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von/nach: Der Orden der Flammenrose - die Komturei in Nowigrad
Datum: Hochsommer 1278 (ca. ein dreiviertel Jahr nach der Handlung in Velen/Oxenfurt bzw Jakobs Ankunft in der Welt)
betrifft: Jarel, Jakob, Wenzel der Komtur
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Der Innenhof der Komturei war erfüllt vom klirrenden Gesang der Schwerter zweier junger Männer, die sich mit raschen Schlagabfolgen wechselweise vorwärts trieben. Beide trugen die leicht gesteppte Trainingskleidung der Ritter, einer war blond wie Korn im Spätsommer, der andere schwarz wie ein Rabe. Ihre Bewegungen waren agil, ihre Schwertkunst zeugte von guter Schule. Seiner Schule oder besser der seiner Schwertmeister. Sie kämpften verbissen, nur hin und wieder fiel ein Wort oder ein Laut, sonst waren es nur die Klingen, die sprachen.
Wenzel lehnte auf dem Geländer des den Innenhof umspannenden Säulengangs und sah den beiden Knappen dort unten zu. Schon eine ganze Weile. Der eine war Henselt von Lebenstein-Zergs, noch keine 18 Sommer jung. Der andere war Jakob von Nagall, einige Sommer älter, trotzdem schenkten sich die beiden wenig.
Nachdenklich betrachtete er Jakob. Wie hatte er auch auf den irrigen Gedanken kommen können, Moore würde einen vernünftigen Burschen als Knappen annehmen? Statt dessen... fast hätte Wenzel geseufzt. Er wusste es ja eigentlich besser und inzwischen lief es ja sogar recht gut - was er sich allerdings immer wieder fragte war: konnte er diesem Hitzkopf den Ritterschlag geben und ihn auf die Menschheit loslassen?
Andererseits hatte er Moore auch irgendwann von der Kette gelassen, sich beim Großmeister für den eigensinnigen Mann sogar verbürgt und es bisher nicht bereut. Vielleicht sah der Ritter etwas in diesem Jungen, was Wenzel bisher entgangen war.
Unterhalb von Wenzel hatte Jakob Henselt in eine Bindung gezwungen, drehte plötzlich sein Schwert und dazu sich selbst und hatte am Ende der Bewegung auch Henselts Schwert in der Hand. Flink drehte er sich weiter und hätte dem Gegner in einem wahren Kampf wohl zwei üble Treffer mit der eigenen und der gestohlenen Waffe versetzt.
Henselt breitete geschlagen die Arme aus, doch er grinste und nahm sein Schwert wieder an sich. Er reichte Jakob die Rechte und der schlug ohne Zögern ein, umfasste den Unterarm Henselts fest so wie dieser den Seinen, und lächelte sogar ein wenig, doch erstaunlich echt. Wenzel konnte sich gar nicht erinnern, das schon einmal gesehen zu haben.
Die Stimmen der beiden jungen Männer drangen zum Großkomtur hinauf, deutlich hörte er den Akzent des Älteren der beiden heraus. Eine weitere Merkwürdigkeit, die man ihm und vor allem dem Rest des Ordens so verkauft hatte, dass der junge Mann von jenseits der Blauen Berge kam. Offiziell. Auch das wollte er nich verstehen, bevor er den jungen Mann auch nur einen Schritt weiter gehen ließ.
Jemand trat neben Wenzel. Es war der Ritter, der den jungen Hitzkopf angeschleppt hatte. Das grau der Haare war zu einem großem Teil einem bläulich schimmerndem pechschwarz gewichen. Eine der Dinge, über die die beiden noch nicht hatten sprechen können. Wurde irgendwann Zeit.
Jarel stellte sich neben den Großkomtur, aufrechte Haltung, Hände hinter dem Rücken verschränkt, Schultern nach Hinten, Rücken gerade, Lederkleidung, als Bewaffnung nur die Dolche an den Oberschenkel geschnallt.
