Allgemein | Irgendwo in den Straßen Nowigrads...

Lange Zeit war Nowigrad kein Teil von Redanien, lange Zeit konnte die größte (mit ca. 30.000 Einwohnern) und zweifelsohne auch die reichste Stadt den Status einer freien Handelsstadt halten. Nach den letzten Kriegen aber ist sie mehr oder weniger zur inoffiziellen zur Hauptstadt der freien Nordländer, vor allem Redaniens geworden seit Dijkstra als Regent zusammen mit dem Handelsrat von hier aus die Fäden zieht.
Als Heimat des Kults des Ewigen Feuers hat in der Stadt allerdings auch das Wort des Hierarchen Gewicht.
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Einar
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Fast hatte er damit gerechnet, jetzt eine gerade Rechte abfangen zu müssen, aber der Mann kam rechtzeitig zur Besinnung oder wirkte besser gesagt wie ein Träumer, den man unsanft geweckt hatte. Etwas durcheinander drehte er sich im Kreis und Einar ging auf einen halben Schritt Abstand. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, dem Kerl zu folgen. Wenn der einfach nur einen Sprung in der Schüssel und ihn mit irgendeinem Namen angesprochen hatte, der ihm gefiel, dann jagte er einem rosa Schmetterling nach. Womöglich also alles Blödsinn. Kurz sah er zurück. Er hatte doch nur ein bisschen Entspannung gewollt - vielleicht doch die Rothaarige... Doch da lud ihn der Mann auf einen Spaziergang ein. Einar wirkte kurz skeptisch, während sich der Mann schon in Bewegung setzte.
Ach verdammt.
Zwei lange Schritte und er war wieder auf gleicher Höhe.
"Wie ich mich fühle? Das sollte ich besser Euch fragen - eben noch lieft Ihr hier herum wie ein Ghul auf einer Blutspur. Verzeiht, wenn mir Euer Name einfach nicht einfallen will. Und woher sagtet Ihr, kennt Ihr mich?", nahm er einfach das unterbrochene Gespräch von eben wieder auf. War jetzt auch schon egal, ob er sich nun selbst eine Geschichte ausdachte oder die nahm, die ein anderer für ihn spann. Noch ein Blick über die Schulter zurück zum Bordell. "Und wohin wollt Ihr jetzt eigentlich so eilig? Wart Ihr nicht mit der blonden Frau gekommen, die ausziehen will?" Gut zugehört hatte er also anscheinend.
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Avarion DeSpaire
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Mitten in der Bewegung blieb er stehen und sah zurück zum Bordell, welches schon klein am Ende der Straße zu sehen war. „Francis braucht noch etwas.“ sagte er ruhig und sah dann wieder in Richtung Hafen. „Ich habe so…“ mitten im Satz brach er ab und sah Einar an. „Verzeih. Du erinnerst dich ja nicht an mich. Avarion DeSpaire. Aber bitte sag Ion. Sonst habe ich das Gefühl etwas angestellt zu haben.“ er lächelte leicht und ging dann weiter, obwohl der Impuls gänzlich vergangen war, der ihn vor die Tür gezerrt hatte. Ion zog den Ärmel wieder herunter und knöpfte die Manschetten wieder zu. „Wir haben uns auf Skellige kennen gelernt. Du bist damals mit einem riesigen Hirsch auf den Schultern über mich gestolpert, als ich in dieser Welt angekommen bin. Das war ein sehr beeindruckender Augenblick gewesen. Und du hast das Vieh locker bis zu dir nach Hause getragen. Alleine.“
„dein zu Hause ist eine Fischerhütte. Mit Netzen unter der Decke, einem kühlkeller, wo du das erlegte Fleisch lagerst. Es steht etwas alleine gelegen. Nicht direkt in der Stadt.“ seine Worte unterstütze er mit teilweise ausladenden Bewegungen. „ich das Stadt hast du mich zu dem Druiden gebracht. Mäussack. Bei ihm in der Burg Kaer … irgendwas mit Troll, durfte ich wohnen, bis wir diesen Frühling mit deinem Drachenboot hierher aufgebrochen sind.“ prüfend sah er Einar an, in der Hoffnung eine Regung bei ihm zu erkennen. „Ich war mit sicher, dass du mit dem Boot wieder zurück in deine Heimat fahren wolltest. Deswegen bin ich überrascht dich jetzt, ein halbes Jahr später hier wieder zu treffen. Wenn die See unruhig wird, kommst du dieses Jahr nicht mehr zurück.“ nun hatte sich doch Sorge in seine Stimme geschlichen.
