Re: Der Tempel des Ewigen Feuers
Verfasst: Dienstag 18. Juli 2023, 11:19
von Lothar von Tretogor
>>Herbst 1273<<
Die Harfe war endlich angekommen, das neuste Modell aus Kovir. Aber Lothar hatte wenig Zeit gehabt sie auszuprobieren. Viel zu viel Papierkram, als ob es die Strafe dafür wäre, dass er gewählt worden war. Ein Übergangsgroßmeister sei er. Der Kompromiss, den für alle nach dem Geschehnissen für vertretbar hielten als Kriegsveteran, als Blaublütiger, als Redanier und jung genug dabei um ihn noch formen zu können? Letzteres wird sich zeigen. Seine letzten Jahre verbrachte er auf den Schlachtfeldern nicht in der Politik. Aber das würde sich nun ändern, mal sehen an welche Lehrstunden aus der Jugend er sich noch erinnern würde.
Lothar saß an seinem Schreibtisch über all den Listen mit den Mitgliedern des Ordens und nun galt es zu säubern. Alensbach war einer der Ersten. Einer der Ersten in der lexikografischen Ordnung und einer der Ersten mit einem zweifelhaften Ruf... dabei kannte er ihn ganz anders.
Als die Tür sich öffnete und der Ritter hinein trat, stand Lothar auf, ging um seinen Schreibtisch und betrachtete den ein wenig Jüngeren offen und freundlich: „Liam von Alensbach, welch interessante Fügung, dass wir uns so wiedersehen.“
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Es war einer jener Herbsttage, der keine guten Aussichten versprach. Der Himmel war grau und der Regen verwandelte die Strassen in einen dreckigen Sumpf. Ein unangenehm beissender Wind pfiff durch die Gassen, frass sich feucht und klamm zwischen die Schichten der Kleidung bis auf die Haut. Karren ratterten über die Pflastersteine, Pferde liessen ihre Köpfe hängen und zogen ihr Anhängsel müde hinter sich her. Geschäftige Treiben, Stimmen und Rufe füllten die Stadt mit Leben, durch die sich ein Mann mit einem hellen Fuchs seinen Weg bahnte. Er ging zu Fuss, zog das Pferd an den Zügeln hinter sich her. Sie machte ihm freiwillig Platz, denn seine Mimik war gewittrig, der Blick glich kaltem Stahl. Vielleicht war es der Regen, der ihm die Laune verdorben hatte.
Am Sattel des Pferdes waren zwei Packtaschen befestigt und verrieten, dass der Reiter wohl ein Reisender war oder gewesen sein musste. Er selbst trug ein Wams aus festem Leder, mit Kettengeflecht verstärkt. Die Stiefel abgetragen, die Hosen an mehreren Stellen geflickt. Der dunkle Umhang am Saum zerfetzt und die Handschuhe hatten ebenso bessere Tage gesehen. Ein Söldner, würde man meinen und umso verblüffender die Tatsache, dass dieser Mann zum Orden der Flammenrose einbog. Am Tor wollte man ihn erst gar nicht einlassen, bis er die Wachen dann doch davon überzeugte, dass auch er - trotz seines erbärmlichen Äusseren - ein Mitglied ebenjenen Ordens war und Lothar ihn erwartete.
Nachdem das Pferd in den Stallungen verschwunden war, begab sich von Alensbach hinein in das Ordensgebäude. Ab da gleitete man ihn vor die Tür des gewählten Grossmeisters. Liam waren die Blicke nicht entgangen, die ihm zugeworfen worden waren. Bestimmt hatten die einen bereits von ihm gehört, andere empörten sich über sein respektloses Erscheinen in ihren Hallen. Wenigstens zurechtmachen, das hätte er sich können. Zurechtmachen... Liam war eitel, aber er wusste, wann Eitelkeit ganz hinten anstehen musste und heute war so ein Tag. Die Tür öffnete sich und Liam von Alensbach trat ein.
Er füllte den Türrahmen fast aus, als er stehen blieb um den neuen Grossmeister mit ernstem, besonnenen Blick anzusehen. Er hatte ihn vor einigen Jahren bereits kennengelernt, als Lothar noch fern von diesem Posten gewesen war. Dort auf dem Schlachtfeld und nun hinter einem Tisch mit Dokumenten und Schriften? „Lothar von Tretogor.“ erhob Liam seine Stimme, so rau und ungeschliffen wie See, ehe er einen Schritt nach drinnen machte und die Tür hinter sich schloss. „Es ist lange her.“
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„Nach all dem Gerede und Berichten, die mir hier vorliegen, konnte ich es nicht glauben, dass Du es bist.“ Und wie als wäre es noch immer undenkbar, schritt der Großmeister ein paar Schritte um den Ritter herum, um ihn zu mustern. Aber er war der Mann, den er kannte.
