit dem Iola, die ihn zu einer im Schatten eines Baumes stehenden Bank brachte. Bevor der Ritter sich setze schlang ihn die hübsche Brünette - die ihm nur bis zur Brust reichte – ihre Arme in einer innigen Umarmung um die Taille und er gab ihr als Antwort einen Kuss auf die Stirn.
Bevor die Novizin ging, winkte sie Jakob freundlich zu, um dann im Tempel verschwinden. Die beiden trugen immer noch die Straßenkleidung. Die junge angehende Priesterin musste sich noch umziehen, bevor sie ihren Dienst antrat.
Jarel war es egal, wie er herumlief.

Der Ritter beobachtete das Treiben auf dem sorgsam gepflegten Rasen zwischen den duftenden Blumenrabatten entspannt und angenehm überrascht.
Er hatte damit gerechnet, dass sich Jakob nach kurzen Startschwierigkeiten mit dem Betreuen der Kinder abfinden würde. Insgeheim hatte er gehofft, es würde ihm nach einiger Zeit sogar Freude bereiten.
Aber das was er nun sah, versetzte ihn in blankes Erstaunen.
Die Kleinen himmelten ihn regelrecht an, klebten an seinen Lippen, wenn er berichtete, sprachen ihn ehrfurchtsvoll mit „Herr Ritter“ an, egal wie oft er das dementierte.
Er hatte das Rudel sogar so weit im Griff, dass sich die rotblonde Schwester mit einem Buch auf dem Schoss unter einen Baum zuziehen konnte.
Jarel entdeckte Mädchen mit verschiedensten Flechtfrisuren, während die Jungs mit frisch gezimmerten Bögen und Atlatl Jagdszenen nachstellten.
Mädchen mit Bogen entdeckte er nur eines. Und Jungs mit Flechtfrisuren suchte er vergeblich. Dazu waren die Geschlechterbilder hier zu festgefahren. Einen irrwitzigen, gedankenverlorenen Moment lang fragte Jarel sich, ob IHM eine Flechtfrisur…
Einen Zopf hatte er in einer anderen Welt oft getragen. Da galt es auch nicht als unmännlich. Aber hier...
Er fuchtelte mit der Hand in der Luft herum, wie um ein Insekt zu vertreiben.
Nachdem er die ausgelassene Stimmung in sich aufgenommen hatte wie ein trockener Schwamm die Feuchtigkeit richtete er sein Augenmerk auf Jakob. Sein Knappe hatte gerade im wahrsten Sinne des Wortes beide Hände voll zu tun mit einer blonden Mädchenmähne. Den Blick des Jungen spürte er bereits auf sich, seitdem sie den Garten betraten und nahm durchaus wahr, dass die herzliche Verabschiedung von Violetta etwas auslöste. Der Junge schrumpfte, verschwand regelrecht hinter dem Mädchen, zog den Kopf zwischen die Schultern. Wäre er ein Elf aus seiner Welt gewesen, er hätte sicherlich die spitzen Ohren angeklappt wie ein getretener Welpe. (Bearbeitet)

So viel zum Thema sich nicht erinnern. Beim Gedanken an die letzte Nach jedoch verwarf Jarel die Vermutung, Jakob könnte ihn belogen haben. Er klang ehrlich in seiner verkaterten Erklärung. Zumindest im Rahmen seiner verstockten Möglichkeiten.
Jetzt erinnerte er sich. Offensichtlich. Gut so. Vergessen werden hatte seine Kleine nicht verdient.
Der Ritter richtete das Gesicht gegen die Sonne, genoss die Wärme und verlor sich in Gedanken.
Iola hatte ihm am frühen Morgen die Stelle gezeigt, an der sie Jakob am Vortag aufkratzte. Erbrochenes, Abfall, Pisse. Hervorragen Ortswahl für ein Nickerchen.
Von da aus folgte er seinem Instinkt, der ihn eine Treppe mit schief abgelaufenen Stufen hinab in eine ganz seltsame Spelunke führte. Obwohl der Tag kaum erwacht war, lungerten sogar schon die ersten Gäste hier herum. Oder noch, dem Geruch nach zu urteilen.
Wie abgesprochen schlüpften die Novizin und er dann in die Rolle von Vater und Tochter, die den verlorenen Sohn und Bruder suchten. Jarel erzählte eine herzerweichende Geschichte von seiner Frau, die bei einem Überfall getötet wurde und seinem Sohn, der mit der Schuld nicht klarkam, seine Mutter nicht beschützt zu haben. Untermalt wurde das von Iolas Tränen und ihrem lautlosen Schluchzen. Ein Glück, dass niemand in der Spelunke die Novizin oder ihn erkannte.
Der feiste Wirtin mit der riesigen Zahnlücke in den schmierigen Klamotten kaufte es ihm ab, stimmte in Iolas Darbietung sogar ein, in dem sie sich in ihre irgendwann einmal weiße Schürze schnäuzte.
Ihgitt. Essen würden sie hier sicherlich nicht. Der ehemalige Schattenläufer log sogar so gut, dass das Weib in eine Geldkiste griff und ihm etwas zum Kauf anbot. (Bearbeitet)

Dem Ritter wurde übel. War das nicht ein Teil des Anhängers, den Jakob trug? Er erinnerte sich genau, wie er mit Wenzel darum gefeilscht hatte, ob der Junge ihn nicht doch behalten durfte. Er war schließlich fremd in dieser Welt und dies die letzte Verbindung zu Vergangenheit und Familie.

Jarel hatte seine Bitte durchgedrückt und nun fand er die Reste eben dieses Gegenstanden in den schmierigen Händen einer völlig Fremden. Und der Rest davon?
Er löste das Stück Edelmetall für einige Münzen aus und leierte der Wirtin sogar noch eine Beschreibung der Person aus den Rippen, die Jakob abgefüllt und ihm seinen Familienschatz abgenommen hatte.
Jetzt galt es den Beutelschneider zu finden, der dem Jungen das Schmuckzück abgezogen hatte.
Beinahe zwei Stunden, mehrere Tavernen und sehr viel gespielte Tränen später bekamen sie einen Tipp von einem der anwesenden Betrunkenen. Mädchentränen, ein großes Bier und das Versprechen einer warmen Mahlzeit hatten dem Mann die Zunge gelockert. Ein Stammgast war mit dem Jungen hier unterwegs gewesen. Und eben dieser Gast hatte sich ein Zimmer genommen. Hier.
In dieser Taverne.
Der Ritter zahlte Bier, Mahlzeit und noch ein paar Münzen, damit der Gast ihn schnell wieder vergaß.
Iola blieb allein im Schankraum zurück, mit einem von Jarels Dolchen als Rückendeckung.
Der Ritter…verschwand.
Und tauchte keine zwanzig Minuten später wieder auf, um mit der Stummen hübschen Frau gemeinsam die Lokalität zu verlassen.
Der spezielle Gast würde dann später am Abend im Schankraum auftauchen und beschwören, der Teufel selber hätte ihn überfallen, zusammengeschlagen und ausgeraubt.
Doch da waren „Vater und Tochter“ längst nicht mehr da.
Und wurden auch nie mehr dort gesehen.