„Ist da gar nichts an Erinnerung über? Nicht an Übbe, Brunhild, ihre Zwillinge die letztes Jahr zur Welt kamen. Oder Brun?“ Ion versuchte sich an noch mehr Namen zu erinnern, doch Fehlanzeige. „Das wird schon wieder Einar Bärenherz.“ Bärenherz. Der Bär. „Spürst du deinen Bären noch?“ fragte er und blieb stehen um den Nordmann zu Mustern.
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Einar
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Einars Kurzzeitgedächtnis hatte nach wie vor Sendepause, aber bei den Namen seiner Familie begann es leise zu Klirren.
Brundhild - seine Schwester.
Brun - sein Neffe.
Mäussack. Ach der...
Ubbe - sein Kriegsherr und Schwertbruder.
Unwillkürlich glitt seine Hand zu seiner rechten Brust, wo unter dem Hemd die Bärentatze seine Haut schmückte. Der Bär. Sein Bär.
Am Mienenspiel des Hünen war zu sehen, dass es in ihm arbeitete. Bildfetzen kamen ans Licht, Kindheitserinnerungen rollten aus den Dunkel herauf. Je älter desto klarer.
Seine Begegnung mit dem Bären, unter der Anleitung der Druiden. Die tief in ihm ruhende Quelle einer Kraft, die aus dem Mann einen Berserker zu machen im Stande war. Seine Mannschaft, die alle einen starken Jäger zum Zeichen trugen und unter denen er dich etwas besonderes war, weil der Bär Teil seines Erbes war. Rohe Wildheit, ungezügelt und wenn einmal frei gelassen, schwer wieder zu bändigen, weshalb er stets so bedacht war, sich nicht reizen zu lassen.
Wieder ein Blick zurück. Der seltsame Kerl mit seiner Körnchenscheißerei hatte diese Grenze fast gerissen und er - Einar - wäre unwissend fast in die Falle gelaufen. Ausgerechnet in dieser Stadt auffällig zu werden, war ein Todesurteil. Auch daran erinnerte er sich nun.
"Ja ja, Kaer Trolde, die Feste des Königs. Meine Hütte, mein... Schiff? Ja... Meine Familie. Langsam dämmert es mir, aber Ihr... Du." Er grübelte wieder angestrengt, doch alles was näher als ein paar Monate oder Wochen lag, blieb verschwommen.
"Ich kam im Bauch eines Schiffes her, aber meins war es nicht. Bin von denen aufgesammelt worden. Nilfgaarder Soldaten, auch wenn sie sich versucht haben als hiesige zu tarnen. Der Akzent, die Art wie sie miteinander umgegangen sind. Militär. Und dann diese schwarze Schlange, die die Befehle erteilt hat." Leicht schüttelte er den Kopf. Eine Frau als Kapitän eines Schiffes war für ihn schwer zu begreifen. Zwar hatten die Frauen auf Skellige einen hohen Stellenwert, manche waren sogar Kriegerinnen, doch die Kriegsschiffe waren seit Alters her in Männerhand. Auch das wusste er.
