An der Müllhalde

Kordon liegt am äußersten Rand der Zone und wird vom Militär bewacht. Die meisten Anfänger halten sich erst eine Zeit lang in Kordon auf bis sie genug Waffen und Mut haben tiefer in die Zone vor zu dringen.
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Konstantin Krylow
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von hier.

Einen kurzen Moment mussten sie die Unterhaltung pausieren als sie den Kontrollposten passierten.
Es fiel ihr schwer, sich ruhig zu halten, das sah er. Irgendwie tat sie ihm ja auch leid, aber es gab keinen Ausweg. Sie als seinen Besitz zu kennzeichnen hätte auch nicht geholfen, dazu fehlte es wiederum ihm an Gewicht.
"Daran wirst du dich gewöhnen müssen, die meisten hier sind so 'bezaubernd'."
Mehr Frauen... ja, ganz sicher war das eine Lösung.
Er hatte seine Meinung dazu, aber die würde ihr nicht gefallen, keine Frauen in der Zone. Dazu schwieg er besser, andernfalls hätte er preisgegeben, dass er genug über Biologie und Vererbung wusste um ihr einen guten Grund zu nennen weshalb Frauen wirklich nichts in der Zone zu suchen hatten. Sie hatten das damals sogar diskutiert, es hatte immer wieder auch fähige Damen gegeben, die durchaus hier überleben konnten, nur die Biologie machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Sokolov hatte damals ganz nüchtern Statistiken zitiert, Raisa wollte ihm dafür wohl am liebsten ins Gesicht springen, Valentine hatte si zurückgehalten aber sie hatte eingesehen dass er recht hatte. Frauen, vor allem junge, hatten in der Zone nichts zu suchen. Aber auch den Ärger sollten sich besser andere zuziehen.
Und dann kamen auch schon wieder neue Fragen.
"Keiner weiß genau was passiert ist. Und keiner sagt was dazu. Die Wissenschaftler zahlen nen guten Preis für alles was man hier an Dokumenten findet, das lässt tief blicken, aber das heißt auch, sie haben selbst keine Ahnung. Irgendwas ist beim Unfall passiert irgendein Scheiß und bei der zweiten Explosion, seit dem ist nichts mehr wie's sein sollte. Und seitdem treiben sich auch diese komischen Biester rum. Die Stalker glauben, dass es Sowjetexperimente waren um Supersoldaten zu erschaffen... aber das ist Hundedreck, das muss irgendwas anderes sein." Und am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen. er quatschte schon wieder zu viel. Sein Gedanke war es gewesen, sie besser zu den Verschwörungstheorien zu lenken, die hier pausenlos zitiert wurden, aber dann war ihm klar geworden, dass sie die Ablenkung vielleicht erkannte. Sie war auf einem zu guten Weg.
Er hätte ihr auch gerne noch seine Theorien zu den verbogenen Gesetzen der Physik erörtert, dazu dass der Energieerhaltungssatz hier auf sehr bizarre Weise Anwendung fand, aber damit hätte er schon wieder zu viel verraten. Das sollten andere tun, die wussten wovon sie sprachen.
Anomalien die teleportieren... Verdammt, sie kam dem Kern schon bedrohlich nahe. Er würde erleichtert sein, wenn er sie Schura übergeben konnte.
"Denkst du, du bist in einem Kinofilm oder einem Computerspiel? Das ist die Zone... das hier ist ernst.... nichts hier ist 'Cool', das meiste bringt dich einfach...!"
...um. hatte er sagen wollen, verstummte aber selbst im Satz und hob die Hand, um jede Erwiderung zu unterbinden.
sie waren der Müllhalde gefährlich nahe und die gehörte zu den immer wieder umkämpften Gebieten.
Dort tauchten in regelmäßigen Abständen Artefakte auf, nicht die wertvollsten, aber die Masse machte es. Wer die Müllhalde besaß musste nur ernten. Außerdem war ein Vorrat an Ersatzteilen auch nicht von der Hand zu weisen. Es gab Verrückte, die trauten sich mit einem Jeep durch die Zone zu fahren oder mit dem Moped. Für die meisten ein kurzes Vergnügen, denn Anomalien sah man da in der Regel viel zu spät.
Es war nun allerdings ruhig.
"Gut, weiter. Hier halten wir uns gar nicht lange auf, das gibt nur Ärger."
Bald schon kam ein flaches aber langgestrecktes Gebäude ins Sichtfeld, je näher sie kamen umso deutlicher wurde die tatsächliche Größe. Kovac blickte nun immerr öfter auf seinen PDA. Er wirkte ein wenig besorgt.
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Jessica Voss
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von/nach: Nubgorod (Noobtown) / An der Müllhalde
Datum: 15. Mai 2021
Uhrzeit: 2100 OEZ
betrifft: Konstantin (Kovac) Krylow
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Jessica runzelte die Stirn zu seinen Erklärungen. Wieso ließ das Militär diese anderen Fraktionen überhaupt existieren? Gerade, was diese 'Kiffer' und 'Freien Stalker' anging. Die Russen und ehemaligen Sowjetländer waren nun nicht gerade für ihre Zimperlichkeit bekannt, wenn es darum ging, Aufstände oder Proteste mit Gewalt nieder zu schlagen. Und das galt nur der freien Meinungsäußerung. Hier ging es um potentiell weltverändernde, wissenschaftliche Dinge, wie Artefakte und Monsterinvasionen aus anderen Dimensionen, oder solch einen Sci-Fi-Scheiß. Einen kalten Krieg mit anderen Ländern führen, aber zulassen, dass jeder Hans und Franz an möglicherweise mächtiges Zeugs ran kam. Politiker! Pah!
"Wieso haut das Militär nicht einfach dazwischen und zieht die gesamte Kontrolle an sich? Ich mein,... klar würde eine 'Invasion' der Ukraine weltweit für Aufsehen sorgen. Aber wenn es stimmt, dass hier kein Satellit durchkommt, dann ist es einfach ein Manöver unter einem neuen Spionageschirm."
Sie bemerkte, wie diese Themen Kovac irgendwie beunruhigten. Er gab sich alle Mühe, ihre Fragen zu beantworten. Auf seine Weise. Mit massig Ablenkung und Themenwechseln. Ihr zusätzlicher Reportersinn schlug bei ihm voll aus. Sie kannte die Anzeichen. Jemanden, der nicht alles erzählen wollte, konnte sie auf Kilometer gegen den Wind riechen. Aber sie sagte nichts. Noch nicht. Sie wollte ihn nicht verunsichern oder gar gegen sich aufbringen. Nicht hier, allein in der Wildnis mit irgendwelchen Banditen und Militärs um sich herum.
Also schwieg sie zu seiner Meinung bezüglich der verschiedenen Nationalitäten. Wobei ihr der Name 'Hohecker' ein kurzes Grinsen auf die Lippen spielte. Nah dran, aber die Ernsthaftigkeit des Themas wurde deutlich geschmälert, wenn sie den Typen von 'Switch' 'Vorwärts immer, rückwärts nimmer!' vor ihrem geistigen Auge plappern ließ.
"Du meinst Walter Ulbricht. Und die Cayman-Islands? Steueroasen?"
Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. Als wenn das was bringen würde, wenn militärische Geheimdienste einen dringend finden und dingfest machen wollten. Oder Schlimmeres.

Später war Kovac dann wieder freizügiger mit seinen Informationen. Ob es nur von der eigentlichen Spur ablenken sollte, oder ob er sich wirklich verplappert hatte, konnte Jessica allerdings nicht mit Sicherheit sagen. Und egal, was er von diesen Experimenten um Supersoldaten hielt, für möglich hielt sie es allemal. Nach Nazi-Deutschland und dem American-Ultra Programm, wäre das nur eine weitere Großmacht, die diese Möglichkeiten ausschöpfte.
Sie wollte gerade erwidern, dass die Situation schon ein gutes Computerspiel abgeben würde. Sie kannte sich dahingehend nicht wirklich aus. Bis auf ein SNES hatte sie in ihrer Jugend keine Videospiele gespielt und auch später war sie glücklicherweise nicht zu einem Nerd geworden. Wie nannte man die coolen Nerds noch, die mitreden konnten, aber es nicht lebten? Geeks! Ja, genau. Ein Geek, das war sie vielleicht so gerade eben noch. Und ihre schmerzenden Füße sagten ihr, dass ein Computerspiel um diese ganze verfickte Situation ganz bestimmt ein Wandersimulator sein würde. Oder wenn sie an das Erlebnis in der Unterführung zurück dachte, vielleicht ein Jump'n'Run oder ein Parcoursimulator.
Naja, wenn kein Video-Spiel, dann würde zumindest irgendwann jemand ein Buch darüber schreiben. Falls es nicht bereits schon geschehen war. Gerade die Russen hatten einen ganz eigentümlichen Sinn für ihre Sci-Fi-Geschichten. Und wer wusste schon, wie viele der ganzen, berühmten Romane, die in den Bestseller-Listen der Welt kursierten, eigentlich getarnte Wahrheiten waren, die nur jeder für zu abgedreht hielt, als dass sie wahr sein konnten. Glücklicherweise hatte Jessie keinen Ring am Finger und die Ukraine war auch nicht für ihre großen Vulkane bekannt.

Aber zu all diesen Erläuterungen kam sie gar nicht, da Kovac sich selbst bereits unterbrach und auf Vorsicht pochte. Gut so, denn er hatte es wieder einmal erfolgreich geschafft, ihren Verstand von den eigentlich wichtigen Themen abdriften zu lassen. Oder war es seine Form von Small-Talk? Eher unwahrscheinlich. Der Typ machte selbst nicht gerade den Anschein, ein Nerd oder Geek zu sein. Was sie bisher echt wunderte, war, dass er sich noch nicht mit seinen ganzen Abenteuern und Erfolgen gerühmt hatte. Sonst taten die Kerle doch alles nur Erdenkliche, um einer Frau zu imponieren. Sie hatte erwartet, er würde ihr nur zu bereitwillig von überlebten Schießereien und bemerkenswerten Artefaktfunden erzählen. Aber nichts dergleichen. Alles musste sie ihm aus der Nase ziehen. Völlig untypisch für einen Mann, einsamen Wolf und Glücksritter. Und das machte die Reporterin in ihr stutzig,... sogar vorsichtig. Ihr Instinkt sagte ihr, dass Kovac mehr war, als er zu sein vorgab.

Jessica erstarrte, als Kovac anhielt und horchte. In diesem Fall würde sie auch nicht widersprechen und sofort reagieren. Was auch immer mit dem Mann nicht stimmte, er war hier der Experte und sie würde sich seinem Rat wohl oder übel beugen müssen. Für den Fall, dass er einen Hinterhalt oder eine andere Gefahr entdeckt hatte, hob sie schonmal die AK an ihre Schulter und suchte die Umgebung ab.
Stille.
Das war alles, was auf sie einschlug. Und das ganz gewaltig. Solch eine Stille war ungewohnt. Normalerweise waren tagsüber Vögel zu hören. Und wie jetzt, in der Dunkelheit, vielleicht zirpende Grillen oder das leise Knacken von kleinen Ästen, die von Kaninchen im Gebüsch zeugten. Aber hier drang eine Stille, wie in einem Grab auf sie ein und erzeugte dieses unangenehme Druckgefühl in den Ohren, die es gewohnt waren, immer etwas zu hören und sei es ein noch so leises Hintergrundrauschen. Nervosität machte sich in Jessica breit und schon bald war das Pochen des eigenen Herzens das überwältigend laute Geräusch, welches ihr Gehör invasierte.