Außer zum Baden und auf dem Krankenlager hatte Wenzel Jarel nicht ein einziges Mal ohne die Dinger gesehen. Als würde sein Leben - nein - als würde sein Seelenheil davon abhängen.
Der Ritter beobachtete seinen Knappen und als er sah, wie dieser seinen Gegner auf diese Art entwaffnete geschah etwas, das Wenzel auf diese Art bei seinem dienstältesten Ritter noch nie gesehen hatte. Er begann nicht nur zu lächeln und wuchs weitere drei Zentimeter, er begann regelrecht zu strahlen. Seine ganze Art drückte glänzenden, hell leuchtenden väterlichen Stolz aus.
Es gab Dinge, an die gewöhnte sich Wenzel wohl nie und dazu gehörte das plötzliche Auftauchen Jarels wie aus dem Nichts, welches er geradezu zelebrierte. Der Großkomtur sah es allerdings als Herausforderung an, den Schrecken, den der andere Ritter ihm dabei einzujagen pflegte, nicht nach Außen dringen zu lassen. Somit blieb Wenzel in eben jener Haltung, auf die Brüstung gelehnt, auch wenn die Reflexe des Kriegers ihn auffahren und nach dem Schwert greifen lassen wollten. Er wusste ja, dass es Moore war. Es war immer Moore. Wieder unterdrückte er ein Seufzen. Vielleicht wurde er zu alt. Aber die Flamme war auch nicht gnädig - oder nicht rachsüchtig - genug, ihn endlich zu holen, also würde er ihr weiter dienen.
Erst nach einer Weile richtete der Komtur sich auf, die Hände weiter auf der Brüstung. Unten im Hof waren die beiden Knappen dazu über gegangen, sich ohne Waffen zu beharken. Die sommerliche Wärme hing noch zwischen den Mauern, daher hatten beide die gesteppten Jacken ausgezogen, die sie beim Training mit dem Schwert schützen sollten. Sie frotzelten, Wenzel konnte ihre Worte teilweise bis hier nach oben hören und verzog ein wenig das Gesicht. Er mochte es nicht, wenn einer Aufgabe - sei es Gebet, Kriegskunst oder auch Handwerk - nicht mit dem nötigen Ernst begegnet wurde. Darin war er wohl eher konservativ, wie viele der alten Garde. Manche wollten nicht einmal Gespräche in Refektorium oder Dormitorium erlauben.
Ohne sich umzuwenden sprach er Jarel an. "Was mache ich mit ihm, wenn die Zeit heran ist? Heute ist er ein Mensch und morgen ein Dämon." Leicht schüttelte er den Kopf. Nein, er hatte nicht erwartet, dass Jarel jemand einfachen anschleppte.
"Gestern noch hat er Alifred beschossen. Er schwört, er hat gewusst, wohin er zielt, aber wirklich - glaubst du das?" Man sagte, der Junge war ein guter Schütze, aber niemand war mit einem Bogen SO gut.
"Ich glaube ihn." Jarel sah zu Wenzel und seine Augen funkelten immer noch.
"Der Satansbraten hat einige Begabungen, die unbedingt gefördert werden sollten."
Er sah wieder auf die Jungs hinunter. "Und wenn er erst einmal seinen Rückhalt hier angenommen hat, wird er sein Mütchen schon kühlen.", frotzelte der ehemalige Schattenläufer gut gelaunt.
"Er erinnert mich an jemanden..."
Wenzel ließ ein Schnauben zu, drehte die Augen kurz in die Winkel. "Das ist es ja gerade.", murrte er. Er selbst war mit seinem "Fund" auch mehr als einmal an eine Grenze geraten, an der er geglaubt hatte, die Flamme sende ihm diesen Bastard als Prüfung. Vielleicht war es auch genau so gewesen - er hatte weiter geglaubt und nun hatte er einen ausgezeichneten Ritter in seiner Komturei, dessen Erfolgsquote für sich sprach. Unkonventionell, vielleicht, aber meistens im Rahmen der Regeln, die er ihm aufgezwungen hatte.