"Wo willst du denn jetzt hin, Ion?" Wohin er selbst wollte, wusste er schon nicht mehr. Zerstreut war er noch immer durch die Verletzung. Aber wenn er Hirsche schleppen konnte... "Brauchen die Frau und du vielleicht ein paar helfende Hände?" Immerhin sah der Kerl aus, als könne er auch Karren und Maultier schleppen, wenn es sein müsste.
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Avarion DeSpaire
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Wieder blieb Ion stehen und sah in Richtung Hafen. Der Impuls war gänzlich verschwunden und machte einer seltsame Leere in ihm Platz. Die Hand auf den Bauch gelegt schloss er einen kurzen Moment die Augen und hörte die Worte des Nordmanns. Wenngleich er ihm nicht Magie helfen konnte, so schienen seine Worte immerhin den Stein wieder ins Rollen gebracht zu haben. Er versuchte sich daran zu erinnern, was sein Großvater ihm mal über die Erinnerungen gesagt hatte und warum alte Leute sich meistens an ihre Kindheit, aber immer weniger an die kürzlich Verstrichene erinnerten. Aber es wollte ihm einfach nicht einfallen. "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr." beantwortete er die Frage auf sein Ziel. Langsam riss er den Blick vom Hafen in der Ferne los und sah wieder zu Einar. "Francis hat eine neue Arbeit im Krankenhaus und packt alles zusammen. Hilfe wird sie bestimmt nicht ausschlagen."
Langsam machte er kehrt und machte sich daran, wieder dem Weg nun leicht bergauf zu folgen. "Wir haben uns erst letztes Jahr getroffen. Wahrscheinlich ist die Erinnerung daran gerade nicht so wichtig, wie die an die Familie. Bestimmt kommt auch das irgendwann wieder." Aufmunternd klopfte er Einar auf die Schulter. "Aber ich freue mich, das ich zumindest ein wenig weiter helfen konnte und du weißt, das wir uns schon mal begegnet sind. Sonst wüsste ich das alles nicht."
In Gedanken ging er dann doch das Gesagte noch mal durch. 'nicht mit seinem eigenen Schiff.' "Du sagtest, man hätte sich aufgesammelt? Erinnerst du dich daran wo?" 'Nilfgarder Soldaten. Ob es der Einsatz war, bei dem Jarel ins Wasser gestürzt ist?' Mitten in der Bewegung blieb er stehen. "Möchtest du doch in den Hafen, vielleicht erinnert dich eines der Schiffe an etwas?"
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Einar
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"Francis? Heißt sie so?", brummelte der Bär. Sie wechselten wieder die Richtung und Einar machte keine Anstalten, noch einmal zum Hafen zu wollen. Das Schiff hatte er zur Genüge kennen gelernt - von innen wie von außen. Sowohl das Kriegsschiff als auch den Schoner. Er erinnerte sich noch an das beklemmende Gefühl, als man ihm erklärt hatte, wo er sei. Ohne sich zu erinnern, war es dennoch im Unterbewusstsein gespeichert gewesen, dass da etwas grundfalsch war. Obwohl er gut behandelt worden war, die unterschwellige Feindseligkeit konnten die Matrosen nicht abschütteln.
"Auf See.", war die zunächst lakonische Antwort. Er grübelte ernsthaft, kam aber über diese Antwort nicht wirklich hinaus, also nahm er, was man ihm gesagt hatte. "Der Steuermann sprach ein bisschen Skellige und Gemein. Er hat mir gesagt, mein Schiff sei im Sturm vor den Bestah-Riffen gesunken. Sommergewitter sind in der Gegend nicht selten und an den Riffen laufen die Wellen hoch auf. Kann also schon sein. Kann aber genauso gut sein, dass sie uns aufgebracht haben. Glaub aber nicht, dass er gelogen hat. Ihr Schiff hatte auch ein paar typische Sturmschäden."
Er tappte neben Ion her wieder zurück zur Nachtigall, wobei der Eindruck entstand, der Bär brauchte einen Schritt wo Ion anderthalb machte. Irgendwie zog es ihn schon zurück.