Der Ritter spürte keinerlei Reue bei dem Gedanken an den zusammengeschlagenen Beutelschneider und genoss die Sonne in dem idyllischen, gepflegten und duftenden Garten. Einzig leicht gerötete Fingerknöchel zeugten von der Wut, die er kurz vor Mittag in kinetische Energie umgewandelt gegen den Schurken verwand.
Iola hatte es geahnt. Gut geheißen hatte sie es nicht, doch war es nicht an ihr, ihren Vormund dahingehend zu rügen. Im Grunde genommen hatte der Schuft es verdient. Schließlich hatte er ihrem Jakob Leid zugefügt. Trotzdem…Vergebung war ihr Weg. Rache die des Ritters.
Jarel holte kurz die Teile des Anhängers aus dem Beutel und betrachtete sie. Reparieren würde man ein so dünnes Stück nicht können. Nicht hier. Nicht ohne Magie. Aber immerhin hatte er die Teile wieder.
Wo die Kette jedoch geblieben war…danach zu suchen hatte ihm das Durchhaltevermögen gefehlt. Es grenzte ohnehin schon allein Wunder, den Anhänger fand. Im Grunde genommen ohne zu wissen, dass er ihn suchen musste. Nicht einmal das hatte Jakob ihm anvertraut.
Die Wärme der Sonne entspannte und die Anstrengungen der Suche taten ihren Teil dazu.
Keine halbe Stunde nach seiner Rückkehr beobachtete Jarel nicht weiter Jakob – wie er das geplant hatte – sondern schlief auf der Bank sitzend ein, der Kopf nach hinten gesunken, die Hände auf dem Schoß.
In diesem Moment sah er auch so aus, wie er sich gerade fühlte.
Verdammt…alt.
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Jakob von Nagall
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Er war der Betreuerin ins Innere des Hauses gefolgt und musste schnell feststellen, dass die Gruppe so bunt gemischt war, dass an so etwas wie klassischen Geschichtsunterricht nicht zu denken war. Die Kinder saßen auf Zuruf der Priesterin brav beisammen und starrten Jakob aus zwölf paar runder Augen an - Unsicherheit auf beiden Seiten. Jesus, was sollte er denn mit diesen Rotznasen anstellen? Geschichte... Geschichte? Die Priesterin machte keine Anstalten, irgendwie einzugreifen und stand nach der kleinen Vorstellungsrunde nur wartend am Rand, während Jakob etwas ratlos war, was er nun anstellen sollte. Dann jedoch kam ihm eine Eingebung zu Hilfe, eine Erinnerung, die ein halbes Leben her war, aber aus seiner eigenen Schulzeit stammte. Projekttage. Tage, an denen alle Klassen und alle Altersstufen Projekte zusammen erarbeiteten. Er überlegte kurz - Geschichte. Was für ihn Geschichte war, war für diese Kinder hier Alltag... also noch weiter zurück?
Eine halbe Stunde und etwas Überredungskunst an der Priesterin später, hatte er die Meute in einem von der Sonne geschützten Teil des Gartens zusammen getrieben und erklärte ihnen, wie man mit Steinwerkzeugen Holz bearbeitete. Den Hartriegel im Garten hatten sie einiger dicker Äste beraubt, ebenso ein Gebüsch mit schönen, geraden Bodentrieben. Die Mädchen schickte er zum Federn suchen, die Jungs nach bestimmten Steinen forschen. Er selbst bearbeitete den Hartriegel schon einmal grob mit einem Messer vor, damit die Rohlinge fertig waren, bis die Kinder mit ihrer Beute zurück kamen.
Es fiel Jakob erstaunlich leicht, die Bande auf Spur zu halten (96/100). Die Kinder waren mit Feuereifer dabei, zerschlugen die Steine, dass es nur so spritzte, spalteten Federn und schnitzten an den Rohlingen herum. Für jedes Alter fand sich eine Arbeit. Die Älteren bearbeiteten die Bögen, die kleineren bemalten Pfeilschäfte - und sich selbst. Jakob zog den Unmut Breas auf sich, weil er mit der ganzen Meute im Schlepptau in der Küche Birkenleim kochte. Dann wurde geklebt, gewickelt und dedreht, was das Zeug hielt. Es entstanden Bögen aller Formen und Größen, die restlichen Federn landeten in den Haaren von Jungen und Mädchen.
EIn Mädchen bekam Birkenleim ins Haar und Jakob musste ihn auswaschen und auskämmen, während die kleine herzzerreißend weinte und erst aufhörte, als er ihr versprach, ihr die schönste Frisur von allen zu flechten. Mit dem Erfolg, dass er anschließend allen Mädchen die Haare flechten musste.