Ein kurzer Seitenblick zu Kovac, gepaart mit ihrer instinktiven Menschenkenntnis, verriet ihr, dass er besorgt war, als er teilweise sehr hektisch auf seinen PDA schaute. Sie trat einen Schritt näher auf ihren Führer zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte über seine Schulter auf die blinkenden Symbole des LCD-Displays.
"Was ist los?" flüsterte sie leise und nah an seinem Ohr. Wenn sie das zuvor richtig verstanden hatte, waren die Stalker mit ihren PDAs verbunden und konnten anhand dessen sehen, wer gerade wo war. Sie versuchte die Symbole zu entziffern und mit der Karte und ihrem aktuellen Standpunkt zu vergleichen. Waren andere Stalker in der Nähe? Wollten sie nicht Kovacs Kameraden hier treffen? Waren ihre Symbole zu sehen oder war ihr Fehlen das, was ihren Führer beunruhigte.
"Probleme? Sind deine Kumpel nicht da?"
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Konstantin Krylow
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Kovac hatte ein wenig damit zu tun, nicht die Fassung zu verlieren bei den Worten der Journalistin.
Sie kam der Wahrheit verdammt noch mal viel zu nahe und das schon nach wenigen Stunden.
Bis sie in Pripyat wären hätte sie wohl durchschaut, dass die Zone längst in der Hand ihrer Dienststelle war. Von Geheimdiensten zu sprechen klang auch für ihn zu sehr nach Agent Stierlitz und nach dummen Action Kino, aber letztlich war es so.
Das Projekt Nachtwache nutzte die Mittel der Zone um sie zu kontrollieren.
Sie waren es die mit Waffen handelten, mit Drogen und mit Artefakten, sie schleusten Trojaner in jeden verfügbaren PDA und überwachten die ein uns ausgehenden Nachrichten, bei der neuen Generation sogar was in der Nähe gesprochen wurde, die alten hatten noch kein so fein ansteuerbares Mikrofon.
Und es fiel ihnen verhältnismäßig leicht, denn es handelte sich um ein abgesperrtes Gebiet mit einer begrenzten Anzahl an Personen.
Sicher, immer wieder entzog sich irgendwer der Kontrolle, aber im große und ganzen machten sie ihren Job gut und es war auch notwendig, aber es sollte dennoch nicht an die Presse geraten, denn jedem von ihnen war klar, mit welchen Methoden sie zum Ziel kamen.
Umso wichtiger war es daher, dass er diese Frau aufgegabelt hatte, und zwar früh genug, ehe sie zu viel Schaden anrichten konnte. Aber wie man sie nun unter Kontrolle bringen konnte... Hier zeigte sich, dass er ebene in Anfänger war.

Da kam es ihm gelegen, dass wohl tatsächlich etwas im Busch war.
Stariks PDA wurde in dem Moment abgemeldet.
Das konnte im Grund nur eine bedeuten, aber genau das wollte er nicht wahrhaben.
"Scheiße, verdammte... Sie sind da... waren es..."
Ihm war kurz heiß und kalt gleichzeitig.
Eigentlich musste er los, vielleicht war noch etwas zu retten, allerdings, wenn sich das Gerät bereits deaktivierte war es wohl ohnehin zu spät. Und er hatte nun diesen Klotz am Bein. Er merkte tatsächlich, wie er etwas in Panik geriet. ruhig und Cool ging irgendwie nicht mehr. Er war bei weitem nicht so angebrüht, wie er gerne gewesen wäre und wie er sich darstellte.
"Wir müssen los, bleib so gut es geht in Deckung, schieß nur wenn du sicher bist. Anomalien gibt hier keine, lauf nur nicht zu weit an der ;Mauer nach vorne." Zum Glück dachte er noch daran, sie darauf hinzuweisen.
Und dann wartete er nicht lange sondern rannte los, vielleicht war es sogar seine Absicht, ein wenig Vorsprung zu bekommen um sich ein Bild von der Lage machen zu können, auf jeden Fall brachte er schnell etwas Abstand zwischen sie und erreichte schon kurz darauf den Straßenseitigen Eingang, schwere Hallentüren, die klemmten und auch nicht mehr richtig schossen, weswegen diese Seite auch mit schweren Barrikaden befestigt war.
Er selbst blieb in Deckung, niedrigste Gangart. Mit der ganzen Ausrüstung brauchte es Training um so in der Kniebeuge noch halbwegs elegant vorwärts zu kommen.
Er blieb kurz neben der Tür in Deckung, spähte um das Metall herum, es war niemand zu sehen, dann rollte er sich ab, Gewehr im Anschlag.
Aus den Augenwinkeln sah er eine Bewegung, wer all das hier angerichtet hatte hatte ihn hinter der Tür erwartet. Aus der Bauchlage war er in wenigen Augenblicken wieder auf den Beinen, Niemand den er kannte, er drückte ab und der Mann fiel mit einem Kopftreffer zu Boden. Die etwas Chaotische Ausstattung des Burschen ließ auf einen Banditen schließen, es war nicht schade drum, und dass sein PDA ihm kein Signal gegeben hatte bestätigte dies nur.
Dann war es ruhig. Kovac hielt still und lauschte.
Dass er eben eine Vorführung dessen zum Besten gegeben hatte, was man sonst bei youTube sehen konnte wenn man nach den russischen Spiezialkräften suchte war ihm nicht bewusst. Einem Profi wäre es wohl eingefallen, sich schwerfälliger zu bewegen, vor allem wenn potentiell Zügen zugegen waren. Aber Kovac war auch ein Angeber, ein wenig zumindest.
"Alles sauber..." gab er 'Püppchen' die Entwarnung.
Dann durchsuchte er die Leichen im Bahnhof. Er selbst hatte nur einem das Leben genommen, aber er fand hier noch fast 10 wetere Körper. Die Männer, die mit einem bunten Gemisch aus gestohlener Ausrüstung eigedeckt waren, interessierten ihn nicht. Banditen raubten was sie konnte, von den Anfängern im Kordon und auch von toten. Ihn interessierten die Männer mit den grünen Spezialanzügen. Jedes Mal wenn er eine Kapuze zur Seite zog hielt er die Luft an. Mochten andere abgebrühter sein, ihm ging es noch immer nahe, wenn er seine eigenen Leute tot sah.
Erst Recht wenn einer davon Starik war.
"Fuck..."
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Jessica Voss
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"Waren da, ...?" begann sie verunsichert, wurde dann aber von Kovacs Hektik förmlich mitgerissen. Schon rannte sie hinter ihm her ins Unbekannte hinein. Schießen? Auf wen oder was sollte sie denn schießen? Woher sollte sie wissen, ob es sich um Kovacs Kameraden oder Feinde handelte?
Ihr Führer hing sie beinahe ab und ganz nebenbei bemerkte der analytische Verstand der Reporterin, dass seine Ausrüstung deutlich besser gepackt und verschnürt war. Sie behinderte ihn kein Bisschen beim Laufen und im Gegensatz zu ihr, machte Kovac dabei auch kaum ein Geräusch. Jessie kam sich dagegen beinahe wie ein Elefant im Porzellanladen vor.
Dennoch war sie halbwegs zufrieden mit sich und ihrer Reaktion. Auch wenn der mangelnde Informationsfluss für leichte Panik sorgte, behielt sie einen kühlen Kopf und nutzte jede Deckung ordentlich aus. Natürlich wieder kein Vergleich zu Kovac, der wie ein Schatten dahin glitt, als wenn er sein Leben lang nichts anderes getan hatte, als nächtliche Angriffe zu befehligen. Vielleicht hatte er das ja auch, kam es Jessica in den Sinn. Einmal mehr konnte sie nicht umhin, seine soldatische Ausbildung zu bemerken. Möglich, dass ein langjähriger, freier Veteran in dieser Zone, sich einige dieser Feinheiten angeeignet haben würde. Aber Kovac war zu jung dafür. Diese Bewegungen sind irgendwann einmal in ihn hinein gedrillt worden, soviel stand mal fest.

Sie steuerte gerade auf die Tür zu, als Kovac schon hinein rollte. Nicht stürmte. Nicht schlich. Er rollte, wie in einem verdammten Actionfilm hinein und sofort war der laut hallende Knall seiner Waffe zu hören. Eigentlich waren Schüsse von Gewehren und Pistolen gar nicht so laut, wenn man nicht direkt daneben stand. Die Schallwellen verteilten sich in der Regel schnell und großzügig über die Umgebung, sofern nichts da war, was sie mehrfach als Echo zurückwerfen oder verstärken konnte. Hier hallte der Knall noch eine ganze Zeit lang nach, da der marode Beton, die rostigen Stahlträger des eingestürzten Dachs und all das Wellblech der alten Sowjetkonstruktion das Geräusch um ein vielfaches zurück warf. Die darauf folgende Stille war beinahe auch mit den anderen Sinnen spürbar.

Vorsichtig spähte Jessica durch die Tür ins Innere der alten Halle. Ihre Augen waren bereits an die Dunkelheit gewöhnt, weshalb sie keine Schwierigkeiten hatte, die grausigen Details über die Zielvorrichtung ihrer AK im Anschlag zu sehen.
Leichen. Eine ganze Menge Leichen. Kovac gab Entwarnung und ging zwischen den Toten umher, lüftete hier und da eine Kapuze und fluchte dabei. Waren das alles Leute, die er kannte? Aber selbst Jessie bemerkte, dass die beiden Gruppen ganz anders ausgerüstet waren. Ein Teil der Erschossenen sah aus, wie ein typischer Stalker. Militärisch angehaucht, wie Wolf oder Kovac in halbwegs zusammenpassender Kleidung und Ausrüstung. Die andere Fraktion sah eher aus, wie eine Gang in den Gangsterghettos Moskaus oder anderer der größeren Städte Osteuropas. Hier und da lugten Trainingshosen und Sneaker unter einem löchrigen Militärparka hervor, als wären die Typen irgendwelche Hip-Hop-Poser gewesen.

Sie schauderte, als sie näher an das Blutbad heran trat. So ganz traute sie dem Braten noch nicht, weshalb sie immer wieder zwischendurch die Waffe hob und die Konturen der Halle absuchte. Vor allem das Dach bereitete ihr Sorgen. Selbst ein nicht militärisch geübter Verstand wusste, dass sie hier auf dem Präsentierteller saßen. Und der Mensch schaute von Natur aus nur selten nach oben, wenn es um Raubtiere oder andere Gefahren ging.
Dennoch konnte sie nicht umhin, das grausame Stilleben vor sich anzuschauen. Später würde sie ein Photo davon machen müssen. Wenn sie sicher war, dass keine Gefahr drohte. Und wenn sie sicher war, dass sowas ihren aufgebrachten Führer nicht noch weiter verärgern würde. Vielleicht würde er es als reskpektlos erachten, wenn sie plötzlich anfing, seine Kameraden in einen Pulitzerpreis zu verwandeln.