"Ein Schiff war das, ich sag dir. Sowas Großes haben sie nicht mal in Kovir und die können Schiffe bauen. Und bis an die Zähne bewaffnet mit so Dingern, die sie 'Kanonen' nennen. Aus Serrikanien, woher sonst. Wenn die im Süden was können, dann sind's Waffen. Statten ja die Nilfgaarder mit dem ganzen Kram aus und hier legen die unsere Städte damit in Schutt und Asche. Man sagt, sie schießen damit fünfhundert Fuß weit. Cintra haben die Schwarzen angeblich damit bombardiert. Damals." Sowas wusste er verrückter Weise noch. Gelerntes Wissen, das seinen Alltag als Kriegsherr bestimmt hatte. Er schüttelte den Kopf. "Nein, wenn die uns beschossen hätten, wüsste ich das bestimmt noch.", sagte er entschieden.
Zuletzt geändert von Einar am Samstag 21. Oktober 2023, 15:57, insgesamt 1-mal geändert.
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Avarion DeSpaire
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Im ersten Moment hatte Ion einfach nur zugehört und nickte gelegentlich. „Gesunken?! Dann hast du wirklich Glück noch hier sein zu können.“ wieder klopfte er ihm freundschaftlich auf die Schulter. Diese Geste bemerkte er aber selber und mäßigte sich. War doch ein wenig viel Körperkontakt und konnte durchaus falsch verstanden werden. Schiffbruch erleiden und im offenen Meer treiben, ohne Gewissheit auf Rettung, ohne ein Ziel oder eine Richtung, die Land versprach, das man erreichen konnte. Einar hatte mehr als nur Glück gehabt. Da war der Verlust der Erinnerungen ein geringer Preis für sein Leben. Und noch dazu einer den er wahrscheinlich nur temporär bezahlen musste.
Wie launisch die See sein konnte, hatte er bei seiner Anreise schon bemerkt und das in einer gefühlten Nussschale.
Als Einar dann aber über ein anderes Schiff sprach wurde er hellhörig, sehr hellhörig. ‚Größer als alle anderen. Bewaffnet bis an die Zähne mit Kanonen. Und es liegt irgendwo da draußen. Bereit jederzeit die Stadt angreifen zu können und das aus einer sehr weiten Entfernung. Die Bürger hätten keine Chance zu entkommen und wüssten am Anfang nicht einmal wo der Angriff herkommt. Eine Massenpanik und sehr viele Tote wären die Folge. Die Vorstellung war grauenhaft und brachte den Elfen dazu schweigend einen Teil des Weges fort zu setzen.
„Das klingt spannend. Hast du so ein Schiff schon einmal gesehen? Könntest eines genauer beschreiben? Oder auszeichnen. So wirklich vorstellen kann ich mir das gar nicht.“
Die kurze Strecke zurück zum Bordell hatten sie fast schon wieder hinter sich gebracht. Eingangsbereich und Tür waren gut zu sehen. Wenn Pavel den Wagen bereit hielt dann wohl im Hinterhof.
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Einar
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Der Schlag auf die Schulter kam Einar nicht merkwürdig vor. Wenn er in sich hinein lauschte, dann fand er da die Gewissheit, dass es für ihn normal war, auf Tuchfühlung zu sein. Der Grund war die Enge auf den Drachenbooten, aber das hing noch am Rande seines Bewusstseins fest. Fakt war, dass er einen sehr kleinen Distanzkreis um sich herum hatte und dieser fast auf Radius Null schrumpfte, sobald er jemanden auch nur ansatzweise kannte.
Entsprechend fand dieser sich ganz plötzlich in einem halben Schwitzkasten, als Einar einen Arm um Ions Schultern legte und dessen Nacken in seine Ellenbogenbeuge klemmte. Das tiefe, aber herzliche Lachen war nicht nur zu hören, sondern für den Elf auch gleich deutlich zu spüren, wie es aus dem Brustkasten des Bären dröhnte und seinen an diesen gezogenen Körper gleich mit in Schwingung versetzte.