"Alifred fordert eine Bestrafung, sonst wird er ihn nicht mehr an seinem Unterricht teilnehmen lassen.", erwiderte er kühl.
Jarel nickte.
"Zwei Wochen Küchendienst?", schlug der Ritter schmunzeld vor.
Das hätte er wohl gern.
Jarel selber verbrachte einen Großteil seiner Freizeit in der Küche. Freiwillig und zur Freude der Brüder. Nur nicht immer zur Freude derer, die ihre Kleidung auslassen mussten, denn er kochte einfach zu gut.
"Nein, im Ernst. Was schwebt die vor? Vielleicht lassen wir ihn ein Buch kopieren. Das würde ihn Wahnsinnig machen.".
"Oder die Stiefel aller Brüder putzen..."
" Er wird unseren Schwestern vom Glauben der Melitele bei der Sorge um die Verlassenen helfen.", entschied Wenzel. Er war nicht dumm genug, Jarels Vorschläge anzunehmen. Der stand über seinem Welpen wie ein alter Graubart - ahnungslos wie nah er der Wahrheit manchmal kam, formte Wenzel dieses Bild vor seinem inneren Auge.
"Ich war schon ewig nicht mehr im Waisenhaus." Jarel nickte.
"Ich sollte ihn begleiten. Es wäre sehr unpassend, wenn er sich da nicht benimmt."
Wenzel betrachtete Jarel einen Moment von der Seite und widmete seine Aufmerksamkeit dann wieder den beiden jungen Männern, von denen einer den anderen am Boden festzunageln versuchte, aber irgendwie war schwer auszumachen, wem welcher Arm und welches Bein gehörte. Während er dem dem Ringen um die Oberhand zusah, versuchte er sich zu erinnern, welche Strafen der Ritter neben ihm so alles erduldet hatte. Man musste wirklich sagen erduldet - Wenzel konnte sich nicht erinnern, dass er sich je widersetzt hätte. Jarels Revolten waren von anderer Qualität gewesen und das hatte sie so aufreibend gemaht. Irgendwie war er froh, dass es vorbei war.
Henselt schrie plötzlich auf, begann zu zappeln und wollte sich von Jakob los machen, der durch den unkontrollierten Fluchtversuch seines Gegners Oberwasser bekam und ihn flach unter sich an den Boden nagelte, ein Griff um einen Ellebogen, den anderen im kornblonden Haar.
"Das war nicht fair!", mockierte sich Henselt.
"Seit wann ist Fairness Teil von dem Spiel?", presste Jakob angestrengt durch die Zähne, weil der andere Knappe immer noch versuchte, sich zu befreien. "Gibt endlich auf."
"Nein!"
Wenzel lehnte sich nach vorn, um besser zu sehen. Situationen wie diese eskalierten sehr gern, wenn Moores Knappe involviert war, nur war er selbst bisher nie zugegen gewesen. Er kannte nur die aufgebrachten Beschreibungen noch aufgebrachterer Lehrmeister.
"Du bist tot Henselt, gib auf verdammt."
"Noch nicht.", aber es klang schon weit weniger überzeugt. Jakob schien den Druck auf den anderen Mann zu erhöhen, sodass dem die Luft knapp wurde und änderte den Griff etwas, was die hübsche Tenorstimme des 'Opfers' erklingen ließ. Endlich schlug er mit der Hand auf den Boden, doch es dauerte quälende drei Herzschläge, bis Jakob ihn los ließ.