Die blutigen Details drohten Jessica den Magen zu verdrehen. Ja, sie hatte zuvor schon Tote gesehen. In ärmeren Ländern, gesetzlosen Städten. Manchmal lag jemand unbeachtet am Straßenrand. In Südamerika soll es ganz schlimm sein, wenn die Kartelle ihre Exempel für jedermann sichtbar statuierten. Allerdings war sie dort noch nie im Einsatz gewesen. Zu warm, zu schwül, zuviel Natur. Jessie war eine Stadtperson, die gerne alle Annehmlichkeiten genoß, die zur Verfügung standen. Klar musste man sich mal die Hände schmutzig machen, aber da unten in Südamerika? Gegen diese gesetzlose Region waren die Gossen Osteuropas noch zivilisiertestes Preussen!
Dennoch war Jessica keine Kriegsberichtserstatterin und hatte es auch nie sein wollen. So viele Tote auf einmal, ließen ihren Magen rebellieren. Sie schmeckte die Galle in ihrer Kehle, als sie sah, wie dem von Kovac erschossenen Banditen noch Blut und Hirnmasse aus dem untertassengroßen Austrittskrater am Hinterkopf triefte. Ihre Hände begannen zu zittern, was den Lauf der Waffe beunruhigend hin- und herwippen ließ.
Am Tag zuvor hatte sie bereits erleben müssen, wie drei Menschen getötet, sogar vollständig zerfetzt worden waren. Einer davon war sogar ihr Lover gewesen. Aber die Panik und das Adrenalin hatten dafür gesorgt, dass sie die grausigen Details nur wie durch einen Nebel in Erinnerung hatte. Vielleicht verdrängte ihre Psyche sie auch zu ihrem eigenen Schutz. Hier aber nahm sie alle blutigen Details in ihrer widerlichen Gesamtheit auf und die Bilder würden ihr noch ewig in ihrem Kopf herum spuken. Schusswunden waren nur selten so, wie man sie aus Filmen kannte. Peng, zisch und glatter Durchschuss. Großkalibrige Waffen - und einige der Banditen hatten Schrotflinten aus nächster Nähe benutzt - verursachten gewaltig große Austrittswunden, nahmen Fleisch und Knochen mit sich oder sorgten dafür, dass Knochenfragmente durch den ganzen Körper flogen und als Schrapnelle sekundäre Wunden rissen. Bei Feuerstößen oder Automatikfeuer war die Schussfrequenz teilweise so hoch, dass Körperteile abgetrennt wurden, wenn die Wucht der Aufpralle sie einfach mit sich riss. Hatte man im zweiten Weltkrieg das MG42 nicht liebevoll 'Hitlersäge' genannt, weil es die Körper der Feinde 'sauber' durchtrennen konnte? Widerlich!

Jessica zwang sich fortzuschauen. Die Umgebung im Blick zu halten. Ihre Contenance zu bewahren. Sie trat auf Kovac zu und flüsterte mit belegter Stimme.
"Deine Leute?"
Und dann fügte sie noch ein "Sorry,..." hinzu, wobei sie sich nicht sicher war, ob Kovacs Verzweiflung daher rührte, dass er nun auf sich allein gestellt war, oder ob er die Kameradschaft der anderen Männer wirklich vermissen würde.
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Konstantin Krylow
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Bei dem letzten blieb er knien.
Die grausigen Details blendete er aus, man lernte das viel zu schnell. Man abstrahierte, sah das Blut nicht mehr, die Knochensplitter und was aus den toten Körper quoll, die ungünstig erwischt worden waren. Das war wirklich anders als im Kino, vor allem gaben Filme nie den Geruch von Blut wieder, nicht das Gemisch aus Blut und allem anderen was ein Körper im Moment des Todes abgeben konnte.
Irgendwie gewöhnte man sich jedoch sogar daran, zumindest daran, es zu ignorieren und nicht an sich heranzulassen.
Nur noch in den Alpträumen später würde es zurückkehren.
Versetzte er sich jetzt in die Position seiner Begleiterin... Nein, das wollte er nicht.
In diesem Fall hatte er Glück. dem alten Mann rann nur ein feiner Faden Blut aus Mund und Nase. Wenn man beim ausbleiben von schlimmeren Verstümmelungen von Glück sprechen konnte... Die Kugel hatte ihm von hinten die Lunge zerfetzt. Er war tot, aber noch nicht lange.

Eine Schießerei am Bahnhof war keine Seltenheit, immer wieder lieferten sich hier Stalker und Banditen kämpfe und immer wieder wechselte der Stützpunkt den Besitzer, immer wieder starben Menschen, was vor allem daran lag, dass dieser Ort ohne eine taktisch gut ausgebildete Truppe praktisch nicht zu halten war. Vorne das Tor, hinten die Gleise und ein löchriges und gut zugängliches Dach. Wer hier saß saß in der Falle wenn der Gegner nur ein wenig ambitioniert war. Dabei war dieser Ort aber durchaus eine wichtige Schnittstelle in der Zone.
Vor Jahren schon hatte Slava, so hieß es, die nahegelegene Unterführung gesäubert. Ja genau so hatte er es ausgedrückt. Es hieß, er sei alleine gewesen, und es hieß auch, er habe in wilder Raserei fast 30 Banditen mit dem Messer abgeschlachtet.
Das meiste davon waren Stalker Legenden.
Ja, er hatte wohl ein Blutband veranstaltet, nachdem die Banditen dem Team gegenüber einen Schritt zu weit gegangen waren, aber er hatte sicher Hilfe gehabt.
Er kannte zwar nicht die offiziellen Berichte, aber er kannte jemanden, der damals versucht hatte, ihn von der Aktion abzuhalten. Er vermutete, er hatte ein kleines aber effizientes Team gehabt und das Überraschungsmoment auf seiner Seite.
die Aktion damals hatte allerdings das Kernteam im Endeffekt dazu gezwungen, sich nach Pripyat zurückzuziehen, weil die Stalker die Jäger für nicht mehr tragbar hielten. Das sollte schon etwas bedeuten. Es heiß sogar, dass es zum ersten und einzigen Standgericht in der Zone gekommen war. ein Jurastudent hatte sich wohl damals profilieren wollen indem er Ochotnik anklagte. Der hatte wohl nur ein müdes Lächeln für die Aktion übrig gehabt, aber man zog sich zurück.
Damals versuchten die Stalker allerdings einen brüchigen Frieden mit den Banditen zu etablieren, die sich wiederum auch so halbwegs organisierten. Lucien und der Uhu waren mit von der Partie, zwei charismatische Anführer dieser Verbrecher. Aber letztlich funktionierte es nicht, wie man sah. Blieb die Frage, ob Ochotnik es damals geahnt hatte oder vielmehr der Grund war.
Auf jeden Fall war damit die Legende zementiert, Ochotnik, der im Alleingang die Banditen besiegt hatte.
Gebracht hatte es langfristig nichts. Die Unterführung war schnell wieder an die Banditen gefallen und nun gab es ein neues Opfer.

"Das war Starik..." mehr brachte er gerade nicht heraus.
Er hatte die Kapuze des Toten zurückgeschlagen. Ein altes Gesicht, faltig, Altersflecken, aber das konnte auch täuschen. Die Haut alterte schnell in der Zone. Aber es war ein freundliches Gesicht.
Kovac hatte dagegen einen gewaltigen Klos im Hals.
So abgebrüht wer er eben doch nicht. Und wenn er ehrlich war hatte er bisher noch keine engen Kameraden verloren gehabt. Er wusste, ganz abstrakt, dass er der Ersatz für ein vor ein paar Jahren zur Gänze ausgelöschtes Team war, aber weder hatte er die Toten gesehen noch hatte er auch nur einen von ihnen gekannt. Sie waren Zahlen auf Papier, ohne Gesicht.
"Wir müssen weiter, wir können im Moment nichts für sie tun. Da vorne sind noch mehr von den Banditen."
Er deutete auf das andere Ende der Halle.
In der Zwischenzeit tippte er etwas in seinen PDA ein. Es war eine Nachricht an das Team in Pripyat, Schura und Wolodja.
'Bahnhof überrannt, Starik hat es erwischt' plus die Koordinaten, jemand sollte seine Leiche bergen. Das war das mindeste, was er tun konnte, er wusste, dass der alte Mann Familie hatte, eine Frau, eine Tochter und eine Menge Enkel. Es hatte ihn immer genervt, sich die Kinderbilder ansehen zu müssen, aber jetzt.. er schluckte noch einmal. So weit war es nicht her mit dem harten Burschen.
Ihr ging es kaum besser. Wie viele Tote sie wohl gesehen hatte konnte er nicht erraten, aber es dauerte sehr lange, bis man sich auch nur annähernd daran gewöhnen konnte, bis man lernte, es zumindest zu übersehen.
Draußen hätte er sie vielleicht in den Arm genommen, sie vielleicht daran erinnern, dass sie wegsehen sollte... Aber das war noch ncith das schlimmste was es hier zu sehen gab. Für sie. Sie kannte Starik nicht, für ihn war es also mit das schlimmste.
Sie gingen den Weg zurück, den sie gekommen waren, nicht nach vorne hinaus durch die Halle.
Die PDAs der Toten sammelte Kovac allerdings noch ein, auch jene der Banditen, schaltete sie ganz aus und packte sie in seine Tasche, ebenso was sie an Artefakten bei sich hatten und auch die Munition sowie was Starik an persönlichem bei sich gehabt hatte.
Es würde dauern, bis man ihn bergen konnte, bis dahin wollte er nicht, dass sich das irgendwer anderes unter den Nagel riss.
'Mach's gut alter Mann.' murmelte er.
Dann setzten sie den Weg fort.

Überwiegend ging es nun durch Wald, die seltenen Schusswechsel waren weit entfernt, ebenso das heulen der Hunde. Sie heilten nun auf Rostok zu.
Es dauerte etwas, bis Kovak wieder sprechen wollte, bis dahin ignorierte er einfach alle Fragen, doch auch die junge Frau hatte an dem zu beißen was sie gesehen hatten, wenn auch vielleicht aus anderen Gründen. "du hattest auch eine Gruppe, als du hergekommen bist, richtig?" riet er. Ganz alleine hatte die Journalistin sicher nicht den Weg in die Zone gefunden, nicht wenn sie tatsächlich so wenig wusste. Sie musste also Führer gehabt haben, und dass diese nicht mehr bei ihr waren konnte nur zwei Gründe haben.
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Jessica Voss
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"Scheiße,..." flüsterte sie, als sie das Gesicht des alten Mannes sah und Kovac auch dessen Namen aussprach.
Jessica bemerkte, dass ihr Begleiter den Tod seines Kameraden durchaus ernst nahm. Sie war berufsbedingt gut darin, Emotionen von Menschen zu deuten. Zu bemerken, ob sie sich verstellten und was wirklich in ihnen vorging. Und so sehr Kovac sich auch bemühte, den hartgesottenen Veteranen zu mimen, so sehr schmerzte ihn wohl der Verlust des alten Mannes.
Wären sie hier nicht in einer Art Kriegszone gewesen, hätte sie ihn vielleicht in den Arm genommen und ihm gesagt, dass alles wieder gut werden würde. Aber mal ehrlich. Vermutlich hätte das ihren Führer nur beschämt. Männer waren nunmal so und irgendwie hatte Jessie selbst auch zuviel davon abbekommen. Emotionen zu zeigen, machte einen in den Augen anderer nur schwach. Es ließ sich nicht immer vermeiden, aber letztendlich konnte man Pech haben und andere nutzten diese Gelegenheiten schamlos aus.