So verging der Vormittag rasant. Jarel und Iola kehrten zurück, von Jakob mit der Sicherheit einer Maus bemerkt, die genau weiß, wo die Katze wartet. Er musste nicht einmal wirklich von den üppigen blonden Locken des Mädchens aufsehen, das gerade zwischen seinen langen Beinen auf dem Gras hockte und dessen Mähne er zu bändigen versuchte. Der Vormittag hatte ihm zwar nicht viele Atempausen gelassen, aber wenn er so wie jetzt nur seine Hände arbeiten ließ, dann begab sein Kopf sich auf eigene Pfade und so langsam wurden aus den Bilderfetzen der letzten Nacht klarere Filmstreifen. Einer war besonders klar und allein der Gedanke wollte ihm die Schamesröte ins Gesicht treiben - zum Glück neigte er nicht zum Rot werden. Iola. Iolas nackter, schwitzender Körper auf seinem. Ihre Haut unter seinen Fingern. Er zweifelte inzwischen wirklich daran, dass das nur ein feuchter Drogentraum gewesen war.
Im Augenwinkel sah er Iola sich vertraulich von Jarel verabschieden. Klar, er musste sich für seinen Exzess ausgerechnet die Kleine vom Chef aussuchen. Jakob zog den Kopf ein und versuchte einfach nicht da zu sein, während Iola winkend im Tempel verschwand, vermutlich um ihren Pflichten nachzugehen.
Ein Pfeil taumelte knapp an ihnen vorbei. Jakob drehte den Kopf.
"Bren, du sollst nicht auf Menschen zielen! Letzte Warnung!", rief er einem Rotschopf zu. Jetzt klang er schon wie Jarel. Jakob seufzte tonlos und flocht weiter. Auf dem Hinterkopf des Mädchens entstand ein kompliziertes Rautenmuster begrenzt von kleinen Flechtzöpfen. Er er fertig war und den Blick hob, sah er ein durchaus seltenes, wenn überhaupt noch nie dagewesenes Bild: Jarel saß auf der Bank am Rand der Wiese und schlief. Kopf im Nacken, Hände ihm Schoß. Der sonst immer so achtsame Mensch war einfach inmitten des Trubels eingeschlafen, der um ihn herrschte. Jakob krauste die Stirn. Es machte ihm Sorgen, dass sein Mentor sich anscheinend so verausgabt hatte, dass ihm das passierte und gleich fühlte er sich schuldig. Jarel brauchte noch immer Ruhe und er als sein Knappe hatte nichts Besseres zu tun, als ihm Sorgen zu machen.
"Maery, sei gut, lauf in die Küche und hol' was von dem gekühlten Tee, den Schwester Brea gemacht hat, ja?", sagte er zu dem blonden Mädchen und diese nickte. Jakob stand auf und half derweil der Schwester die anderen Kinder zusammenzutreiben, um diese zum Mittagessen zu schicken. Maery balancierte ein Tablett mit einem Krug und zwei Bechern zu Jakob und dieser nahm es ihr dankend ab, um sie dann den anderen nach zu schicken. Von einer Sekunde auf die andere war es bedrückend still im Garten. Der junge Mann stellte das Tablett auf einer kleinen Säule in der Nähe von Jarels Bank ab, ohne diesen zu stören, und sammelte die Bögen, Sperschleudern, Pfeile und Spere ein, um alles für den Nachmittag beisammen zu haben. Vielleicht müsste er noch einen Ständer dafür bauen und Behälter für Pfeile und Spere, sinnierte er.
"Jakob? Hast du Ludo gesehen? Er fehlt.", weckte ihn die Stimme der rothaarigen Schwester aus seinen Gedanken. Seltsam, dass der inzwischen zwölf Kinder beim Namen kannte, aber ihren Namen einfach nicht behalten konnte. Ludo, ein zehnjähriger Junge mit braunem, borstigem Haar und dunkelblauen Augen. Er wusste gleich, wen sie suchte, schüttelte aber den Kopf. Er hatte ihn in der Tat schon eine Weile nicht mehr gesehen. "Geht wieder zu den anderen, ich suche ihn. Weit kann er nicht sein.", meinte Jakob zuversichtlich und begann den Garten abzugrasen. Und wirklich war es recht einfach. Die Kinder hatten einen Durchgang im Weißdorn, hinter dem sich ein fast kahler Bereich öffnete, den man vom restlichen Garten nicht einsehen konnte und der daher das perfekte Versteck darstellte. Aber wie Kinder nun einmal waren, zeigten sie solche 'Geheimverstecke' auch gerne her, daher kannte Jakob das Loch. Und als er hindurch spähte, sah er ein paar nackter Füße und drumherum die zerbrochenen Reste eines Pfeils.
Der Knappe ließ sich vor dem Eingang auf ein Knie sinken. "He Ludo, darf ich rein kommen?"
Keine Antwort. Es knackte, mehr Holz fiel zu Boden.
"Schießt du auf mich, wenn ich in deine Burg kommen will?", fragte Jakob weiter.
"Nee.", maulte es von drinnen.
Jakob duckte sich also tief und krabbelte durch das Loch in den dahinter liegenden Freiraum zwischen den Büschen. Der Junge hockte missmutig auf einem dicken Stein und verarbeitete einen Pfeil zu Zahnstochern.
"Die anderen sind beim essen. Hast du keinen Hunger?" Jakob setzte sich auf eine hoch stehende Wurzel.
Ludo schüttelte den Kopf.
Jakob sah sich um und entdeckte Ludos Bogen nicht weit von sich auf dem Boden. Der Junge hatte ein wirklich gutes Stück geschnitzt. Auch wenn das Holz natürlich nicht trocken gewesen war, hatte er sich wirklich viel Mühe gegeben und als einziger hinbekommen, einen kompletten Jahresring auf der Oberfläche stehen zu lassen.
"Ist dir der Pfeil zerbrochen?", fragte Jakob nach einer Weile.
Wieder ein Kopfschütteln.
Jakob wartete. Lange. Etwas an Ludo rührte an seinen Erinnerungen. Er blieb geduldig, nahm den Bogen in die Hand und fuhr mit den Fingern darüber, zog an der Sehne und sah zu, wie die Wurfarme sich bogen. Sehr gleichmäßig. "Den hast du wirklich toll hinbekommen, alle Achtung."
"Aber er trifft nicht.", kam es prompt.
"Nicht?"
"Nein."
"Was wolltest du denn treffen?"
"Den Apfel. Oliga wollte ihn haben, aber ich hab ihn nicht getroffen."
"Hm. Und darum zerbrichst du den Pfeil? Bisschen Schade um die Arbeit, findest du nicht?"
"Hmmm. Doofer Pfeil. Doofer Bogen."

Jakob betrachtete weiter den Bogen Ludos. Er hatte sogar ein kleines Symbol ins Holz geschnitzt. Ein L in einem Kreis.
"War dir Oliga böse?", fragte er schließlich.
"Sie hat gelacht. Blöde Ziege."
"Hm."
, machte Jakob. "Wenn du ihn getroffen hättest, hätte sie ihn vermutlich nicht gewollt, weil ein Loch drin ist. So sind die Mädchen manchmal."
Ludo sah auf. "Ich wollte aber treffen. Mir doch egal, ob sie den doofen Apfel essen will oder nicht."
"Dann versuch es einfach wieder. Und dann am nächsten Tag. Irgendwann wirst du treffen. Es braucht Übung und ein bisschen Geduld."
"Blöder Bogen."
, maulte Ludo weiter.
Jakob zuckte mit den Brauen. "Tja, dann machen wir ihn am besten auch kaputt.", und schon deutete er an, den Bogen über seinem Knie zerbrechen zu wollen. Ludo sprang auf. "Nein!"
Jakob sah ihn fragend an. "Nicht?"
Etwas unschlüssig stand Ludo vor Jakob. "Bei dir - äh... Euch... sah das so einfach aus."
Jakob lächelte. "Du sagen ist schon in Ordnung. Ich mach' das auch schon seit vielen Jahren." Er reichte Ludo seinen Bogen. "Du darfst dich nicht wütend machen lassen, wenn du nicht triffst oder jemand lacht."
"Wenn sie wieder lacht, schieß ich auf sie."