Wenzel lehnte äußerlich entspannt auf dem Geländer und sah hinab. Unten ging Jakob an den Rand und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von Nacken und Gesicht, dann richteten sich seine unangenehm hellen Schlangenaugen auf den Komtur hoch über ihm. Die leichte Verbeugung, die er andeutete, kam Wenzel spöttisch vor. Er wandte den Blick ab, betrachtete Jarel noch einen Moment und wirkte, als wollte er mit einem Seufzen den Kopf schütteln. Das wollte er wirklich, tat es aber nicht. "Rückhalt. Die Bruderschaft, Jarel, ist was uns zusammen hält. Unter der Flamme. Auch eine Rose hat Dornen, ich weiß. Aber sie bohrt sie nicht ins eigene Fleisch." Kurz schlug er dem anderen Ritter auf die Schulter, dann schickte er sich an, den Säulengang zu verlassen.
"Ihm fehlt noch Weitsicht.", stimmte Jarel zu, bevor Wenzel ging.
"Ich gehe zu ihm.", erklärte er.
"Und teilte ihm mit, was ihn als Strafe erwartet, wenn das Recht ist."
Gemessenen Schrittes ging er in Richtung Treppe und dann an Henselt heran, musterte ihn.
"Verletzt?", fragt er ruhig aber wortkarg.
"Er...", kurz klang Henselt, als wolle er bei Papa petzen, erinnerte sich dann aber noch rechtzeitig, wo er war und wer vor ihm stand. "Nein.", sagte er statt dessen, grüßte dann den Ritter wie es sich gehörte und rief: "Jakob! Besuch..." Irgendwie hielten die Knappen ja dann doch immer wieder zusammen.
Jakob hatte sich ein paar lange Züge aus einem Wasserschlauch gegönnt. Jarel hatte er längst wahrgenommen, auch wenn der sich wie immer levitierend zu bewegen schien. Er machte es nicht mehr an Geräuschen aus, eher am Gefühl. Er legte den Schlauch weg, drehte sich um und grüßte ebenfalls, wie es sich gehörte.
Der Ritter neigte kurz das Haupt zum Gruße, die Arme noch immer hinter dem Rücken verschränkt.
Das reichte für Jake ihn zu lesen wie ein Buch. Die letzen Monate hatte er viel, viel Zeit mit dem Ritter verbracht. Jarel selber hatte ihn die Grundlagen der Sprache dieses Landes gelehrt. Die Feinheiten würde er bei einem anderen der Brüder lernen, so lange er sich mit den Grundlagen plagte, war er jedoch beim Ritter gut aufgehoben. Bei ihm musste er seine Herkunft und die daraus resultierende Unkenntniss nicht verbergen.
Auch die Grundlagen des Schwertkampfes lernte er beim ehemaligen Schattenläufer, wobei sich ehrausstellte, dass Jarel sein Handwerk durchaus beherrschte, aber nicht unbedingt zu den besten des Faches gehörte.
Seine Stärken lagen woanders, und das zeigte er dem Knappen bei den Unterrichtsstunden, die er ihm in der wenigen Freizeit angedeihen ließ. Die Zeit, in denen er von seinem Lehrmeister von Gelände der Komturei herunter führte und ungesehen - so dachte er zumindest - eine andere Art zu kämpfen beibrachte: Den Umgang mit den Dolchen. Und hier lag nun wirklich seine Stärke. Mit den kurzen, schwarz angelassenen Klingenwaffen vollbrachte er Dinge, die für Auge und Verstand unmöglich erschienen.
Und selbst hier machte der Unterricht des alten Mannes nicht halt. Wenn es irgendwie noch unterzubringen war, schleifte er den jungen mann, der locker sein Enkel sein könnte mit in die Küche. Selbst davor blieb er nicht verschont.
Heute jedoch schien er etwas anderes im Sinn zu haben.
"Auf ein Wort.", verkündete er und ging auf den Eingang des Geländes zu in der festen Überzeugeung, Jake würde ihm folgen.