Also war ihre einzige Trauerbekundigung eine Hand, die sie ihm auf die Schulter legte, solange er neben der Leiche kniete. Kurz drückte sie aufmunternd zu, dann ließ sie ihn auch schon wieder ohne ein Wort los. So wortgewandt sie auch war,... Trauer hatte sie noch nie heucheln können. Sie hatte Beerdigungen stets gehasst, wenn die Verstorbenen Leute waren, die sie kaum kannte. Sie mochten denen etwas bedeuten, für die man vor Ort war. Aber von den Besuchern zu erwarten, sie sollten die gleiche Trauer empfinden, wie die Familienmitglieder, war verdammt hypokritisch, oder?

Jessicas Magen machte Purzelbäume, als sie langsam um die Leichen herum ging und sich zwang, alles im Detail in sich aufzunehmen. Die Aussage Kovacs, dass noch weitere Banditen vor der Halle warten würden, sorgte ebenfalls nicht dafür, dass das Adrenalin nachlassen wollte, durch ihre Adern zu strömen.
Sie nutzte die Zeit, die ihr Begleiter brauchte, um die Ausrüstung der Männer zu durchsuchen, für ein paar Photos. Der Knall von Kovacs Waffe sollte bereits Aufmerksamkeit erregt haben, dennoch verzichtete sie auf den Blitz an ihrer Kodak. Vermutlich waren die Bilder am Ende für die Tonne. Vielleicht war es auch besser so.

Letztendlich blieb sie vor einem der toten Banditen stehen. Auch dieser hatte nur ein sauberes Einschussloch in der Brust. Die gewaltige Lache Blut unter ihm ließ aber darauf schließen, dass die Rückseite nicht so 'sauber' aussehen würde. Jessica schluckte schwer und blickte in das Gesicht des Mannes, der mit weit aufgerissenen Augen zur Decke starrte. Sein Mund war zu einem O geformt, als wenn es so eine Überraschung gewesen war, während eines Schusswechsels eine Kugel abzubekommen.
Der Tote hatte eine AK74 fest umschlungen, als sei die Waffe, die zum großen Teil aus Holz bestand, eine Art Treibgut auf offenem Meer, welches ihn im Moment seines Todes vor dem ertrinken bewahren konnte. So wirklich viel wusste Jessica nicht von Waffen, aber 74 war ein Upgrade zur 47, oder? Oder doch nur ein Zahlendreher? Wenn sie das noch richtig wusste, waren es die Jahre, in denen diese Waffen erfunden oder gebaut wurden. Und neuer war in der Regel auch zuverlässiger. Ob das ganze auch für alte Sowejttechnik galt, konnte sie nun nicht sagen, aber dennoch beugte sie sich herab und griff nach dem hölzernen Schaft der Waffe. Erneut drehte es ihr den Magen um, als der Tote, als würde ein Teil von ihm noch Widerstand leisten, die Waffe nicht loslassen wollte. Nach so kurzer Zeit konnte doch noch keine Leichenstarre eingesetzt haben!
Sie zwang sich zu einem festen Ruck und endlich gab der Tote nach. Was sagte das über sie aus, wenn doch bekanntlich immer die Klügeren nachgaben? Erst jetzt bemerkte sie nämlich, dass auch die Waffe einen Treffer abbekommen hatte. Mitten im flachen Teil des Griffstücks, wo sich auch ein Teil des Verschlusses befand. Die Kugel, vermutlich ein kleines Pistolenkaliber, hatte es nicht ganz durchschlagen können, die Teile der Waffe aber so verbeult, dass sie wohl nicht mehr funktionieren würde. Ein kindlicher Teil in der Reporterin ärgerte sich ungemein darüber, dass sie trotz ihrer Überwindung nun keinen Erfolg verzeichnen konnte und ließ die AK wieder achtlos fallen, nachdem sie das Magazin entfernt hatte. Zumindest die Patronen waren vom gleichen Kaliber und würden die ihrer 47er Version aufstocken können.
Auch die Ersatzmagazine nahm sie dem Toten ab und je länger sie, wie ein Geier, über ihm kreiste, desto leichter fiel es ihr, die Leiche zu fleddern. Vermutlich war es auch gut so, sich so früh wie möglich an diesen Zustand zu gewöhnen. Hier. In der Zone.
Der Bandit hatte zusätzlich noch eine alte Glock 17. Nicht, dass Jessie eine Ahnung gehabt hätte, was sie da für eine Waffe gefunden hatte, aber es war eine Pistole und nach kurzer Überprüfung des Magazins, stellte sie fest, dass auch diese die gleiche Munition trug, wie ihre Jarygin. Die Waffe selbst konnte sie später vielleicht irgendwo eintauschen. Die Munition und Ersatzmunition würde hingegen ihren Vorrat aufstocken.

Letztendlich hatte sie so lange und so viel Überwindung benötigt, dass Kovac mit dem Rest der Leichen fertig war, bevor sie nur diese eine durchsucht hatte. Übung machte wohl auch bei der Leichenfledderei den Meister, dachte Jessie belustigt mit aufkeimendem, schwarzen Humor.
Ihr Begleiter führte sie wieder den Weg zurück und in großem Bogen um den Bahnhof herum. Der Wald, durch den sie gingen, war finster und Jessica schaute sich immer wieder, mit erhobener Waffe, panisch um, wenn der Wind wieder Äste knacken ließ oder sie sich einbildete, etwas in dem Unterholz zur Seite gesehen zu haben. Die Sinne spielten verrückt und die Paranoia ihre Streiche.

Für lange Zeit sagte keiner von beiden etwas. Zu tief saß das Erlebnis in ihrer beider Geist fest, bei jedem von ihnen mit einem anderen Hintergrund. Vor Jessies Augen blitzte immer wieder das Gemetzel des Vortags auf. Der Kampf mit den Hunden. Die verlorenen Führer und der tote Freund, der sie allein gelassen hätte, wenn es ihn nicht vorher erwischt hätte. Dass Kovac plötzlich die Stille durchbrach und nach ihrer Gruppe fragte, machte die ganze Sache nicht leichter für sie. Auch sie hatte nun einen dicken Kloß im Hals und sie schaute absichtlich in die von Kovac abgewandte Richtung, damit er ihre glasigen Augen nicht sehen musste, die bereits die ersten Tränen bildeten. Verdammte Scheiße, sie war hier in einer Art Kriegsgebiet, mit Banditen und Mutanten, die sie jederzeit überrumpeln konnten und jetzt fing sie auch noch an, wie ein kleines Mädchen zu flennen?! Nein!
Sie drängte die Tränen zurück und holte tief Luft.
"Ja, das hatte ich. Hat ein ähnliches Ende gefunden, wie das eben."
Sie deutete mit einem ausgestreckten Daumen über die Schulter in Richtung des verlassenen Bahnhofs. Wieviel sollte sie ihm erzählen? Irgendwie drängte es sie, ihm alles zu sagen. Von dem grausigen Anblick, wie ein Freund in Stücke gerissen wurde. Von dem Streit mit dem KSK-Typen. Davon, wie ihr On-/Off-Geliebter sie ohne mit der Wimper zu zucken allein gelassen hätte. Als wäre Kovac ihr Psychiater, was? Das hätte sie trotz ihrer Trauer und Angst beinahe zum Lachen gebracht. Stattdessen erzählte sie einfach nur die Kurzfassung.
"Ich hatte einen Kameramann und zwei Söldner dabei. Keiner von uns wusste, was uns hier erwartet. Und schon gar nicht hatten wir mit diesen Mutantenhunden gerechnet. Sie waren schneller über uns, als ihr Russen 'nen Shot Vodka zischen könnt. Mein einziges Glück war wohl, dass die Biester hungriger waren, als ihr Drang zu Jagen. Nach dem kurzen Kampf konnte ich im Nebel verschwinden, während die Mistviecher sich die Bäuche voll schlugen."
Sie winkte ab und nachdem sie ihre Contenance wieder zurück erlangt hatte, schaute sie Kovac auch direkt an.
"Vermutlich hast du solche Geschichten schon tausendmal gehört, hmm? Keine Sorge,... ich schaff' das. Ich bin hart im Nehmen, wenn es sein muss. Ich,... muss mich nur daran gewöhnen."
Was war das für ein Leben, wenn Tod und Paranoia zum Standard geworden waren, fragte sie sich. Waren die Veteranen unter den Stalkern überhaupt noch fähig, ein normales Leben zu führen?