Jakob wurde ernst. "Nein Ludo. Schieß nur auf einen Menschen, wenn du ihm auch wirklich schaden willst. Niemals zum Spaß, hörst du?" Der Griff des Knappen um den Bogen war noch so fest, dass der Junge ihn ihm nicht entwinden konnte. Schließlich nickte dieser.
"Zeigst du es mir nach dem Essen noch mal?", fragte er schließlich.
Jakob ließ den Bogen los und nickte. "Klar. Aber auf den Sack, nicht auf Oliga, einverstanden?"
Ludo grinste und nickte. "Also los, ab zum Essen. Den Bogen lass bei den anderen an der Tür."
Das Kind war deutlich schneller durch das Loch als der lange Jakob und schon außer Sicht, als dieser sich durch den Weißdorn mühte und im Sonnenschein unweit von Jarels Bank auf der Wiese sitzen blieb. Das ihm ausgerechnet ein Zehnjähriger die Wahrheit der Lektion vor Augen führen musste, die ihn hierher geführt hatte... und so vieles mehr. Er ließ sich rückwärts ins Gras fallen.
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Jarel Moore
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Der Schattenläufer ritt stolz erhobenen Hauptes in Formation mit seinen Mitstreitern.
Er – als Mensch – inmitten von Blutelfen und Verlassenen saß auf seinem Reitwolf und ritt in einer Reihe mit den hohen Befehlsgebern der Horde.
War er anfangs nur geschickt worden die Reihen des ‚Feindes‘ zu infiltrieren, hatte er nicht nur ihre Ziele besser verstanden, er war auch ihrer charismatischen Anführerin nähergekommen, hatte ihre Ideale zu verstehen gelernt und war ihrem Enthusiasmus erlegen.
Und nun…ritt er mit ihnen in die Schlacht, nur geschützt durch ein magisches Medaillon, welches sein Aussehen mittels einer Illusion in das eines Sin´Dorei verwandelte. Eine kleine Panne, eine winzige Fehlfunktion und die Horde würde ihn erkennen und in Stücke reißen...
Genau diese stetige Gefahr, dieses unglaubliche Risiko gab ihm das Gefühl, endlich wieder am Leben zu sein. Das erste Mal, seitdem er verlassen worden war. Seitdem…
Er verdrängte den Gedanken und sah sich aus den Augenwinkeln um.
Sie ritten in einer perfekten Linie, wegen des engen Weges immer vier in einer Reihe. Diszipliniert bis ins letzte Glied. Zwei Verlassene auf untoten Pferden rechts von ihm, durch deren zerfetze Haut man die Knochen und die vertrockneten – wenn überhaupt noch vorhandenen- Eingeweide sehen konnte, ein Sin´Dorei auf einem braunen gepanzerten Reitwolf links von ihm. Und dann er. Ein Schaf unter Wölfen. Er fühlte sich großartig.
Hinter ihnen marschierten die Fußtruppen. Ihre Fußtruppen. SEINE Fußtruppen.
Er war in seiner Rolle nicht nur aufgegangen, er hatte sich sogar hochgedient und gehörte jetzt zur Führungsriege, zum Kader unter der Anführerin persönlich.
Und eben diese führte sie gerade in die Schlacht. Keine zehn Meter vor ihm Schritt ihr mächtiges gepanzertes Streitross dessen schwere, stampfende Schritte den Takt für ihren Marsch bildeten.
Eine beeindruckende Person. Willensstark, intelligent, auf eine unheimliche Art wunderschön, ein schier unerschöpfliches strategisches Geschick.
Dass sie eine Banshee war, ein Wesen ohne Blutdruck und Puls spielte für Jarel keine Rolle. Sie war die Anführerin. Und Jarel folgte mit Feuereifer.
Die Idee, sich auf der falschen Seite des Krieges zu befinden kam ihm nicht. Er kämpfte für das Gute. Für seine Überzeugung.
Sie waren unterwegs die Val´kyren zu vernichten. Diese mächtigen magischen Wesen, die durch das Land zogen, die Einwohner erschlugen und ihre toten Körper zurück in ein untotes Leben holten, um weitere Opfer zu generieren, die wiederrum ihre Arme verstärkten.
Ihnen musste Einhalt geboten werden bevor es zu spät war. Bevor die Zahl der geistlosen Untoten die der lebenden Überstieg. Bevor das Land verloren war oder gar der ganze Kontinent.
Und was einzelnen ungeordneten Gruppen nicht schafften, sollten nun die versammelten Truppen hinter der großen Banshee vollbringen. Das Land von dieser Gefahr zu befreien.
Sie ritten über Stunden und niemand brach aus. Niemand verpasste auch nur einen Schritt, einen Takt. Es war wie ein Rausch.
Die Stadt kam in Sicht und die Banshee hob ihren Bogen, um sie zum Anhalten zu bringen.
Doch Moment…die Stadt? Das war nicht der Silberwald!
Um der Schatten willen, dies war Theramore! Eine friedliche Hafenstadt! Nicht der Feind!
Dies war falsch! Grässlich falsch!
Und dann ertönte das Horn. Der Sturm begann.
Die Reiter sprengten los, über die schmale Brücke und Jarel wurde mitgerissen.
Unfähig gegenzusteuern konnte er nur zusehen, wie die Horde die Wachposten überrannte und alles niedermetzelte, was ihren Klingen, Äxten und Bögen zu nahekam.
Schreie, Feuer, Blut, Flehen. Eine Kakophonie des Grauens.
Theramore…er konnte die Stadt nicht retten. Aber es gab hier jemanden, dessen Tod er vielleicht verhindern konnte. Nein, verhindern musste.
In seine schwarze Lederkleidung gehüllt schaffte er es abzusteigen, sich in eine Seitengasse zu schlagen und im Schatten unterzutauchen.
Er musste ihn finden. Ihn aus diesem Schlachthaus herausschaffen. Lebend.
Er suchte, stieg über Leichen denen Extremitäten fehlten, erschlagene Frauen, geschlachtete Kinder.
Das war nicht richtig. Nichts war richtig.
Wenigstens IHN musste er retten.
Eine Unendlichkeit voller Blut und Tod später fand er ihn. Genau dort, wo er ich vermutet hatte.
Der Junge lag im Rinnstein, am Fuße eines der hohen Lagerhäuser, etwas abseits der Schlacht, die sich bald den Weg hierher fressen würde wie eine nimmersatte, Leben verschlingende Raupe.
„Jakob!“ Jarel ging in die Knie und zerrte seinen verlorenen Knappen hoch. Der Junge war bewusstlos, hatte in einer Lache seines eigenen Erbrochenen gelegen. Verdammte Drogen.
„Wir müssen hier weg!“ Er erwachte nicht. Zu tief weggetreten. Zu weit weg. Fluchend warf sich der Schattenläufer den Jungen über die Schulter. Weg! Nur Weg!
Die Kanalisation. Wenn er es bis dorthin schaffte, konnte er sich vielleicht in die Sümpfe durchschlagen. Eine weitere Gasse, eine Kreuzung. Nur noch wenige Schritte. Dort, auf der anderen Seite der Straße ein Bogen in der Gebäudemauer. Ein Zugang zur Kanalisation.
Nur noch wenige Schritte. Doch der mordende Mob war nahe.
Das würde knapp. Jarel spurtete los.
Bis zu dem Zeitpunkt war es nur ein Sin´Dorei, der einen Menschenjungen verschleppte.
Wer weiß, vielleicht würden sie ihm sogar unbehelligt lassen. Schließlich war er einer der ihren.