"Ich bin froh, dass ich dich hier getroffen habe, Ion. Und mein Gedächtnis findet dich bestimmt auch noch wieder.", damit ließ er ihn wieder frei und wurde etwas ernster. Vor der Tür des Nachtigall blieb er stehen und strich sich nachdenklich den Bart glatt. "Beschreiben kann ich es durchaus, aber zeichnen ist nicht mein Talent." Nilfgaardische Kriegsschiffe waren für ihn durchaus kein neuer Anblick, aber an Bord war er bis dato auch noch nie gewesen. Glaubte er jedenfalls. "Kennst du wen, der malen kann?"

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Zuletzt geändert von Einar am Samstag 28. Oktober 2023, 15:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Avarion DeSpaire
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Zu viel. Viel zu viel Körperkontakt. Ion hielt tapfer Still als er im Arm des Nordmannes klemmte. Offensichtlich hatte er im letzten halben Jahr die distanzlose Art der Skelliger vergessen oder erfolgreich verdrängt. Jetzt erinnerte er sich wieder an die herzliche nähe und schalt sich selber einen Narren das er eine einfache Geste als zu viel betrachtet hatte.
„Du wirst dich bestimmt wieder an alles erinnern. Gib deinem Kopf Zeit sich von dem Schrecken zu erholen.“ sagte er kurz bevor sie das Bordell wieder erreichten. Es lag so friedlich und unscheinbar da wie eh und je.
Als Einar nach jemanden mit Malkünsten fragte musste Ion überlegen. Aber leider musste er verneinend den Kopf schütteln. Er zeichnete zwar selber grob Dinge auf Papier an die er sich erinnerte, aber es war etwas gänzlich anderes ob man aus der eigenen Erinnerung heraus etwas malte oder versuchte eine Beschreibung in ein Bild zu fassen. Kurz fragte er sich ob er Einar mit zu Slava nehmen sollte, damit dieser die Beschreibung aus erster Hand hören konnte. „Weißt du schon, wo du die nächste Zeit unter kommst?“ fragte er und öffnete die Tür um das Bordell wieder zu betreten.

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Weiter in Nowigrad - Bordell Nachtigall. (Seite: 26)
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Pandora
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von: Eisvogel ➜ Straßen von Nowigrad
Datum: früher Abend, 14. August 1278
betrifft: derzeit niemand
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Ihr erster Weg führte Jordan noch einmal auf den Platz, auf dem Novka ihr die Scheiterhaufen gezeigt hatte. Einer abgebrannt, zwei neu aufgeschichtet. Sie blieb an einer Hausecke stehen, von der aus man eine gute Übersicht über den Platz und die zuführenden Straßen hatte, und selbst eine Wand im Rücken. Warum genau sie noch einmal hergekommen war, hatte mehrere Gründe: zum einen als eine Form von Selbstkonditionierung. Nicht vergessen, wo du bist, Pandora und was diese Leute mit jemandem machen, der sich abnorm verhält. Zum anderen, um die Leute zu beobachten, die um diese Scheiterhaufen herum liefen und agierten. Wieso wollte Sokolov diese Stadt retten, sprich wo waren die Normalos, die eben keine Hexenjagd veranstalteten, sondern einfach nur leben wollten. Wieso waren die Leute hier schützenswerter als die auf der anderen Seite der Front. Eine Frage, die sie sich als Mitglied der Streitkräfte der Vereinigten Staaten nie hatte stellen müssen, aber jetzt, da sie auf das hier limitiert war und es auf absehbare Zeit wohl keinen Ausweg gab, musste sie ihr zwangsläufig in die Augen sehen.
Wieso also Nowigrad?
Weil der Zufall Schlucha in diesem Hafenbecken versenkt hatte?