"Erzähl' mir von dir, Kovac. Alles, was kein Geheimnis ist, denn ich glaube, du hast davon so einige."
Sie lächelte entschuldigend.
"Berufskrankheit, Leute zu analysieren. Aber erzähl' doch, was kein Geheimnis ist. Wo kommst du gebürtig her? Hast du noch Familie? Wie ist dein Vorname?"
Abwehrend hob sie grinsend die Hand, um jeden Einwand sofort zu unterbinden.
"Ich weiß, ich weiß. Spitznamen sind das Ding der Zone. Trotzdem würde ich ihn gerne erfahren. Und damit meine ich ausnahmsweise nicht die Reporterin oder 'Püppchen'. Sondern Jessica möchte das wissen. Und auch, was 'Kovac' als Spitzname bedeutet."
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Konstantin Krylow
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Es half nichts, Zähne zusammenbeißen. Weitermachen, so hatten man es ihm beigebracht.
Am Ende konnte er immer noch auf die Gefallenen trinken, aber für den Moment galt es, pragmatisch weiterzumachen. Es galt einzuschätzen, wie schwer der Verlust wie man ihn ersetzen konnte. In seinem Fall galt es nur einzuschätzen, schaffte er es alleine nach Pripyat? Alleine mit dieser Frau?
Doch die Frage musste er gar nicht beantworten. Eine Nachricht von Schura kam weniger als eine Stunde später. Er würde ihm Viktor entgegen schicken und einen Neuen. Mehr wusste Viktor - später. Es hatte die Nachricht zufällig gesehen, als er später kurz nach dem Weg gesehen hatte - um die Frage zu klären, Rostok umgehen oder durchqueren? - Der PDA war auf stumm gestellt, kein fiepen oder summen sollt irgendwem seine Position verraten. So etwas passierte nur Anfängern.
Auch seine Position war nicht jedem anderen Stalker sichtbar, nur den eigenen Leuten. Auch Viktors Position würde er sehen sobald er sich eingewählt hatte. Sie verwendeten dazu speziell präparierte PDAs, die auch in regelmäßigen Abständen persönlich entsperrt werden mussten.
Rostock oder nicht... er überlegte noch.
Und schließlich erzählte sie tatsächlich etwas von ihrer Gruppe.
Er wollte fast denke, etwas gutes hatte all das doch, aber nur dass sie gesprächiger wurde war keine Menschenleben wert. Trotzdem fand er wieder ein wenig zu seinem Humor zurück und fast wurde sie ihm sogar sympathisch.
Schneller als ein Russe soff...
"Das IST schnell." Klischees trugen ja doch irgendwie zur Heiterkeit bei.
Natürlich soffen alle Russen wie Löcher und zwar immer Vodka. Er selbst trank tatsächlich nicht so viel, gerne mal ein Bier oder süßen Wein, aber selten härteres, er vertrug nicht halb so viel wie er gerne gehabt hätte, und die Kopfschmerzen am nächsten Tag machten ihn fertig, er mochte das nicht und es war hier lebensgefährlich ging man unkonzentriert spazieren.
Aber wer wäre er, das Klischee derart aufzubrechen.
Sie hatten nicht damit gerechnet, nicht mit den mutierten Hunden und vermutlich war sie gleich vom letzten Blowout überrascht worden. Es sprach dafür, dass sie ihre Arbeit gut machten, aber er konnte auch ein wenig nachvollziehen wie hart es einen treffen konnte. Vermutlich hatte sie nur mit einer ganz normalen Katastrophenregion gerechnet, wie nach einer Überschwemmung oder etwas vergleichbar harmlosem. Mit dem was die Zone so bot konnte man nicht ernsthaft rechnen, einer der Gründe, weswegen die abgeriegelt war. Ein Argument, dass er sich merken würde.
"Es kommt oft vor... Schätze ich... Man findet nie alle Leichen..."
Er musste sich gleich zweimal unterbrechen.
Natürlich kannte er die Statistik, nur etwas weniger als einer von 3 kam durch, mit gewissen Schwankungen - jahreszeitlich sogar. Es gab interessante Korrelationen, mit dem Release bestimmter Filme stieg die Zahl der jungen Männer aus der Mittelschicht, die es versuchten. Jedes Jahr, wenn die Wehrzeit abgesessen war auch noch einmal. Dagegen war der Zustrom an sozialem Bodensatz fast gleichbleibend hoch, aber gerade die waren meist am schlechtesten ausgerüstet und von ihnen überlebten nur die bösartigsten.
Und eine ganze Reihe dieser und weiterer Erkenntnisse ging auf die Arbeit eines Mannes zurück.
So auch der zweite Punkt, den er nicht ansprechen wollte. Man hatte ihn und die anderen auch über einen langen Zeitraum alle Leichen dokumentieren lassen. Das tat keiner freiwillig. Das konnte ihn auch verraten.
"Trotzdem steckt hinter jedem meist eine eigene Geschichte... Jeder hat seine Gründe herzukommen." Allgemeinplätze.
Und dann begann sie Fragen zu stellen.
"Also gut..."
Er überlegte kurz.
"Zuerst... wir reden tatsächlich nicht über unsere wirklichen Namen in der Zone. Vielleicht ist es Aberglaube und Schwachsinn, aber ich will es nicht herausfordern. Man hört immer wieder, dass einer zu anmaßend war als er seinen Namen wählte, das mit dem Leben bezahlte... auf eine Weise, die auch noch dazu passte. Ein Neuling, der sich "Kriegsgott" nannte wurde von einer Leninstatue erschlagen und einer nannte sich "Scharfschütze" dabei wusste er gerade einmal wie rum man ein Gewehr hält... angeblich ist ihm das eigene Gewehr in der Hand explodiert. Das erzählt man sich und die meisten glauben es... Und verrätst du deinen Namen wird draußen jemand krank, deine Frau... also die Frau von einem Stalker hier hat eine Fehlgeburt oder das Kind ist missgebildet... Jeder kennt auch mindestens so eine Geschichte. Vielleicht sind es dumme Zufälle, aber die Zone hört immer zu... und man hält sich an ihre Regeln, sicher ist sicher."
Es schadete nicht, ein wenig preiszugeben allein um vertrauen aufzubauen und es war eine gute Übung, und er wurde mutiger.
"Aber du könntest mich auch Kostja nennen, wär nicht verkehrt. Ich komm aus nem Vorort von Piter. Bleib aber bei Kovac."
Es war zumindest nicht geheim.
Irgendwie kam er ins Reden während sie nebeneinander hergingen.
"Die Geschichte hinter 'Kovac.' Er ist tschechisch für 'Schmied'... ich hab tatsächlich mal ne Lehre als Schlosser gemacht. Und ich hab das auch mal stolz ausposaunt. Daran liegt es wohl... und Starik kam aus Prag."
Eine Übung...
Was musste er ihr nun erzählen, damit sie das was sie später sehen würde richtig bzw. so verstand wie sie es verstehen sollte?
"Die Leute, zu denen ich jetzt gehöre sind... eigen."
Er wusste, dass sich Slava immer den Anstrich des organisierten Verbrechens gab, er trat oft als Dealer auf, vielleicht konnte er das Klischee ebenfalls bedienen.
"Sie handeln mit allem was die Zone hergibt, Drogen, Waffen, Artefakte... und kennen fast jeden hier. Ich weiß, das klingt nicht nach der Gesellschaft, die man sich wünscht, aber in der Zone ist es noch das beste was dir passieren kann. Und die Geschäfte der Jäger laufen gut genug, dass sie sich nicht mit auf so primitiven dingen wie Vergewaltigung einlassen würden."
Vielleicht wollte er sie wirklich nur damit beruhigen, aber sicherlich war ihm nicht bewusst, dass der westlichen Presse die Nähe zwischen organisiertem Verbrechen und Geheimdienst nicht zur Gänze unbekannt war.
"...die haben mich auf jeden Fall aufgenommen... Und Starik war mein ältester Freund in der Zone, er hat mir den Namen gegeben. Und er ist wirklich alt geworden. die wenigsten überleben mehr als ein paar Jahre hier. Es gibt vielleicht ein paar duzend an Männern die die 5 Jahre voll bekommen und weniger als eine Handvoll, die die 10 geschafft haben, und die werden dann wirklich... seltsam. Begegnet bin ich aber noch keinem."
Das war nun tatsächlich eine glatte Lüge.
"...Aber raus geht es nicht mehr. Wen sie aufgreifen, an der Grenze oder bei dem Versuch zu verkaufen was man hier gesammelt hat, den sperren sie ein. Die Gefängnisse sind voll. Ich saß auch, ein paar Monate nur, es war auch nur Munition die radioaktiv war, nur Indizien, sie konnte mir nichts nachweisen und irgendwann ließen sie mich laufen. Aber die wenigsten haben so viel Glück."
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Jessica Voss
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'Es kommt vor.' 'Jeder hat seine eigenen Gründe herzukommen.'
Fehlte ja nur noch ein gleichgültiges Schulterzucken. Oder versuchte Kovac nur zu kompensieren? Zu verheimlichen, dass ihm der Tod seines alten Kameraden schwer zusetzte? Verdammt, war diese Situation abgefucked. Wenn der Tod so belanglos daher kam, war vieles im Argen. Spontan musste sie an Bilder aus Somalia und dem Kongo denken. Wie Leichen die Straßen säumten, entweder durch Hunger oder Waffengewalt dahingestreckt. Und jeder ging weiter seinen täglichen Geschäften nach, schenkte den Verstorbenen keinen zweiten Blick. Eher würde Jessica ihre Karriere an den Nagel hängen, als im verfickten Afrika nach Stories zu suchen. Und nun? Nun war sie in einer Ecke der Welt gelandet, die bisher als halbwegs zivilisiert galt und traf auf ähnliche Lebensumstände. Sie konnte es noch immer kaum glauben.

Und das mit den Namen und Spitznamen zog ganz schön heftige Kreise in ihrer Konversation. Sie hatte nicht damit gerechnet solch ein Fass damit aufzumachen. Kovac war abergläubisch. Und das auch noch zum größten Teil aufgrund von Geschichten anderer. Lagerfeuergeschichten, die die Kameraden belustigen oder verunsichern sollten. In der Regel war nichts davon auch nur annähernd wahr. Wenn sie an die Stories dachte, die sie in ihrer Schulzeit an Lagerfeuern mit den Freunden und Mitschülern gehört hatte,... Fast jeder hatte, trotz seines noch jugendlichen Alters, schonmal einen Geist oder ein Ufo gesehen. Und wer gut und frei vor anderen sprechen konnte, brachte diese Geschichten auch glaubwürdig herüber.
Auch Jessicas Vater war recht abergläubisch, was Marinetraditionen anging. Er hatte oft von seltsamen Ritualen auf Schiffen erzählt, bei denen man sich an den Kopf fassen und fragen musste, ob man noch im 17. Jahrhundert lebte. Immerhin brachten weibliche Matrosen kein Unglück mehr. Ein kleiner Fortschritt. Aber es hieß zum Beispiel, wenn man seine Zigarette an einer Kerzenflamme entzündete, dass ein Seemann sterben würde. Oder dass ein Schiff, welches umbenannt wurde, vom Pech verfolgt sein würde.

Für all diesen abergläubischen Quatsch war Jessica zu akademisch aufgewachsen und erzogen worden. Für sie gab es keinen Platz für Religion oder Aberglauben in der Welt, da sich alles mit Wissenschaft erklären ließ, wenn man nur tief genug bohrte. Sie erinnerte sich an eine ehemalige Schulfreundin, die streng katholische Eltern gehabt hatte. Anstatt wie alle anderen samstagabends Party zu machen und am nächsten Tag den Rausch auszuschlafen, war Kathrin stets gezwungen gewesen, früh morgens den Gottesdienst zu besuchen. Und all dieser Zwang und die Tatsache, dass sie auf dem staatlichen Gymnasium tagtäglich mit wissenschaftlichen Fakten konfrontiert wurde, die all die Lehren der Kirche in den Schatten stellten, tat natürlich ihr Übriges. Anstatt im Glauben aufzugehen, rebellierte sie gegen ihn und ihre Eltern. Seitdem hatte es stets Streit gegeben. Jessica fragte sich, ob Kathrin heute wieder gut mit ihren Eltern auskam. Zeit genug war ins Land gegangen, aber einige Vertrauensbrüche heilten nunmal nie.