Es kam, wie es kommen musste. Natürlich. Wie sollte es anders sein.
Kurz vor der Mitte der Kreuzung kam der Junge doch zu sich. Und wehrte sich. Vehement.
Jarel spürte einen scharfen, heißen Schmerz über der linken Hüfte, kam ins Straucheln.
Jake machte sich los und schlug schwer auf dem Pflaster auf.
„Nicht!“ schon war Jarel über ihm, doch sein Knappe erkannte ihn nicht. Wie denn auch. Über ihm stand ein Blutelf. Ein völlig fremder Mann in schwarzem Leder, das Gesicht hinter einem schwarzen Tuch verborgen.
Noch immer schenkte ihnen der näherkommende Mob kaum Beachtung.
Sie konnten es schaffen! Der Schattenläufer warf einen Blick in Richtung der rettenden Schwärze unter dem aus Sandstein gemauertem Bogen.
Sie konnten es schaffen. Jarel zog das Tuch vom Gesicht und wollte sich Jakob erklären, als er einen brennenden Schmerz in der linken Körperhälfte verspürte. Der Junge – SEIN Junge – hatte zugestochen.
Eine kurze, leicht gebogene Klinge. Ein gewöhnliches Küchenmesser steckte nahe seiner Schulter im Fleisch. Nicht schlimm. Nur eine Fleischwunde. Sie konnten es immer noch schaffen.
Doch dann sah der Schattenläufer in die Augen seines Schützlings. Die immer größer werdenden Augen, das blanke Entsetzen darin. Und dann sein Name, heiser geflüstert, kaum verständlich. „Jarel…“
Er hatte ihn erkannt. Doch wie… Schreckerfüllt zerrte der ältere das Medaillon hervor.
Das Messer hatte es beschädigt, den Zauber unterbrochen.
Nun standen sie hier. Zwei Menschen inmitten blanker Vernichtung.
Ein Blick in Richtung des Mauerbogens. Einer in Richtung des Mobs, der binnen Sekunden erkannt hatte, dass die beiden Männer auf der Straße zum Feind gehörten.
„Es tut mir leid, Jakob.“, hörte er sich sagen, bevor man sie beide niederriss und das Licht erlosch.

Ein lautes Schnaufen ließ Jakob aufhorchen. Hatte der Ritter gerade noch geschlafen, stand er nun schwankend vor der Bank und tastete hektisch an seinem rechten Oberschenkel herum.
Der Knappe wusste was er suchte. Doch da waren keine Dolche.
Panisch sah Jarel sich um, sichtlich desorientiert. Und es dauerte ungewöhnlich lange, bis sein Blick sich klärte. Dieser Alptraum saß offensichtlich tief.
Erst als sein Blick Jakob fand, hellte sich der Blick des Ritters auf und aus dem schwarz der Pupillen wurde das warme Braun mit den bernsteinfarbenen Sprenkeln.
Er atmete zwei Mal durch, musterte den Knappen noch einmal, nickte ihm zu und nahm dann schwer wieder Platz.
Den Tee hatte er nicht bemerkt. Aufmerksam war definitiv anders.

Er bekämpfte noch immer das schreckliche Gefühl der Schuld und des Verlustes.
Nur ein Traum. Nichts mehr als ein Traum. Kein Grund jetzt zu zittern und mit Mühe zu versuchen seinen Puls in den Griff zu bekommen.