Jarel ließ Henselt stehen, der noch kurz einen Blick mit Jakob wechselte und dann das Weite suchte. Jakob mochte den anderen Knappen tatsächlich. Sie tickten ähnlich, sehr zum Leidwesen einiger ihrer Lehrer, denn sie befeuerten sich auch gegenseitig. Zum Guten wie zum Schlechten. Henselt war irgendein siebter oder achter Sohn eines unbekannten Adligen, der es niemals zu Erbe oder Land bringen würde und der daher dem Orden anempfohlen worden war. Wohl auch, weil er sich nicht zum Verheiraten eignete, denn ihn plagte eine Krankheit, die man in Jakobs Zeit und Welt wohl hätte zumindest dämpfen können, die hier aber als Fluch gesehen wurde und Gebet als einzige Rettung. Henselt hatte hin und wieder epileptische Anfälle, die sie vor den anderen Rittern bestmöglich zu verstecken versuchten, damit er um die Exorzismen herum kam. Daher verbrachte Jakob auch viel Zeit mit ihm, wenn er nicht gerade von Jarel von einem Training zum nächsten geschleppt wurde, so wie vermutlich jetzt auch wieder.
Jakob sammelte immer diese Typen mit den seltsamen Krankheiten auf. Seth war auch so einer gewesen...
Wobei die Haltung des Ritters nichts Gutes verhieß. Irgendwas störte ihn oder er führte was im Schilde. Wie letztens, als er plötzlich mit Mari und einem zweiten Gaul ankam und verkündete, ein Ritter müsse reiten können. Es war ein Desaster gewesen. Das Biest hatte keine Bremse, keine Kupplung und auf dem Sattel tat dem Knappen nach wenigen Minuten schon der Allerwerteste weh. Und an den Tag danach wollte er lieber nicht mehr denken.
Was wäre es also heute? Er würde es erfahren... Wortlos tappte er Jarel hinterher, nachdem er seine Jacke und seinen Wasserschlauch zusammen geklaubt und das Schwert wieder eingehängt hatte. Seit sie in der Komturei waren, führte er das Schwert, welches Jarel ihm gegeben hatte. Das Templerschwert verwahrte dieser bis zu dem Tag, da Jakob den Ritterschlag erhalten würde.
„Du hast mal wieder Ärger am Halse, Jakob.“, begann er. Sie gingen dorthin, wohin Jarel immer ging. Er war ein Mann mit festen Angewohnheiten, die er geradezu penibel einhielt.
Sein Ton war ruhig und neutral, wie immer. Es sei denn er hatte richtig Mist gebaut. Und selbst da war es kaum mehr als ein kleiner Unterschied im Timbre. Der Ritter wurde nie laut, selten ausfallend. Nur die Schärfe seiner Stimme nahm im Fall eines richtig bösen Patzers zu. Doch das bedrohlich dunkle Knurren, das Jakob ein einziges Mal zu Ohren gekommen war – eben in der Zelle in Oxenfurt, als Jarel bereit gewesen war ihn weg zu schicken – hatte er seitdem nie wieder gehört.
Auch die verdunkelten Augen waren ihm nie wieder begegnet.
Nach wenigen Minuten kamen sie in den kleinen Park. Das Zeil des Ritters.
„Du hast mit dem Bogen auf einen Menschen gezielt.“, begann er, machte eine Pause, atmete durch.
„Das kann nicht ungestraft bleiben. Pack ein paar Sachen. Du wirst einige Tage woanders verbringen. Ich begleite dich.“, orakelte der Ritter. Die warmen braunen Augen blitzen regelrecht schelmisch auf. Wenn es eine Strafe war, warum freute sich der Ritter dann also?
"Ich hab auf die Wurst gezielt, die der Fettsack immer frisst, während er seine Monologe hält.", maulte Jakob leise vor sich hin.
„Regeln sind Regeln, Jakob.“, begann der Ritter die Zurechtweisung.