"Kostja. Der Standhafte?"
War das nicht die eigentliche Bedeutung dieses Namens? So wie Jessica aus hebräischen Wurzeln sowas wie 'Gott wacht über dich' hieß? Bei diesem schlüpfrigen Gedanken musste sie kurz schmunzeln. Na, hoffentlich bildete Kovac sich da nichts drauf ein.
Also war sein richtiger Name aller Wahrscheinlichkeit Konstantin? Man konnte nicht slawisch-russische Geschichte studieren und als Beruf leben, ohne solche Sachen zu wissen.
Aber wieso klangen die männlichen Spitznamen im Russischen immer so feminin? Ausgerechnet in einem Land, in dem die Kerle so stolz auf ihre Männlichkeit waren und dieser ganze neumodische Gender-Quatsch extrem verpönt war. Kostja, Sanya, Mischa, Kolja,... mit Deutsch als Muttersprache klangen alle Namen, die auf A endeten irgendwie weiblich. Naja, vermutlich hatte jede Nationalität so ihre Eigenheiten, die in anderen Ländern zu Belustigung führte.
Schmied, Schmuggler, Knasti, Stalker. Klang definitiv total männlich und irgendwie sexy für sie,... trotz des Spitznamens.

"Alles Geld der Welt kann keine Frauen herzaubern, wenn es kaum welche in der Zone gibt. Also egal, wie gut eure Geschäfte laufen,... ich bin skeptisch, was eure Triebe angeht."
Es war eigentlich mehr als Scherz gedacht, aber es steckte auch viel Wahrheit hinter ihren Worten. Sie konnte nur hoffen, dass die anderen 'Jäger' wirklich so zivilisiert waren, wie Kovac sich verhielt.
Die Leute, zu denen er gehörte, hatte er gesagt. Also noch ein weitere Unterfraktion innerhalb dieser freien Stalker? Was er da erzählte klang mehr nach organisisertem Verbrechen. Glücksritter, Schatzsucher, Waffenhändler, Hehler, Schmuggler. Und das war das moralisch Beste, was die Zone zu bieten hatte? Na, das waren ja tolle Aussichten. Es musste doch offizielle Stellen geben. Regierungsinstitutionen, die auch dem Militär auf die Füße treten konnten. All dieses Black-Ops-Getue gab es doch nur in Filmen und Videospielen,... oder? Zumindest konnte sowas nicht so lange geheim bleiben, wie es hier schon seit Jahren in der Zone geschah.
Sollte es Jessie nun beunruhigen, dass ihr Führer wegen Schmuggels gesessen hatte? Ihre Erfahrung mit den russischen Staatsgewalten war, dass sie meist erst handelten und danach ihre Fragen stellten. Es war gut möglich, dass Kovac sich nichtmal wirklich was zu Schulden hatte kommen lassen, um einzusitzen. Und sie hatte in ihrer Karriere schon mit so vielen russischen und osteuropäischen Knastvögeln zu tun gehabt, dass sie diese nicht minder einschätzte, als Leute, die noch nicht gesessen hatten. Es sagte nur selten etwas über einen Menschen aus.

'Starik'
Jetzt kam Kovac ein wenig aus sich heraus. Nannte den Toten seinen Freund. Eine Geste, die ihr Herz ein wenig mehr öffnete und Mitleid für seinen Verlust verursachte. Jessies Tscheschisch war stark eingerostet und erst, als ihr Führer Prag erwähnte, konnte sie mit dem Namen 'Starik' etwas anfangen. 'Der Greis'. So alt hatte der Typ gar nicht ausgesehen, wenn man mal von diesen unnatürlichen Falten, Flecken und Beulen absah, die wohl die Strahlung verursacht hatte.
Und länger, als fünf oder zehn Jahre überlebte hier niemand?! Das war ja unglaublich! Kein Wunder, dass der Aberglauben so stark im Kurs war.
"Was meinst du mit seltsam? Und wieso wird niemand älter? Machen die Leute dann Fehler? Oder ist es die Strahlung, die ihnen langsam zusetzt? Oder,..."
Sie musste erneut gegen ihren Willen schmunzeln
"... holt sie die Zone, wie ein tentakeliger Davy Jones auf See?"
Sie hatte keine Ahnung, ob Kovac die Anspielung verstand. Russen waren nach ihrer Erkenntnis nicht so begeistert von Hollywood und den dazugehörigen Produktionen. Nationalstolz und Abscheu für amerikanisches Pathos waren wohl die Hauptgründe.

Was ihr auffiel war, dass er kaum bis gar keine Fragen stellte, was ihre Neugier nur noch mehr hervorhob. Vermutlich war es in der Zone wirklich verpönt, zuviel zu reden, geschweige denn Fragen zu stellen. Aber letztendlich hatte sie einen Job zu erledigen und er bekam später gutes Geld dafür, ihre Neugier zu stillen. Sicher war dieses Geld den Bruch seines Schweigens wert, oder? Was sie bisher von der Zone und ihren Bewohnern gehört hatte war, dass Geld hier nur eine untergeordnete Rolle spielte. Traditionen und Rituale standen hoch im Kurs. Der Glauben an,... etwas. Und trotz all ihrer Fragen und der erhaltenen Antworten hatte Jessica noch immer keine Ahnung, warum diese Männer so fasziniert von der Zone waren, dass sie sozusagen an sie gebunden waren und Geld nur ein Nebeneffekt des ganzen war. Was trieb diese Leute dazu an, ihr Leben für diese Hölle zu riskieren?

"Die Zone ist riesig." gab sie irritiert von sich.
"Sie werden wohl kaum jeden aufgreifen können, der sich aus dem Staub machen will, oder?"
Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit. Sie stellte sich vor, wie sie all die Geheimnisse dieser Zone lüftete, pulitzerpreisverdächtige Bilder und Videos mit sich führte, und am Ende von einer simplem Patrouille hops genommen wurde und ihr restliches Leben in einem finsteren Loch verbringen musste. Kein guter Ausgang für die Story. Oder ihre persönliche Story.
"Aber was ist unser nächstes Ziel? Kommen wir überhaupt alleine weiter?"
Wäre es Tag gewesen hätte sie vielleicht schon die ersten Häuser von Rostok sehen können. Eine kleinere Siedlung auf dem Weg nach Pripyat. Aber nun, im Dunkel der Nacht, sah sie nur verschwommene Objekte um sich herum. Müll, Schrott, ausgeschlachtete Autos und Container. Eine wahre Müllhalde. Hatte Kovac diesen Ort nicht auch so genannt? Scheinbar waren sie nach dem Umweg in die Ausläufer dieser geraten.
Wenn sie die Karte noch richtig im Kopf hatte, würden sie einfach nur immer weiter nach Norden marschieren müssen, um nach Pripyat zu gelangen. Und dabei würden sie am Reaktor vorbei kommen. Ein Gefühl von nervöser Vorfreude machte sich in Jessie breit. Kovac hatte es nur am Rand erzählt und sie wusste ja noch nicht, wie gefährlich es in der Umgebung des Reaktors war. Und dass man nicht 'mal eben so' dort dran vorbei gehen und Schnappschüsse machen konnte.
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Konstantin Krylow
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Den Witz über Kostja den Standhaften ignorierte er, er hatte nicht vor, sich provozieren zu lassen, ja er sah sie in dem Moment nicht einmal wirklich als Frau - vielleicht ein Fehler. Er war im Dienst, und im Dienst hatte Mann nicht mit dem Schwanz zu denken. Er versuchte, sich daran zu halten, versuchte ein guter Soldat zu sein, ein Profi. Dass gerade das vielleicht der Fehler sein würde, den jemand wie Sokolov nicht gemacht hätte würde er möglicherweise er sehr sehr viel später erkennen.
Und erst recht wollte er nicht erklären, wie sein Chef es immer wieder geschafft hatte auf seine Kosten zu kommen. Rund um die Zone gab es einschlägige Kneipen, hatte man die Hälfte der Soldaten und ihre Kommandanten in der Hand und ging dort ein und aus konnte man dort als Stalker immer jemanden abschleppen. Es gab immer wieder Vertreterinnen der Damenwelt, die es gerade auf die größten Abenteurer abgesehen hatten. Als Markin allerdings davon erfahren hatte... er hatte das Ende der Geschichte leider nicht mitbekommen, aber er konnte nur vermuten, dass dann Schluss gewesen war.
Allerdings wollte er ihr das nicht wirklich erläutern. Sie konnte froh sein, dass Sokolov nicht mehr hier war, sie wäre wohl genau seine Kragenweite gewesen.
Und was ihn anging... wie sollte er ihr auch erklären, dass sie in regelmäßigen Abständen schlichtweg Urlaub hatten.
Dazu, ob sie jeden aufgreifen konnten, der aus der Zone türmte sagte er nichts. Nein, natürlich konnten sie das nicht, der Zaun war löchrig und die Patrouillen demotiviert. Irgendwer nahm immer Bestechungsgeld an. Deshalb griffen sie ja zu den Maßnahmen, die sie eben ergriffen. Mischten sich unter die Stalker, hörten sich um, verteilten getrackte Artefakte und PDAs. Letztlich hatten sie mit wenigen Leuten ein enges Überwachungsnetz geschaffen und gaben sich redlich Mühe keinen fisch durch's Netz gehen zu lassen.
Auch kein gutes Thema für eine unverfängliche Unterhaltung.
Lieber plauderte er da schon über die Schrecken der Zone und den Aberglauben.
Davey Jones und Tentakeln sagten ihm tatsächlich nichts. Einige Action-Streifen erfreuten sich zwar auch in Russland großer Beliebtheit, aber sie mustern ein paar der Schlüsselelemente beinhalten: Autos, Roboter, Explosionen, noch mehr Autos und Sex. All dass suchte man im Fluch der Karibik vergeblich und Jack Sparrow hätte im ehemaligen Sowjetland tatschlich nicht als Identifikationsfigur bestanden.
"Davi Jons wer? Keine Ahnung... Sie werden... seltsam... verlieren den Verstand. Irgendwas frisst sich in deine Gedanken wenn du zu lange hier bist. Wer nicht an der Strahlung stirb wird unvorsichtig oder... Naja... du wirst es selbst sehen. Du würdest es mir ohnehin nicht glauben."
Hätte er jetzt von Zombies erzählt und von Telekineten, von Monstern, die die Gedanken kontrollierten, sie hätte vermutlich wieder mit Filmen und Computerspielen angefangen, und auch wenn er durchaus mit einer breitbandigen Popkultur sozialisiert war, irgendwo gab es eine Grenze, wieviel er von sich preisgeben wollte.
Schon weniger als einem Tag hatte er genug, er wollte sich keine Geschichten ausdenken, nicht lügen...
Diese permanente Unsicherheit, wie weit er gehen durfte. All das drohte ihm um die Ohren zu fliegen. Wenn er geahnt hätte was alles das Potential hatte ihre Neugier zu wecken. Wenn er erzählt ebenso wie wenn er keine Fragen stellte. Vermutlich hätte er resigniert zugegeben, dass er nicht zum Agenten bestimmt war. Er war gut darin Taktiken auszubrüten, konnte schießen, kämpfen, war ausdauernd, aber jemandem etwas zu erzählen oder nicht zu erzählen... jemanden auf eine falsche Fährte zu locken... Im Moment behielt er wieder die Gegend im Auge.