Nur ein Traum.
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Jakob von Nagall
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Jakob lag im Gras und schaute dem Spiel der Blätter über sich zu, das den Strahlen der Sonne ihre Schärfe nahm und die Temperaturen trotz der Mittagszeit erträglich machte. Was es für ein Baum war, der Jarel und ihm seinen Schatten spendete, wusste der Knappe nicht. Er war ein Stadtkind - schon mit der Flora seiner Welt wäre er nach Eiche, Buche und Tannenbaum überfragt gewesen, aber hier war er komplett ahnungslos, auch wenn Jarel ihm immer wieder Dinge beibrachte. Zumindest was essbare Pflanzen und Kräuter anging. Selbst der Hartriegel war eher ein zufälliges Wissen gewesen, weil er es von irgendwem aufgeschnappt und abgespeichert hatte. Eben weil es ein recht gutes Bogenholz war - nicht das Beste, aber auch nicht das Schlechteste.
Er träumte vor sich hin, versuchte sich zu motivieren aufzustehen und nach Iola zu suchen, auch wenn er nicht so richtig wusste, wie er diese Kuh wieder vom Eis holen sollte. Außerdem machte ihn die Wärme und das Lichtflimmern müde, sodass er gerade am weg dösen war, als Jarel schnaufte und plötzlich aufsprang als habe ihn die Endriage erneut gestochen. Jakobs Reflexe brachten ihn auf die Beine, bevor er auch nur einen klaren Gedanken gefasst hatte und seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den Ritter, der im ersten Moment völlig neben sich zu stehen schien. Hektisches Suchen, ein Herzschlag, dann noch einer und endlich schien der Eindruck des Traums ihn loszulassen. Er wirkte müde und noch immer angegriffen, was in Jakob eine Mischung aus Sorge und Schuldgefühlen aufwallen ließ. Betont ruhig ging er zu der kleinen Säule, schenkte einen Becher Tee aus und ging damit zu Jarel, der wieder auf der Bank saß.
"Unsere Waffen sind in der Obhut der Mutter Oberin. Alle.", erinnerte er den Ritter beiläufig, während er Jarels Hand nahm und dessen Finger behutsam um den Becher schloss, dabei Acht gab, dass der Mann diesen mit der leicht zitternden Hand auch wirklich fest griff. Seine beiden Hände lagen noch eine Sekunde lang um die große Pranke des Älteren, bevor er es wagte, loszulassen. Es war seltsam, fast beunruhigend, den sonst so ruhigen und sicheren Mann so neben sich stehend zu erleben. Jakob setzte sich zu ihm, sehr nah, aber ohne ihn noch einmal zu berühren. Sein persönliches Maximum an körperlicher Nähe, noch immer. Eines von vielen kleinen Zugeständnissen an diese seine Vertrauensperson, vermutlich ohne das der es wirklich als solches wahrnahm. Zumindest hatte er durch den Nebel der letzten Nacht das Gefühl zurück behalten, dass sie seit fast einem Jahr eher nebeneinander her lebten, anstatt einander besser zu verstehen. Sicher gab es viele Dinge, die Jakob inzwischen wusste und kannte - Marotten und Gewohnheiten, Jarels Art von Humor, seine Hobbies und Abneigungen. Aber die Untiefen hinter all dem hatte er nie hinterfragt, weil er seine eigenen nicht hinterfragt haben wollte. Er fürchtete das Geben, dass auf das Nehmen folgen könnte. Und er ahnte bereits lange, dass es in Jarels Vergangenheit tiefere Schatten gab, als er sie sich auch nur vorstellen konnte - er hatte es angedeutet und ja, Jakob hatte Angst davor, den Menschen neben sich in einem anderen Licht ansehen zu müssen. Vielleicht auch davor, dass seine eigenen Ängste und Schatten nur Kinkerlitzchen waren. Kindereien, um seinen schlechten Charakter zu kaschieren.
Jakob achtete den Menschen neben sich, wenn er ehrlich zu sich wäre, würde er sogar soweit gehen zuzugeben, dass er ihn liebte wie einen Vater. Nur belog er sich dahingehend lieber weiter selbst, denn es war so eine Eigenheit von ihm, Menschen, die er zu sich durch ließ, nicht mehr loslassen zu wollen und zugleich jedes Wort auf Zurückweisung und Ablehnung zu untersuchen. Er fand auch meistens etwas. Mit der gleichen Vehemenz wie er fast jeden von sich stieß, begann er zu klammern und sich zugleich Fehlinterpretationen hinzugeben. Er wusste das, wollte anders sein, wollte es lassen und verletzte am Ende auch die, die er eigentlich nicht verletzen wollte, indem er aufgrund seiner eigenen Falschannahmen abweisend und kalt wurde. Daher wägte er nun gut ab. Was wollte er? Wie und in welchem Maß? Erwachsen sein, selbst stehen, eigenverantwortlich? Ja, schon. Trotzdem kam er sich gerade vor wie ein Kind. Distanz also?
Selber laufen lernen.
Er war ratlos.
Dennoch wandte Jakob den Kopf. "Schatten aus der Vergangenheit?", versuchte er vorsichtig irgendwie anzufangen. Er war unbeholfen darin, auf jemanden einzugehen. Jarels letzte Worte in der Nacht zuvor klangen noch in seinem Kopf... es war einfacher gewesen, als er noch in seinem Glashaus gesessen hatte, allein mit sich und nur beobachtend, wie die Welt draußen sich weiter drehte. Allein in seinem Kopf, rücksichtslos allem und jedem gegenüber. Das hier alles war furchtbar kompliziert.
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Jarel Moore
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Jakob war schnell bei ihm. Er hatte es mitbekommen. Mist.
Hatte genau die Panik gesehen, ganz sicher. Seine Angst. Seine Schwäche.
Beruhigen… er musste sich beruhigen. Nur ein Traum. Es war nur ein Traum.
Doch ehe sein Puls sich normalisiert hatte und er das verfluchte Zittern in den Griff bekam war der Junge bei ihm, drückte ihm einen Becher in die Hand.
Sorgsam, mit beiden Händen, fürsorglich. Es fühlte sich furchtbar falsch an.
Es war seine Aufgabe für Jakob zu sorgen. Nicht andersherum.
Und doch war es genau diese kleine Geste, die seinen Puls beruhigte und das Zittern abflauen ließ.
Er trank tatsächlich etwas gierig einen großen Schluck, hätte fast gehustet. Nicht auch noch das. War es nicht ohnehin schon seltsam genug?
„Danke.“, brummte der Ritter und riss endlich den Blick vom Becher los.
In dem einem Wort lag viel mehr als eine höfliche Platitude als Antwort auf einen Becher Tee.
Er war dankbar. Jakob kam trotz der Streiterei am morgen auf ihn zu und wandte sich nicht ab.
Damit hatte Jarel gerechnet. Mit einer Trotzreaktion, vielleicht einer Flucht. Damit, dass sein Knappe sich über Wochen verschloss.
Nein. Er saß hier, neben ihm, die Augen offen für das was um ihn herum geschah und signalisierte sogar eine selten dagewesene Offenheit. Reiner Balsam für die Seele des Ritters.
Und er wusste sogar, wie er sich dafür bedanken konnte, wie er dem tapferen Jakob eine Freude zu machen vermochte.
Nur noch eine Spur zittrig wechselte er den Becher in die linke Hand und kramte mit der rechten in seinem Beutel.
„Ein Alptraum.“, antwortete er erstaunlich leise auf Jake Frage. „Eine Erinnerung, gemischt mit einer völlig neuen Angst. Böse Mischung. Aber nur ein Alptraum.“
Der Ritter in der seltsamen Aufmachung drehte den Oberkörper zu seinem Knappen und hielt ihm die geschlossene Faust hin, um ihm etwas zu überreichen, öffnete aber die Faust noch nicht.
„Geht es dir besser?“, fragte er unsicher lächelnd und sah den neben ihm sitzenden Knappen in die Augen.
Ein guter Junge. Er würde ein hervorragender Ritter werden. Und – auch wenn er es nicht wahr haben wollte – ein ehrbarer Großkomtur. Da war Jarel sich ganz sicher.
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Jakob von Nagall
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Ein Dank, den Jakob nur am Rand wahrgenommen hatte, weil er alles bis hierhin irgendwie als selbstverständlich empfunden hatte. Der komplizierte Teil fing danach an, wenn sich Wort an Wort zu reihen begann und Satz auf Satz folgen musste. Er blickte über die Wiese, die eben noch voller Leben gewesen war und nun so still; ließ Jarel damit die Momente des Abstands, um sich etwas zu sammeln. Doch der sprach erstaunlich schnell wieder und erstaunlich leise. Jakob hatte irgendeinen Punkt gefunden, auf den er sich fokussieren konnte, als er nicht minder leise erwiderte: "Mein Vater sagte immer, Träume sind nur Aufräumarbeiten im Gehirn. Nichts wovor man bange sein müsste." Er verzog die Lippen. "Das zu wissen, hilft aber auch nicht wirklich, stimmts?" Er erwartete keine Antwort, weil er sie kannte. Aus dunklen, kalt verschwitzten Nächten auf salzig nassen Kissen.
Der Blick des Knappen kehrte zurück zu Jarel, als dieser zu kramen begann, forschte über das vertraute Profil. "Was für eine neue Angst?", hörte er sich fragen, bevor er es verhindern konnte und dann begegnete Jarels Blick dem seinen, ließ ihn die Frage bereuen, weil er die Antwort nicht hören wollte. Die hellen Augen kippten auf die Faust hinab, die Jarel geschlossen zwischen sie hielt, während sein Kopf an der Frage herum arbeitete, die ihm nicht wie eine nach dem körperlichen Befinden vorkam. Wieder war da der Impuls, mit einem Wort alles zu beenden. Sicher. Klar. Alles in Ordnung. Etwas unwohl noch, aber sonst...
Er schüttelte den Kopf, wandte den Blick wie automatisch in die Richtung, in der Iola vor fast einer Stunde verschwunden war. Nichts war in Ordnung. Er hatte mit einer einzigen dummen Aktion so viel verspielt, wie schon lange nicht mehr.
"Diesmal hab ich wirklich Scheiße gebaut." Eine Feststellung, keine Frage.
Er wandte wieder den Kopf und diesmal war die Faust offen - Jakobs Augen weiteten sich vor Erstaunen, eilten zwischen Jarels Gesicht und dem zerbrochenen Schmuckstück in dessen Hand hin und her. Zwei Teile, der Schild halb gespalten, das Kreuz fast ganz abgetrennt. Er nahm die beiden Hälften vorsichtig an sich, betrachtete sie eine schier endlos scheinende Weile auf der eigenen Handflächen liegend, bevor er die Faust darum ballte und diese an seine Stirn presste.
Er hatte es verloren geglaubt, gestohlen. Eine gerechte Strafe für seine Sünden. Wert war es hier oder auch anderswo ja nur das Gold, aus dem es gemacht war, selbst in seiner Heimat, war es nicht irrsinnig besonderes. Ein Schmuckstück, gemacht für zwei Neugeborene, eines in silber und eines in gold. Seines war ursprünglich das Silberne gewesen, etwas weniger filigran - eben Herrenschmuck, wie man so schön sagte. Nichts besonderes und doch für Jakob so wertvoll wie die eigene Seele. Er hatte sie gestern verspielt und Jarel gab sie ihm zurück, so kam es ihm vor. Wie viele Chancen sollte er noch bekommen? Wie viel Schuld auf sich laden?
Der junge Mann rollte sich nach vorn ein und begann lautlos zu weinen.
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Jarel Moore
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Lebenslauf: Jarel

