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von/nach: aus dem
Eisvogel durch die Stadt
Datum: 14. August 1278
betrifft: Valjan, Schura
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Nein, sie würde absolut nichts hier lassen in einem Zimmer, in das Menschen einfach so rein marschierten, ohne zu klopfen und das man nicht abschließen konnte. Jordans Antwort war also eine zackige Wende auf dem Absatz und ein beherzter Griff nach ihrem Rucksack, den sie mit leisem Klappern auf dem so genannten Bett parkte. Noch war wohl nicht alles ausgepackt. Die Pilotin kramte darin herum, beide Arme bis zu den Ellenbogen im Sack und begann dann routiniert zu packen, als ginge es auf Zeit. Jedes Ding fand seinen Platz und zum Schluss rollte sie den nassen Overall auf und schnallte den noch obenauf. Aufsatteln, Sonnenbrille auf die Nasenspitze, Matchogrinsen ins Gesicht und fertig.
Jordan folgte den anderthalb Männern die Treppe hinunter und auf die Straße hinaus. Novka führte und Jordans Orientierungssinn verriet ihr, dass er diesmal schnurstraks auf den Bereich zusteuerte, den er zuvor gemieden hatte wie der Teufel das Weihwasser. Und schon bevor die Erklärung anfing, konnte es die Veteranin riechen. Äußerlich blieb die Maske, Schutzmechanismen sprangen an und sie beglückwünschte sich stumm zu der Entscheidung für die Diaz, als sie den Blick hinter den verspiegelten Gläsern wandern ließ.
Sicher, Jordan war als Kampfflieger immer über dem Geschehen gewesen, trotzdem machte die Realität eines Krieges wie Vietnam vor niemandem Halt, der vorort war. Sie kannte den Geruch von brennendem Fleisch, von schwelendem Haar. Und vor allem kannte sie die Schreie, das Klagen, das Wimmern.
Die Stille.
Sie war Patriotin. Sie war bis zum Ende sicher gewesen, dass dieser Kampf wichtig und richtig gewesen war. Zweifel durfte man nicht haben. Zweifel betäubte man. Oder man war Fanatiker. Jordan hatte allerdings nie zu den Fanatikern gehört. Sie machte ihren Job und sie machte ihn gut, hinterfragte niemals zu viel. Treu, ehrgeizig und furchtlos. Die Angst war zu langsam für Jordan Baker in ihrem Jet, sie kam immer später, wenn alles vorbei war. Oder wurde einfach lahm gelegt.
So wie jetzt.
Jordan hörte zu, am ganzen Körper zu etwas geworden, was künstlich war. Gleichgültig gehalten von den Nachwirkungen ihrer Pillen, in Form gehalten vom Drill ihrer Ausbilder. Mit einer ruhigen Bewegung nahm sie die Sonnenbrille ab, faltete die Bügel und wollte sie in die Innentasche stecken. Nur war da kein Overall und auch kein Uniformhemd mit Brusttasche. Kurz wirkte sie durch die geschulte Hülle hindurch irritiert, dann ließ sie den Rucksack nach vorn rotieren und steckte die Brille weg.
Beiläufig fragte sie Schura:
"Hat er gerade Zauberer und Drachen gesagt?", und als dieser bestätigte, zuckten ihre Brauen kurz einen Deut empor. Der Rucksack fand den Weg zurück auf den Rücken und sie musterte erst Novka einen langen Moment und dann die alten und neuen Scheiterhaufen.
Homosexuelle.
Frauen in Uniform.
Fehlte noch
Reiter von stählernen Drachen und sie war Gewinnerin dieses Bullshit Bingos.
Und der Preis war ein kostenloser (und auf unbestimmte Zeit andauernder) Aufenthalt in dieser gesunden Mischung aus spanischer Inquisition und Nazi-Deutschland. Und dazu waren die Natives noch Märchenfiguren und Sagenmonster. Wenn das mal kein Horrortripp war, wusste sie auch nicht.
Zurück zu dem, was sie noch in der Lage war zu fassen: Frauen in Uniform. Ihr Blick kehrte zurück zu Novka. Inzwischen war sie sich sicher, dass der Versprecher keiner gewesen war. Novka war gut, aber nicht gut genug, wenn man darauf achtete. War sie nun beeindruckt? Angesichts dieser Gesellschaft schon ein wenig. Würde sie selbst vorsichtiger sein? Kam drauf an. Jordan war es gewohnt, Gegenwind zu haben, aber wenn der aus einem Flammenwerfer kam, würde auch sie einen Schritt rückwärts treten. Allerdings nur, um einen anderen Weg zu suchen.
Sie grinste wieder, zupfte die legere Bluse am Busen etwas zurecht, sodass sie mehr kaschierte und änderte die Haltung einen Deut. Dieses Spiel konnten auch zwei spielen.
"Frauen?", wiederholte sie das Wort in Novkas Sprache und sah sich theaterreif suchend um, bevor sie mit den Schultern zuckte. Jeder Psychiater hätte sich wohl so langsam Notizen gemacht, bei der Art, wie Jordan all die Eröffnungen der letzten Stunden schluckte und verdaute, ohne das kleinste Anzeichen eines emotionalen Echos darauf. Sie zeigte weiterhin die gleiche Schale und das unerschütterliche Grinsen.
An Schura gewandt kommentierte sie nur:
"Wie mir scheint sind die 'Monster' nicht das Problem. In dieses Bullshit Bingo passt noch ein Krieg.", ohne zu ahnen, wie nah sie der Wahrheit damit kam.
Sie ließen den Platz hinter sich und wanderten weiter durch die Straßen, allerdings weg von diesem Tempel. Jordan warf ab und an einen Blick hinauf zum Turm, aber den Wunsch, hinauf zu steigen, hatte sie ad acta gelegt. Allmählich wurden die Gebäude schäbiger und das Volk bunter. Wieder sah Jordan Zwerge, stämmige und zierliche. Und dann... kein Zweifel! Elfen! Schlank, groß und mit spitzen Ohren! Und wieder sorgte Novka dafür, dass Jordan nicht zu lange starrte.
Der Ort erinnerte sie erneut an Saigon.
"Warst du mal in Südostasien?", stellte sie Schura eine ihrer aus dem Kontext gerissenen Fragen, die oft aus Gedanken heraus entstanden, die ihr spontan kamen. Sie sah ihn dabei nicht an, sondern beobachtete ein paar barfüßige Kinder, die herumstanden, wie die Bälger immer herumzustehen pflegten, wenn sie klauen wollten. Aber der Wachmann in ihrer kleinen Touristengruppe hielt sie wohl auf Abstand.
Jorden holte ihren Rucksack wieder auf die Brust und kramte eine angefangene Packung Panzerkekse aus einem Seitenfach. Sie entnahm die Kekse, behielt die Verpackung und hielt dem nächsten der Teppichratten den Stapel Kekse entgegen. Es war immer wieder erstaunlich, wie schnell diese Kids wurden und man musste aufpassen, dass man nicht noch Uhr, Ringe oder Finger inklusive verlor. Daher nutzte Jordan immer die Linke, an der es keinen Schmuck zu stehlen gab.
"Die gibt es überall.", murmelte sie und folgte ihren Führern weiter, den Rucksack nun mehr unter den Arm geklemmt.