Es war mittlerweile dunkel geworden. Links und rechts des Weges und manchmal auch mitten auf der rissigen Straße aus Betonplatten sah man von Zeit zu Zeit Anomalien aufblitzen. fast wie kleine Leuchtfeuer.
"Jetzt siehst du sie. Geh nicht zu nahe ran."
Er zog einen der Detektoren heraus, ging etwas näher an eine der Anomalien heran, er kannte den Abstand genau, dann zur nächsten, er suchte etwas. Dann trat er einen Schritt zurück nahm einen kleinen Stein und warf ihn gezielt in die Anomalie - und katapultierte damit ein kleines tropenförmiges Artefakt hinaus, Es war glatt und hatte eine Oberfläche wie Glas oder besser, sehr harter spröder kunststoff, leicht durschimmernd und es glomm ein wenig aus sich heraus.
"Nennt sich Tropfen oder Träne... Hilft gegen Strahlung, aber man hat immer das Gefühl, es macht einen Kurzatmig."
Er überließ es ihr. Sie würde es schon nicht ohne dass er es merkte verkaufen, zumal es nicht besonders wertvoll war.
Er setzte den Weg fort, nach Rostock war es tatsächlich etwas sicherer als in anderen Gegenden.
"Ich will versuchen bis Rostok zu kommen." Erklärte er. "eigentlich wollte ich im Bahnhof übernachten, aber das fällt aus. Hier draußen ist es nicht sicher, in Rostok sind die Wächter, fanatische Idioten, aber wenn man sich an ihre Regeln hält kann man dort ungestört eine Nacht verbringen."
Dass man das auch schlüpfrig auffassen konnte fiel ihm zunächst gar nicht einmal auf, für ihn bestand der Unterschied tatsächlich nur darin, ob man immer mit einem wachen Auge im Schlafsack lag oder auch tatsächlich Ruhe fand.
"Und was hattest du in der Zone überhaupt vor? Machst du so YouTube Videos oder Blogs oder wofür willst du all das sehen?" wollte er nun doch wissen. vielleicht um über etwas zu reden, das nicht ihn betraf, vielleicht war ihm nun doch eingefallen, dass es zu auffällig wäre, wenn er gar nichts wissen wollte, weil es am Ende doch genügte, ein Foto durch ihre Datenbank zu jagen um ihre Identität und ihren Beruf und noch ganz andere persönliche Daten zu bekommen, mit etwas Glück sogar Kreditkartendaten, wenn einer ihrer 'Subunternehmer' schon einmal in einer entsprechenden westlichen Datenbank gewesen war.
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Jessica lachte leise und hielt sich noch rechtzeitig die Hand vor den Mund, damit das Geräusch nicht zu weit in der Stille der einsetzenden Nacht trug. Kovac ließ den berühmten Captain des fliegenden Holländers wie einen jüdischen Rabbi klingen.
Aber ihre Belustigung verflog so schnell, wie sie gekommen war, als er weiter erzählte.
"Also greift die Strahlenkrankheit auf die geistige Gesundheit zu. Schonmal überlegt, ob es nicht alles Halluzinationen sein könnten, von denen Du da sprichst? Die Leute sehen Dinge, die sie nicht erklären können. Leben jahrelang in Angst und Schrecken und zugegeben,... diese durch Strahlung mutierten Tiere sind gruselig und gefährlich. Und am Ende halten nur die geistig Stärksten dem psychischen Druck lange Stand. So wie Wolf oder dein Freund Starik. Alle anderen bekommen früher oder später einen Nervenzusammenbruch. So wie Soldaten, die es niemals zum 'Post' des Postraumatischen Stresssyndroms schaffen."
Sie gestikulierte recht lebhaft bei ihrer Theorie. Das tat sie immer, wenn sie einem lohnenswerten Gedankengang bis zum Ende folgte. Immer wieder klapperte dabei der Schaft ihrer umgeschlungenen AK gegen die Allzwecktasche an ihrem Gürtel. Die ersten Male bekam sie das gar nicht mit. Dann aber bemerkte sie es und hielt peinlich berührt in ihren Bewegungen inne.
"Sorry,..."

Erst jetzt bemerkte sie die Anomalien. Sie waren aus dem Schutz der Bäume auf eine freie Fläche gelangt und zunehmende Dunkelheit machte die wirbelnden Schimmer deutlich sichtbar. Es glich beinahe einem Sternenmeer. Jessica hatte es schon immer genossen, die Sterne zu betrachten. Wer tat das auch nicht? Warum, wusste sie auch nicht. Sie machte sich nichts aus funkelndem Tand, trug kaum Schmuck und hätte einen Diamantring wohl sofort verkauft, wenn sie einen geschenkt bekommen hätte. Auch hatte sie nicht den stupide romantischen Wunsch, dort oben zu sein. Warum auch? Dafür war sie zu sehr Realistin. Das Leben war kein Star Trek. Dort oben war es einfach nur lebensfeindlich. Tödliche Kälte, tödliche Hitze, tödliches Vakuum. Und Sterne waren nur große Bälle aus Feuer, die zumeist von leblosen Gesteinsbrocken umrundet wurden. Nein, da oben war nichts, was in irgendeiner Art und Weise romantisch war. Und trotzdem bot der Anblick des Sternenhimmels etwas, was das Herz zum schmerzen und den Geist zum Träumen anregte. Eine ihrer schönsten Erinnerungen war, trotz des teeniehaften Pathos, eine Nacht in ihrer Jugend, in der sie mit ihrem damaligen Freund einfach hinaus aufs Land gefahren war. Mitten im Nirgendwo hatten sie zusammen auf der Motorhaube seines uralten Golfs gelegen und gemeinsam die Sterne betrachtet. Ohne für eine ganze Zeit auch nur ein Wort zu sagen.
Und hier gab es gleich zwei Sternenmeere. Die funkelnden, brennenden Gasbälle am Himmel und die ebenso tödlichen, aber auch wunderschönen Anomalien am Boden. Für einen Moment vergaß Jessie sogar, wo oben und unten war, was sie kurz schwanken und einen haltsuchenden Ausfallschritt machen ließ. Über sich selbst den Kopf schüttelnd, löste sie ihren Blick von dem schillernden Schauspiel und beobachtete stattdessen den Zauberer Kovac bei seinem nächsten Trick.

Sie hielt sich knapp einem Meter hinter ihm, machte aber keinen Hehl aus ihrer Neugier. Dieser Detektor war kein reiner Strahlenmesser, oder?
"Was misst dieses Gerät? Und wer hat sie entwickelt?"
Ungläubig schaute sie dabei zu, wie ihr Führer einen Stein in die Anomalie warf und damit etwas hinaus beförderte. Eines dieser Artefakte! So einfach war es, die zu bekommen? Noch ungläubiger starrte sie auf ihre Hand, nachdem Kovac ihr diesen 'Tropfen' überlassen hatte. Freiwillig und ohne auszuweichen. Scheinbar war das Ding wirklich nichts wert. Fasziniert drehte und wendete sie das Artefakt, studierte genau seine Form und Struktur. Es hätte sehr gut als indirekte Lichtquelle in jedes moderne New-Age-Wohnzimmer gepasst. Aber wenn es von innen leuchtete, musste es doch Strahlung verursachen! Wie ein Brennstab! Kurz wallte Panik in ihr auf, doch sie beruhigte sich schnell wieder und erinnerte sich an das, was Kovac gesagt hatte. Es würde GEGEN die Strahlung helfen. Und ihr eigener Detektor schlug auch nicht in der Nähe des Dings aus. Aber woher kam dann das Leuchten? Welche Energie trieb es an?
Und tatsächlich fühlte sie sich in der Nähe zu dem unbekannten Objekt ein wenig schlapper, als zuvor. Wobei das bei den Strapazen der letzten Tage kaum noch auffiel. Jedenfalls war es ein kleines Übel, wenn sie dafür einen handfesten Beweis für die seltsamen Vorgänge in der Zone ihr Eigen nennen konnte.

"Hat schonmal jemand herausgefunden, woher die Energie von diesen Dingern kommt? Ich meine, auch die müssen sich an den Energieerhaltungssatz halten, oder? Physikalische Gesetze? Oder zählen die hier auch nichts mehr?"
Es war beinahe schon frustrierend. Jede kleine Antwort, die sie bekam, warf weitere Fragen auf. Und jede weitere Frage, gleich noch zehn dazu! Es war gut, einen Beweis in der Tasche zu haben, aber ein Gespräch mit einem Wissenschaftler oder hochrangigen Militär wäre noch viel verlockender. Wobei,... nach dem, was sie gesehen, erlebt und von Kovac gehört hatte, war das mit dem Militär wohl keine gute Idee.
"Wo befinden sich diese Wissenschaftler, von denen du erzählt hast? Ihre,... Fraktion? Sind sie in Pripyat? Nahe am Reaktor? Diese Eierköpfe können bestimmt nicht an sich halten, über das ganze wissenschaftliche Zeug zu reden, oder?"
Zumindest über langweilige Themen konnten die 'Gelehrten' dieser Welt stundenlang dozieren. Bei so manchem Interview, welches sie in der Anfangszeit ihrer Karriere geführt hatte, bevor sie sich den gefährlicheren Berichterstattungen zugewendet hatte, war sie beinahe eingeschlafen, wenn die alten Männer in Tweedanzug und Fliege, oder gar noch im Kittel, fasziniert von der Auswirkung von Kalk auf die Qualität der Bodenbeschaffenheit palavert hatten, als wäre es das spannendste Thema der Welt.

Eine Weile gingen sie schweigend weiter. Kovac kannte seinen Weg und setzte ihn zielstrebig fort.
"Rostock?" fragte sie verwirrt, rollte dann über sich selbst die Augen. Nicht das norddeutsche Rostock. Natürlich nicht.
"Welche Regeln haben denn diese 'Wächter'? Wenn sie so fanatisch sind,... haben sie Probleme mit Frauen in der Zone?"
Ein Nebenaspekt ihres Berufs. Sprach jemand über Fanatismus, kam einem, dank der ständigen Medienpräsenz, sofort der Islamismus in den Sinn. Und damit einhergehend auch ihre mittelalterliche Einstellung zu Frauen und ihren Rechten. Wenn diese 'Wächter' dazu noch militaristischer Natur waren und es als Affront ansahen, wenn Frauen ebenfalls Stalker, Abenteurer oder Soldat spielten, dann konnte es schnell zu bösem Blut kommen.
Kovacs zweideutige Anmerkung, dort eine 'Nacht zu verbringen' bekam Jessica gar nicht mit. Der Zusammenhang war gar nicht gegeben und er hatte auch zuvor keine anzüglichen Bemerkungen gemacht. Entweder hatte ihr Führer eine Freundin oder Frau und war ihr treu, oder er war schwul. Was viele Dinge erklären würde. Naja,... oder sie war einfach nicht sein Typ, was bei einer Horde Kerle, ohne Frauen, monatelang mitten im Nirgendwo, schon sehr deprimierend für ihr Selbstwertgefühl sein würde. Aber sie war sich auch der harschen Realität bewusst, dass es für einen wohlerzogenen Mann, wie Kovac, auch hundert andere Mörder und Vergewaltiger hier gab. Demnach war Jessica ganz zufrieden mit ihrem Fund und fühlte sich zumindest halbwegs sicher in der Nähe ihres Führers.