Der Ritter zog überrascht die Augenbrauen hoch, als Jakob sich fallen ließ und zu weinen begann.
Eine neuerliche Überraschung. Dass das Schmuckstück ihm so viel bedeutete, damit hatte er auch nicht gerechnet. Aber ahnen hätte er es können. Eigentlich sogar müssen.
Es war wahrscheinlich nicht einmal seines…
Mit einem mitfühlendem Lächeln legte er einen Arm um die bebenden Schultern de Jungen.
„Wir haben uns an deine Spur geheftet, weil ich mit demjenigen, der dich zu dem Zeug verführt hat eigentlich die Fresse polieren wollte.“ Eine ungewöhnlich aggressive Wortwahl aus dem Munde des Ritters. Er nahm zwar selten ein Blatt vor den Mund, aber so direkt…
„In der Taverne hat er seine Zeche mit deinem Gold bezahlt. Den Rest hatte er bei sich. Leider nicht mehr am Stück. In den Scherben kenne ich jemanden. Wir können versuchen es reparieren zu lassen.“, versuchte er seinen Knappen zu trösten.
Doch noch hatte Jakob sich nicht beruhigt. Verständlich.
Schatten der Vergangenheit.‘, hatte er gesagt.
Die hatten sie beide. Seine standen bis zu den Knöcheln in Blut, Jakobs in Glut und Asche.
„Alte Schatten und neue Ängste…“
Er zögerte merklich. Würde Jakob das eher helfen zu verstehen oder ihn mehr belasten?
Er wusste es nicht. Aber Jarel wollte, dass Jakob es wusste. Er wollte das der Junge erfuhr, dass er nicht allein war mit der unangenehmen Erfahrung im Rinnstein, dass der ältere recht gut wusste, wie sich so ein Absturz anfühlte.
Vor einer Ewigkeit lebte ich ein zügelloses Leben, gemeinsam mit meiner großen Liebe. Alkohol, gelegentlich Drogen. Besonders meine bessere Hälfte feierte gern die Nächte durch und hielt von Monogamie nicht viel. Ich kam damit klar. Irgendwie. So lange wir danach wieder zueinander fanden.“
Ilarion hatte eine wirklich lebendige Libido gehabt, mehr als nur eine Hand voll Kinder gezeugt.
Zumindest die Zahl, von denen er wusste war fast noch überschaubar.
Und Jarel hatte ihn ziehen lassen. Egal wie weh es ihm tat.
Einen so schönen Vogel sperrte man nicht ein. Er musste fliegen. Und das Glück, wenn er zurückkam war das, wofür er gelebt hatte.
Vielleicht ungesund. Aber dies war seine Wahl.
„Wir lebten lange zusammen, bis die Beziehung durch mein Verschulden zerbrach. Ich stürzte ab, geriet tief in den Drogensumpf, landete in der Gosse. In meinem Gedächtnis fehlt fast ein Jahr. Ich erinnere mich nur noch Bruchstückhaft daran gebettelt und gestohlen zu haben, nur für die Sucht.
Irgendwann beschloss die Person, die ich immer noch liebte mich zu suchen. Und fand mich. In einer Hafenstadt, im runtergekommenensten Viertel unter einer Plane im Rinnstein, erkannte mich fast nicht wieder. Der Entzug war hart, ohne Unterstützung hätte ich es nicht geschafft. Meinen Körper hatte ich da bereits zu Grunde gerichtet.“
Er tippte auf die Stelle, unter dem sich die Operationsnarbe befand.
„Mein Vater – mit dem ich seit Jahren nicht gesprochen hatte- spendete einen Teil seiner Leber.“
Der Ritter sah zu Jakob.
„Das sollst du nicht mitmachen müssen. Und wenn ich dich an den Ohren aus dem Dreck ziehe, das lasse ich nicht zu.“
Von Iola kein Wort. Kein Vorwurf. Keine Anspielung.
Ein wenig zog Jarel Jakob an sich, damit er sich anlehnte, atmete durch.
Jedes weitere Wort war zu viel. Vielleicht war es ohnehin schon zu viel.
Der Ritter presste die Lippen fest aufeinander und wartete ab.
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Jakob von Nagall
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Lebenslauf: Jakob von Nagall