Sie folgte mit den Augen zwei Frauen, die schwatzend vorüber gingen. Jede trug einen Korb und beide hatten eine Haube auf dem Kopf, bunte Rocke unter hellen Schürzen und trotz der Wärme Tücher um die Schultern. Jordan war ganz froh, dass sie es nach fast zwanzig Jahren Beobachtung und Immitation ganz gut drauf hatte, als Kerl durchzugehen, wenn sie es drauf anlegte, sonst wäre die fehlende Haube und die Hosen wohl direkt der erste Stein des Anstoßes gewesen.
Ihr Blick driftete zu dem Gebäude, dass ihr als Palast des Hierarchen vorgestellt worden war. Vor der Tür zwei Typen, die aussahen, wie aus einem Burgmuseum. Ritterrüstungen, ganz in echt. Dieser Hierarch hatte dann wohl mit dem Papst so wenig gemein wie diese Typen mit der Schweizer Garde. Wobei Jordan in europäischer Geschichte nicht so sattelfest war, um zu wissen, dass die Päpste um 1300 rum anders drauf gewesen waren als in der Neuzeit und dass sich der Hierarch dann wiederum gar nicht so sehr von diesen unterschied. Inklusive Scheiterhaufen. Sie war einfach im Kopf noch nicht so weit, um gänzlich in dem Fakt abzutauchen, dass sie mitten in einer Art Hochmittelalter steckte. Dass das hier kein Spiel oder lebendes Museum war, sondern harte Realität.
Sie blieb so lange an ihrer Ecke, bis sie bemerkte, dass man sie bemerkt hatte. Von einem anderen, nicht minder protzigen Haus aus, dass angeblich dem Regenten gehörte. Dem Mann, für den Sokolov arbeitete. Die Wächter vor der Tür sahen auch nicht aus, als verstünden sie viel Spaß oder würden lange Fragen stellen, und als die Frequenz der Blicke in ihre Richtung anstieg, entschloss sich Jordan den geordneten Rückzug anzutreten. Gerade rechtzeitig, bevor sich einer der beiden in ihre Richtung in Bewegung setzen konnte. Empfindlich, die Typen.
Sie ließ sich durch die Stadt treiben, folgte der Strömung von Menschen durch Straßen und auf einen weiteren Platz, wo gerade die Marktstände abgebaut wurden. Die noch verbliebenen Auslagen erinnerten sie an die Basare im Osten, ebenso die Geruchsmelange. Hunde streunten zwischen den Wagen und ständen, Frauen verjagten sie mit Besen oder Knüppeln. Und überall waren Ratten. Die Biester versteckten sich noch nicht mal und rannten frech zwischen Füßen, Resten und ihren Schlupflöchern herum. Das war wirklich ekelhaft. Aber es war nicht das einzige, was Potenzial hatte, Jordan Herpesbläschen zu zaubern. Die Hygiene war so, wie man es sich vorstellte. Die Frauen wuschen an den Brunnen die Wäsche, die Hunde pissten an die Brunnenwand, die Pferde verloren überall Äpfel, die Ochsen Fladen und so mancher Hinterhof roch wie eine Kloake.
Auch Saigon war kein Maß an Reinheit gewesen, aber da herrschte Krieg. Hier zwar irgendwie auch, wenn sie das richtig verstanden hatte, aber die Stadt war weder besetzt noch belagert. Das musste also der Normalzustand sein und es fiel Jorden extrem schwer, sich damit abzufinden, dies jetzt als ihren Aufenthaltsort für die nächsten x Jahre anzuerkennen. Der Gedanke drehte ihr zusammen mit den Gerüchen den Magen um und sie floh Richtung Hafen, bevor sie sich noch übergeben musste. Überhaupt fühlte sie sich unangenehm zittrig, aber die salzige Brise am Meer machte es gleich etwas besser, außerdem war es hier nicht so voll. Schiffe wankten träge auf den Wellen, Taue und Masten knarrten. Ein Kahn wurde gelöscht und die Matrosen sangen ein Lied, das Jordan an die Working songs ihrer Heimat erinnerte. Eine Weile hörte sie zu, überlegte sogar, ob sie sich vielleicht hier verdingen konnte, aber bevor sie das in Angriff nahm, musste sie ihre weiblichen Attribute besser kaschieren, denn leider war sie dahingehend von der Natur zu gut bestückt worden. Das abfällige Lachen des Wirts klang ihr noch zu deutlich in den Ohren und sich darauf nicht gleich entsprechend zur Wehr setzen zu können (aus sprachlichen und taktischen Gründen), kratzte an ihrem Stolz.