„Ziele niemals mit einer Fernwaffe auf einen Menschen. Es sei denn, du willst ihn töten.“
Er sah ernst zu Jake. „Verstanden, Knappe?“
Immer wenn Jarel so anfing, musste Jakob zwangsläufig an ihre erste und bisher einzige wirklich harte Auseinandersetzung denken und dabei war er damals noch nicht einmal Jarels Knappe gewesen. Seither hatte dieser sich stets geduldig gezeigt, zumal Jakobs Ausbrüche sich meistens auf harmlose Dumme-Jungen-Streiche begrenzten. Abgesehen von einer Schlägerei, bei der man ihn und seinen Gegner hatte mit mehreren Leuten auseinander bringen müssen. Doch selbst da hatte er es nicht geschafft, Jarel den gleichen scharfen Ton zu entlocken. Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte vielleicht sogar gemutmaßt, dass der Ritter insgeheim den Ausgang dieser 'Schlacht' gern selbst mitbestimmt hätte. Denn zur Abwechslung war es mal nicht Jakob gewesen, der den ersten Schlag geführt hatte. Es gab noch ganz andere Hitzköpfe unter den Knappen.
Er nickte stumm, erwiderte Jarels Blick ernst. "Verstanden." Aber der Schuss war trotzdem verflucht gut gewesen. Funkelte es etwa in den Augen des Jüngeren verräterisch? Er atemte durch, kickte ein Steinchen weg und sah zum blauen Himmel. "Und? Was wird es? Wenn du dich drauf freust, stehen mir schon wieder die Haare zu Berge." In solchen Momenten erinnerte wenig an den wortkargen jungen Mann, der vor einem dreiviertel Jahr mit Jarel in die Komturei gekommen war.
Tatsächlich grinste der Ritter sogar etwas. „Wir suchen den Tempel der Melitele auf, wo du den Schwestern bei der Betreuung der Waisen hilfst.“
Jake und Kinder. Er hatte mit sich selber schon keine Geduld, da würde ihm eine Gruppe Rotznasen um den Verstand bringen.
„Der Tempel ist ein Heiligtum. Ich erwarte von dir Respekt den Schwestern und der Göttin gegenüber.“ Wieder sah er zu Jakob und ihm direkt in die Augen, um die Wichtigkeit seiner Worte zu unterschreiten.
Das war seltsam. Der Ritter stand zwar hinter der Sache mit der ewigen Flamme, überließ es aber Jake daraus zu machen, was für ihn passte.
Für den Glauben der Melitele schlug er aber einen völlig anderen Ton an. Inbrünstig. Ehrfürchtig.
Der Glauben an die Muttergöttin. Und sein Ritter machte den Eindruck, dass er dafür eher brannte als für das Zeichen, welches ehr ständig vor der Brust trug.
"Kinder." Er hätte auch sagen können 'Ratten' oder 'Sackläuse', der Tonfall wäre ähnlich begeistert ausgefallen. Dazu zog er eine Braue hoch. Kinder und er... War Jarel völlig verrückt geworden? Entweder sperrte er sie über kurz oder lang irgendwo ein oder aber er brachte ihnen Dinge bei, die die Schwestern niemals mehr aus den winzigen Gehirnen würden austreiben können. Was die Schwestern und die Göttin selbst anging, machte er sich die wenigsten Sorgen. DIe Dienerinnen der Melitele waren nicht mal wie die Ritter zu Keuschheit verpflichtet, was an sich schon verrückt genug war.
„Arme, eltern- und mittelose Kinder, die auf der Strasse aufgewachsen sind und keinerlei Erziehung genossen haben. Rotznasen, die sich an keinerlei Regeln halten.“, sinnierte der alte Mann und schlenderte langsam im Schatten der Außenmauer entlang.
Er meinte es ernst. Vollkommen Ernst.
„Der Großkomtur hat dich im Auge. Und dein Verhalten fällt auf mich zurück.“
Der Ritter sah in den Himmel. „Du weißt schon, dass dein Verhalten hier Unbill verursacht hat, Jakob?“
"Eben.", kommentierte er das Sinnieren des Ritters, machte sich aber keine Illusionen, dieser Strafe irgendwie zu entgehen, also argumentierte er auch nicht weiter.