Er lauschte. Lauschte und weinte. Tonlos. Glück und Schmerz spalteten ihm zu gleichen Teilen Brust und Herz. Er ließ den Arm zu, der seine Schultern umfasste, schloss allerdings die Augen nur fester.
Nur die Ohren konnte er nicht schließen. Hörte also. Lauschte weiter.
Reparieren...
Stumm schüttelte er den Kopf, die Kiefer so heftig aufeinander gepresst, dass ihm die Zähne schmerzten. Das Kreuz war abgetrennt. Die Ewige Flamme forderte ihn ein, ganz und gänzlich, mit Leib und Seele. Für den schon immer mystisch erzogenen jungen Mann ein sicheres Zeichen dafür, dass seine Bigotterie ein Ende haben musste. Strafe und Sühne zugleich – es war nun geteilt, durfte nicht mehr zusammen gefügt werden.
Augen auf, zusammen nehmen. Er betrachtete das zerbrochene Schmuckstück in seiner Hand durch den Schleier der Tränen. Tränen, die er nicht nur des Kleinods wegen weinte, sondern auch wegen all dem, was bis hierhin gewesen und falsch gelaufen war. Etwas hatte sich verschoben, geöffnet und Schmerz quoll heraus wie Eiter aus einer schwärenden Wunde. Als habe das ‚Zeug‘, von dem Jarel sprach, etwas in Jakob verändert.
“Danke.“ Nun war er es, der dieses kleine Wort gebrauchte, hinter dem so viel mehr stehen konnte, als bloße Artigkeiten. Er hatte in seinem Selbstmitleid schon so vieles verloren geglaubt: neben dem Anhänger auch die wachsende Beziehung zu seinem Ritter. Eines war zerbrochen und doch wieder da, das andere… lebte noch. In der Hand auf seiner Schulter und in der Stimme des Älteren, der nun zögerlich zu sprechen begann. Von damals. Von Exzessen, Liebe und einem Absturz tiefer, als das bisschen gestern Abend.
Jakob hatte sich etwas aufgerichtet, wagte es aber nicht, Jarel anzusehen. Er hörte zu und er hörte viel zu viel, verfluchte seine Auffassungsgabe stumm, die ihm den Elefanten im Subtext vor die Nase stellte. Riesig und rosa, aber er schloss die inneren Augen mit der Sturheit eine Kindes, das beschlossen hatte, keine Monster in den Schatten der Spielzeuge zu sehen. Doch der Elefant blieb da, schwoll an, gefüttert mit geflüsterten Worten aus einem Fiebertraum. Wenn es nur Vergangenheit wäre, dann könnte er wohl darüber hinweg sehen, aber er WUSSTE einfach, dass es nicht nur Vergangenheit war. Oh wie er es nicht wissen wollte, nicht hören.
Jakob zog geräuschvoll die Nase hoch und wischte sich die Augen nachdrücklich mit dem Handrücken. Schon schämte er sich seines Ausbruchs. Männer weinen nicht – Worte seines Opas und auch seines Vaters. Die Schule eines konservativen Elternhauses voller leerer Floskeln. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Mann oder Maus? Er atmete durch, wie auch Jarel durch atmete.
Was sollte er darauf nur erwidern? Er hatte es nicht wissen wollen und nun wusste er es doch und hätte damit leben können, denn es war vergangen. Zurück geblieben in einem weltlichen Leben, dem der Ritter abgeschworen hatte, als er durch das Feuer gegangen war. Wenn es nur so einfach wäre, aber da war jener Dorn in Jakobs Fleisch, der sich mit dieser Argumentation nicht abspeisen lassen wollte. Und dieser Dorn trug einem ihm nur zu bekannten Namen. Er beschloss, ihn vorerst zu ignorieren. Er WOLLTE ihn nicht fühlen. Er war falsch, nicht real, sicher nur wieder eine seiner Falschannahmen. Er wollte anders werden. Anders denken.
Denk weg.
Lange saßen sie schweigend auf der Bank. Jarel ließ ihm die Zeit, wie immer. Jakob kannte keinen geduldigeren Menschen. Über ihnen summte das Laub, ein einsamer Vogel begann müde zu zwitschern. Sommer. Eigentlich ein schöner Tag.
“Es tut mir Leid.“ Mal wieder. Leise. Nicht nur, was er angestellt hatte, sondern auch, was Jarel hatte durchmachen müssen, selbstverschuldet oder nicht.
Jakob betrachtete den Anhänger, weil er Jarel nicht ansehen konnte. Weil der Elfant immer noch irgendwo lauerte. Andere Gedanken, andere Richtung. Lieber alte Schmerzen als neue.
Alte Schatten und neue Ängste...
“Wir hatten jeder eins. Meines war silber, Miriams golden. Nach ihrem Tod hab ich sie ausgetauscht. Meines liegt bei ihr im Sarg.“, erzählte er einfach drauf los. Andere Gedanken. Weg mit dem rosa Elfanten. “Ich dachte, ich hätte abgeschlossen mit all dem, aber der Hym...“ Jakob schüttelte leicht den Kopf. Das Wesen hatte die dunkelsten Seiten seiner Erinnerungen heraus gezerrt, das Verbotene und Falsche an seiner Liebe zu seiner Schwester. Fest schloss er die Faust wieder, sichtlich etwas beiseite schiebend. Immernoch.
Zurück zum eigentlichen Thema. „Meine Sucht ist – war – Tempo. Immer hart an der Grenze. Sowas wie gestern hätte ich früher nie gemacht…“ Er zögerte. Raus. Rausraus damit. „Das dauert viel zu lange.“ Ein leichtes Verziehen der Lippen. „In der Nacht, in der ich hier her kam, hab ich es übertrieben. Bewusst. Ich wusste, dass ich zu schnell für die Kurve bin. Ich wusste, dass ich direkt in die Kapelle segeln würde, wenn die Reifen den Grip verlieren.“ Es war so friedlich um sie herum.
"Als Miriam im Krankenhaus um ihr Leben gekämpft hat, hab ich GOTT stundenlang angefleht, er möge mich nehmen und sie leben lassen. Alles hätte ich ihm gegeben. Alles getan. Aber er hat sie mir weg genommen, ohne mit der Wimper zu zucken. Seitdem ist da diese Wut." Und sie richtete sich wahlweise gegen die Verursacher seines Traumas, gegen andere Menschen, gegen Dinge oder eben gegen ihn selbst.
Endlich blickte Jakob auf und seinen Mentor an. Die hellen Augen waren noch gerötet, aber die Tränen versiegt. Der Elefant hatte sich zu seinen Füßen zusammen gerollt, aber er würde warten.
“Es wird wieder kommen – ich kenn’ mich. Es kommt immer wieder, irgendwann.“ Und wenn es soweit war, würde er wieder Scheiße bauen. Auch das erschien ihm in Stein gemeißelt.
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Jarel Moore
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Das Kleinod seiner Schwester. Fast so, wie er es geahnt hatte. Nur noch schlimmer.
Das ‚sein‘ Anhänger in ihrem Sarg lag, machte den Gedanken noch schmerzlicher.
Ein Teil von Jakob, der sich nie mehr erheben, nie mehr leben, nie mehr das Licht der Sonne erblicken würde.
Mit dem Tod schließt man nie ab. Und die Sucht wird ewig bleiben.“, murmelte der Ritter, die Hand immer noch auf der Schulter des Knappen, sein Blick den des Jungen erwidernd.
Bei allen Schatten, der Junge sah so fertig aus. Er musste ihn irgendwie dazu bringen, sich auszuruhen. Zur Not mit Iolas Hilfe.
Der Gedanke an die Geschwindigkeit verursachte ein Prickeln in Jarels Magengegend. Leider kein unangenehmes. Er kannte diesen Rausch zu gut. Der Ritt auf er Klinge, die greifbare Chance, dass der Tod einen erwischte und all dem ein Ende setze.
Das Schicksal herauszufordern. Jarels Magen krampfte sich zusammen. Und das bei einem so jungen Menschen.
Das schlimmste jedoch war, dass er es so gut nachempfinden konnte. Und wie knapp es gewesen war beim letzen Mal.

Du kannst wählen, Jakob. Deine Sucht bekämpfen, oder sie annehmen und auf etwas umlenken. Ob nun mit deines Gottes Hilfe oder ohne.“
Für sich hatte der Ritter eine annehmbare Lösung gefunden. Funktionierte nicht immer, aber oft.
Die Trainingsdummies litten sehr darunter. Und oft. Aber es half in vielen Fällen.
Und wenn nicht, war da die Höhe, der Berg.
„Nur versuch es nicht allein durchzustehen. Bitte.“, schloss er leise, lockerte den Griff um die Schulter des jungen Mannes so weit, dass er sich entwinden konnte, nahm die Hand aber nicht weg.
„Zu zweit ist Schieße bauen ohnehin effizienter.“
Es weitere Pause im Schweigen, bevor der Ritter die letze Frage doch noch zu fragen wagte:
"Suchst du den Tod noch immer?" Die Frage klang nach außen hin nüchtern, ohne Vorwurf. Doch weit unten hörte Jakob das Zittern. Und da war mehr als Angst. Da war eine kaum wahrnehmbare, aber existente Sehnsucht im Klang der Worte.
Sein Mentor wusste, wovon der Knappe sprach.
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