Beinahe hätte sie laut aufgelacht, als Kovac von Blogs und YouTube anfing.
"Für was hältst du mich denn? Eine hibbelige Influencerin? Eine hirnamputierte Lifestyle Tussi, die ihr Leben für ein paar Klicks aufs Spiel setzt?"
Naja,... wenn sie ehrlich zu sich selbst war, kam das der Wahrheit schon ein wenig nahe. Sie wollte Ruhm und Anerkennung mit ihrer Story. Aber natürlich ging es ihr auch um die Wahrheit an sich. Kurz überlegte sie, ob sie ihm die Wahrheit anvertrauen konnte. Was war für einen einfachen Stalker schon der Unterschied, ob sie für eine große Zeitung arbeitete, oder über YouTube genausoviele Menschen erreichen konnte? Zumindest am versprochenen Geld musste er doch eh bereits vermutet haben, dass mehr dahinter steckte. Wobei,... wenn sie bedachte, wie viel Kohle heutzutage die Teenies mit ihren Videos und Werbeverträgen machten,...
"Ich bin Reporterin für die größte deutsche Verlagszeitung. Vielleicht hast du schonmal vom 'Spiegel' gehört?"
Sollte sie ihm sagen, dass sie unsanktioniert und auf eigene Faust hier war? Es war nicht gut, wenn ihre Taten mit dem Verlag in Verbindung gebracht wurden. Andersherum würde die Geschichte einer offiziellen Recherche vielleicht auch andere davon abhalten, ihr etwas anzutun. Mit der Aussicht, dass man ihr Verschwinden untersuchen würde. Aber wem machte sie etwas vor? In diesem Höllenloch, fern ab von Zivilisation und Kommunikationsmöglichkeiten war es scheißegal, ob ein paar Sesselfurzer oder deutsche Diplomaten nach ihr suchen würden.
"Ich bin auf eigene Faust hier her gekommen, weil mich dieses,... dieses Loch in der Welt fasziniert. Keine Bilder, keine Kommunikation. Niemand weiß irgendwas dort draußen über das, was hier drinnen passiert."
Sie strich sich beim Gehen eine gelöste Haarsträhne aus dem Gesicht und überlegte, wie sie das ganze am besten erklären konnte. Ihr Herzblut und ihre Bereitschaft, sich der Gefahr auszusetzen.
"Meiner Meinung nach gibt es keinen Grund, der eine Vertuschung oder Geheimnisse rechtfertigt. Niemals. Nicht hier, nicht bei anderen Stories. Regierungen und Behörden sprechen oft vom Schutz der Gesellschaft. Dass einzelne Personen nicht mit der Wahrheit klar kommen würden. Dass Panik ausbrechen könnte. Oder Selbstjustiz. Aber letztendlich sind das doch alles nur faule Ausreden dafür, dass die Wahrheit unbequem ist. Und zu unbequemen Fragen führt. Wiederwahlen aufs Spiel setzt. Das Vertrauen in Politik und Ordnung in Zweifel zieht. Sowas halt."
Sie blickte ein wenig verlegen zu Kovac hinüber, da ihr bewusst war, wie emotional ihre Rede geklungen hatte. Aber war es nicht besser, wenn er von ihr als jemanden dachte, der mit Ernst und Sinn an die Sache ran ging? Und nicht als verzogenes Gör, dass nur Aufmerksamkeit erhaschen wollte?
"Dabei sollte doch jeder Mensch selbst entscheiden können, wie er mit der Wahrheit umgeht, oder?"
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Konstantin Krylow
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Sie erklärte etwas von Nervenzusammenbruch und Stress... Schon möglich. Für manche galt das sicher. Er hatte keinen Zweifel daran, dass viele tatsächlich durchdrehten, soffen, Drogen einwarfen und deshalb Geister sahen, aber das bedeutete nicht, dass die anderen Geiste nicht real waren. Aber er zuckte nur mit den Schultern.
"Schon möglich... oder Drogen... oder Schnaps... oder alles zusammen. Wirst es ja sehen." Manches würde er ihr zeigen, anderes war zu gefährlich. Blutsauger und Controller zum Beispiel. Aber vielleicht fanden sie ja einen toten... wobei, dann würde sie sicher denken, das wäre eine ausgestopfte Fälschung.
Er gab ihr ein Artefakt und was ihr einfiel waren Strahlung und Energieerhaltungssatz? Er beschloss für den Moment, dass er das nicht wissen musste.
Noch ein schulterzucken. Warum die Dinger leuchteten... Keine Ahnung. Lieber die widerlichen und spektakulären Details zitieren.
"Ich hab gehört, dass manche Artefakte gepresste Tiere und Menschen sein sollen... dann stammt die Energie vielleicht von daher? Oder es sind... dings... sowas wie Transformatoren? Was weiß ich, seh ich wie ein Wissenschaftler aus? Ich hab nur gelernt was man besser nicht antappen sollte und was Kohle bringt."
Und natürlich wollte sie auch gleich mehr über Wissenschaftler wissen. Ob sie gerne redeten.
Am liebsten hätte Kovac ein bösartiges Grinsen aufgesetzt. Sicher redeten und palaverten die gerne, aber sie hatten sie in der Hand. In jedem der Bunker saß auch einer von Markins Leuten und wachte wie ein Habicht über alles was sie rausfanden. Die Wissenschaftler wurden am penibelsten kontrolliert, denn sie hatten auch die Erlaubnis mit selteneren und gefährlichen Artefakten zu hantieren und sie auch in gesicherten Transporten nach draußen zu bringen, aber alles unter strengen auflagen. Und damit hier nicht jemand privat etwas abzweigte...
Nein, sie würden wohl kaum mit einer Außenstehenden viel reden.
"Es gibt hier und da Bunker in denen sie sich sicher verstecken... in Jantar gibt es einen und in der Nähe der Janov Station und sicher noch ein paar."
Das waren die, von denen ein einfacher Stalker wissen konnte. Clear Sky war schließlich immer noch en gut gehütetes Geheimnis im Sumpf, auch wenn er kaum daran zweifelte, dass es andere gab die durch Zufall dorthin gefunden hatten, aber er wollte nicht noch ein Fass aufmachen.
Und wer die Detektoren baute? Kovac drehte das Teil um, ach nein, es stand ja auch groß und breit vorne drauf:
"Hier... Veres... aber einige Funktionen sind wohl umbauten, man bekommt die teile so nur in der Zone. Wozu die Geräte sonst draußen dienen weiß ich nicht. Gibt auch noch andere witzige Konstruktionen, aber die sind unhandlich und die Anzeige ist ungenau und schlecht abzulesen, die hier sind die besten."
Er sah es eindeutig nur aus Anwendersicht, mehr an den Geräten hatte ihn nie interessiert.
Kein YouTube also.
"Wer weiß... bei uns gibt's die 'Digger' die turnen in alten Stollen und U-Bahn-Schächten rum und stellen es auf YouTube und so. gibt ganze Foren von denen... und die kommen auch in die Zone..."
Und auch von denen hatte Sokolov mal versucht einen anzuwerben. Einen tätowierten typen, wie hieß er noch gleich, er hatte es vergessen, hatte ihn nur einmal gesehen. der kletterte auf jeden noch so windigen Masten und hatte Spaß dabei. Aber ihm war auch schnell langweilig geworden bei dem was es hier für sie zu tun gab, auch er hatte sich das leben als V-Mann wohl aufregender vorgestellt. Was auch ihm geworden war? Er wollte es gar nicht wissen, aber ehemalige V-Leute gab es wohl nicht.
"...Für ein paar mehr Likes riskieren die ihr Leben, dämliche Kinder."
Langeweile, Perspektivlosigkeit... darüber wollte er gar nicht nachdenken. Einfach verurteilen und Thema wechseln. Besser.
Kannte er die Zeitung? Den Spiegel? Natürlich. Unterricht in Pressemedien, man kam kaum drum rum. Aber nein, seine Legende kannte ihn nicht, gute Entscheidung.
"Schon mal gehört glaub ich... geht es da um Promis und so?"

Kovac führte sie weiter, die Straße entlang, zwischen den Anomalien hindurch. Sie erreichten ein Tor an dem bereits Wachposten standen. Sie wollten seinen PDA sehen, er zeigte ihn vor, sie glichen etwas mit einem Gerät von ihnen ab und stellten dann ein paar Frage und wiesen auch auf Jessi. Er erklärte kurz etwas und man ließ sie passieren.
So gingen sie weiter.
Schreien wollte Kovac, einfach nur schreien. Warum musste das so kompliziert sein. Schießen war nicht so kompliziert, aber dieses lavieren zwischen Pflicht und seinem persönlichen Unvermögen in den gleichen Dimensionen zu denken wie... ja, wie, er hasste es schon, dass jeder zweite Gedanke seinem ehemaligen nun verschollenen Chef galt.
Jeder sollte die Wahrheit kennen...
"Das solltest du bei den Wächtern jedenfalls nicht so laut sagen. Aber du wirst es hören, sie lassen keine Gelegenheit aus, einen über ihre Regeln aufzuklären." Bis vor ein paar Jahren hallte eine Bandansage durch's ganze Lager, bis sich jemand erbarmt hatte und ihnen in regelmäßigen abständen sie Megaphone abgeschossen hatte. Irgendwann hatten sie aufgehört, neue zu installieren, jetzt erklären einem die Wachen die Regeln, immer und immer wieder.
"Sie denken, sie beschützen die Menschheit vor der Zone und ihren Auswirkungen. Du darfst in ihrem Lager nicht mit einer entsicherten Waffe im Anschlag rumrennen, zum Beispiel... wobei, wenn du dein Gewehr auch gesichert vor dir trägst werden sie dich vielleicht auch erst erschießen und dann nachsehen ob es gesichert war. Das ist auch die Hauptregel... und die gilt sogar für fast alle Lager. Auch bei den Kiffern von der Freiheit. Keiner hat es hier gern, wenn bewaffnete Fremde unterwegs sind. Dafür stehen aber Wachen am Eingang, und der Posten, den wir eben passiert haben ist nur die erste Runde... man muss sich in der Regel nicht selbst verteidigen. Gegen Frauen im speziellen haben die nichts." Er zuckte nur mit den Schultern. Vielleicht gehörte das Lager sogar zu den sichersten in der Zone - angesehen von ihrem in Pripyat.
Bei der Freiheit ging der Witz um, man solle einem gewissen Kolja nicht den Rücken zudrehen, ein Scherz, der auch Männern einen Schrecken einjagen konnte.
Was noch?
"Keine Mutanten ins Lager lassen... immer die Türen zumachen... sich benehmen... nicht rumpöbeln und keine Einrichtung zerstören... die sind schlimmer als die echten Militärs mit ihren Regeln, aber das meiste ist selbstverständlich, so ne paramilitärische Sporttruppe... aber sie haben die beste Bar in der ganzen Zone, das 100Rad. Der alte Dimka weiß schon, warum er sich dort häuslich niedergelassen hat, er betreibt die Bar." Mehr fiel ihm nicht ein, der Rest würde kommen wenn sie dort waren.
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