Immerhin war Jakob Jarel gegenüber inzwischen deutlich offener, sodass ihn dessen Worte nicht wie bei nahezu jedem Anderen zurück in die Nussschale trieben, getreu dem Motto: auf Durchzug schalten und abwarten, wann es eskalierte. Statt dessen nagte er an seiner Unterlippe und suchte nach Worten. Ein Prozedere, das dem Ritter inzwischen bekannt war. Bei Jakob musste man Geduldsfäden wie doppelt armierte Stahlseile haben, denn ihn zu drängen bewirkte genau das Gegenteil.
Er war der Sohn eines Komturs, auch das wusste Jarel inzwischen, und damit war es Jakob durchaus bewusst, in was für Schwierigkeiten man geraten konnte, hatte man erst die Aufmerksamkeit von dieser Ebene, auch wenn Wenzel als durchaus nachsichtig galt. Zumal hier, wo nicht das Wissen an sich einen schützte und in den Reihen des Ordens hielt wie in einer Sekte. Hier konnte man tatsächlich einfach raus fliegen oder schlimmer noch als Verräter oder Häretiker auf dem Scheiterhaufen landen.
"Ich weiß und es tut mir Leid. Ich will dir keinen Ärger machen und dem Orden dienen." Nicht der Flamme, eine Nuance, die vielleicht auffiel, vielleicht auch zwischen ihnen normal war. "Aber dann fällt ein Wort oder da ist ein Ton." Er zuckte mit den Schultern, schnaufte. "Und der Dicke langweilt mich mit seinen Lektionen einfach. Ich schieße längst besser als er." Genau genommen besser als die meisten hier, aber so anmaßend wollte er dann doch nicht auftreten.
Der Ritter hörte aufmerksam zu.
Unterbrach ihn nicht.
Kommentierte ihn nicht.
"Lege nie wieder auf einen Menschen oder Anderling an, wenn du ihn nicht töten willst."
Eine klare Anweisung. Ein Befehl.
Und damit war das Thema für Jarel abgehakt..
Er schlenderte noch etwas weiter, streckte sich und klaubte einen Apfel aus einem Baum, den er Jakob anbot, um gleich darauf einen für sich zu stibitzen.
"Wir werden morgen früh abreisen. Zuerst in die Stadt. Ich muss noch etwas erledigen . Danach zum Tempel. Wir werden ungefähr eine Woche dort sein." Der Ritter biss herzhaft in den Apfel und schlenderte weiter.
Als er ausgiebig gekaut und herunter geschluckt hatte fuhr er fort.
"Bisher habe ich dir keine Wahl gelassen bei den Dingen, die du lernen sollst" Er zögerte.
"Doch jetzt mache ich dir ein Angebot, welches du abnehmen oder ablehnen kannst. Wenn wir von Tempel zurückkehren wünsche ich deine Entscheidung zu hören."
Wieder eine Pause.
"Möchtest du versuchen das Schattenlaufen zu lernen?"
"Das heißt, dass nächste Mal ziele ich wirklich auf ihn und bekomme weniger Ärger?" Selten genug, dass er stichelte und er lenkte sofort mit einer beschwichtigenden Geste ein, als Jarels Blick in an die Klostermauer pinnen wollte. "Schon gut, kommt nicht mehr vor." Er schnappte den Apfel.
Dann war die Sache vom Tisch. Dafür kam eine andere aufs Tablett. Schattenlaufen. Schlagartig wurde Jakob wieder ernst. Dieses eine Ding, was er an seinem Ritter noch nicht vollständig akzeptiert hatte, hauptsächlich weil er es nicht begriff. Zum anderen weil er Jarel als seinen Ritter sehen wollte - als seinen Bezugspunkt Nummer eins - und da eine Begabung, die ihn viel zu sehr an die Monster seiner Welt erinnerte, nicht hinein passte.
"Ich denke darüber nach. Aber ich werde Fragen haben. Viele." Und auch das kannte Jarel schon - einmal aus der Kiste, hörte Jakob erst auf zu fragen, wenn er ein Thema zu 100 Prozent ergründet hatte.
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