Eine Weile blieb sie an der Kaimauer sitzen, bis die Unruhe sie doch wieder packte und weiter trieb. Sie kam an einem Schiff vorbei, das bewacht wurde und blieb nicht stehen, weil es genauso grimmig drein blickende Typen wie am Regentenpalast waren. Ob das Soldaten waren, denen Sokolov vorstand? Und wenn ja, konnte sie sich selbst zwischen diesen vorstellen? Irgendwie abstrus. Ihr Blick glitt zum Himmel. Sie war kein Fußsoldat.
Einmal tief durchatmen. Augen schließen.
Sie war so lange durch Scheiße gerobbt, hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und jedem noch so großen Arschloch die Stirn geboten, um ihre Flügel zu bekommen, nur damit sie jetzt von so einem dahergelaufenen Portal gestutzt wurden. Wenn es um Flugzeuge, Flugzeugtechnik und Fliegen ging, hatte sie eine verdammt hohe Frustrationstoleranz, aber abseits davon war die Schwelle schnell überschritten. Ihr Weg hatte sie an der Befestigungsmauer entlang auf die andere Seite der Stadt geführt, von wo sie die Tempelinsel sehen konnte. Hier war der Strand nicht befestigt und nur vereinzelte kleinere Stege führten ins offene Wasser hinaus. Mit der Fußspitze kickte sie einen Stein aufwärts, fing ihn mit der rechten Hand und warf ihn mit aller Kraft und einem Laut, der ihre ganze Frustration nach außen trug, aufs Meer hinaus. Platschend ging er in den Wellen unter und bekam noch Gesellschaft von weiteren fünf Steinen, sowie diversen Flüchen, Beschuldigungen und sonstigem seelischen Unrat.
Ein Fischer, der bei seinem Boot hockte und sein Netz flickte, sah kurz auf, schien sich für die Irre allerdings nicht weiter zu interessieren. Zumindest nicht, so lange sie weit genug weg war. Blieb sie nur nicht und schon schaute er misstrauisch, als sie sich seinem Steg näherte.
"Guten Tag Sir, geht's dort zum Einkaufszentrum?"
Der Mann schaute sie irritiert an, blickte dann in die gewiesene Richtung und sagte etwas, das sie natürlich nicht verstand. So wenig wie er wohl ihre Worte verstanden hatte, aber sie lächelte. "Danke Sir, einen schönen Tag Ihnen auch." Und weiter ging ihr Spaziergang. Eines war sicher: sie würde hier über kurz oder lang durchdrehen, also konnte sie auch mit Sokolov an seinen Projekten arbeiten, die nicht weniger irre rüber kamen als sie selbst wohl gerade. Schlucha heben, Napalm basteln, Greifen reiten. Klang wie erstrebenswerte Jahresziele. Hoffentlich zahlte er Gewinnbeteiligung... Jordan schüttelte über sich selbst den Kopf. In Momenten wie diesen verfluchte sie ihre Alkoholintoleranz, denn wie schön wäre jetzt ein Schnaps gegen das Chaos im Kopf. Naja, sie hatte andere Mittel.
Der Gedanke brachte sie auf den Weg zurück durch die Stadt und zur Taverne.
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