„Was hast Du angestellt? Liebschaften mit Zauberinnen? Blasphemie? Aber... kein Rauswurf?“ Belustigt zog Lothar eine Augenbraue nach oben. Wenn das nicht bis zum Himmel stank was dann?
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Lothar umrundete einen durchaus ansehnlichen Mann von breiter, athletischer Statur. Er trug das dunkelbraune Haar kurz geschnitten, an den Seiten geschoren. Ein Vollbart verbarg das kantige Kinn, hob die ernste Mimik des Ritters gar noch heraus und liess ihn von weitem wahrlich mehr wie einen Vagabunden aussehen. Die Haltung hatte sich nie verändert, sie blieb aufrecht und militärisch gedrillt. Die Hände stets hinter dem Rücken und auf dem Steiss abgelegt, so auch jetzt. „Enttäuscht?“ fragte Liam, wartete aber keine Antwort ab. „Sie hatten schlichtweg keine Eier und nun liegt die Entscheidung wohl an dir.“ Er erinnerte sich nur ungerne an die Vorfälle zurück, die ihn seinen Aufstieg im Orden mehr als nur versaut hatten. „Dafür bin ich doch hier, nicht wahr?“
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„Deshalb bist Du hier.“ Lothar nickte. Verschränkte die Arme vor der Brust. Er versuchte streng zu gucken, musste dabei aber dünn lächeln. Zu viel hatten die beiden gemeinsam erlebt: Brenna und Sodden, eigentlich genug für ein Leben, aber die Flamme war ewig. „Genauso wie ich. Schau Dir all die Zettelwirtschaft an. All die schwarzen bis grauen Schäfchen haben sie mir abgeladen und erwarten Entscheidungen zwischen Scheiterhaufen und weitermachen.“
Seine Schritte führten ihn wieder zurück zum Schreibtisch, während er auf diesen und seine Last zeigte. „Man will gar nicht wissen wie viele Bastardkinder es gibt, als ob der Orden selbst für seinen Nachwuchs sorgen würde. Und mittendrin Du...“ Ein leichtes Kopf schütteln. „Also, was ist dran? Deine Aussagen dazu fehlen mir irgendwie...“ Trotz der Höhe der Stapel.
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Er liess den Blick des Älteren ungerührt über sich ergehen und das dünne Lächeln, dass sich auf Lothars Lippen abzeichnete, erlaubte ein klein wenig Entspannung. "Ich hätte dich eher auf dem Schlachtfeld erwartet, als hinter einem Tisch voller Dokumente." gab Liam mit einem leisen Schnauben von sich. "Und, wieviele davon hast du bereits auf den Scheiterhaufen geschickt?" Von Alensbachs Blick folgte dem Mann zurück zum Tisch. Noch immer stand er in der Mitte des Raumes, doch verloren sah der Ritter nicht aus. "Wenig", sagte er schliesslich. "Die Liebschaft kanns gegeben haben, ich erinnere mich nicht mehr an alle Details an diesem Abend, an dem ich scheinbar mit ner Hexe geschlafen hab." Er hob eine Hand, wohl um anzudeuten, dass er noch etwas hinzufügen wird. "Ich war mit Ardh und anderen einen heben. Habe Traubensaft getrunken, Lothar... keinen Schluck Alkohol. Und irgendwann bin ich aufgewacht. Hab nur mehr in Erinnerung, dass jemand geschrien hat, ne Frau. Dann irgendwelche Stimmen und Ardh's Gesicht. Hat was gesagt, aber ich weiss nicht was. Als wär n'zäher Nebel in meinem Hirn der sich weigert mehr preiszugeben." Er tippt mit einem Finger gegen seine Schläfe. "Tja, dann sagte einer aus - steht ja sicher in diesen Akten, nicht wahr? - dass er mich gesehen hätte. Mit dieser Hexe, aus deren Bett sie mich gezerrt hatten." Er verkrampft den Kiefer, knirscht leise mit den Zähnen, als die Wut auf die Ohnmacht die er gefühlt hatte, wieder aufsteigt. "Das ist alles, mehr kann ich dir nicht zu sagen. Wäre mein Geist klar gewesen, ich hätte nie derlei Schande über mich und den Orden gebracht." Liam lässt den Blick durch den Raum schweifen. "Hast du was zu trinken da?" fragt er ihn, als würde er mit einem Freund und nicht mit dem Grossmeister des Ordens sprechen.
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„In der Kommode darüben.“ Der rechte Zeigefinger deutete auf ein Möbelstück hinter Liam: „Ob Traubensaft drin ist, weiß ich nicht. Ist noch vom Vorgänger, aber meine Leibwache hat's freigegeben. Sollte nicht vergiftet sein.“
Seine Leibwächter. Daran müsste er sich auch noch gewöhnen oder würde es vielleicht auch nie, sodass der Großmeister noch am Großmeister sein üben musste.
Den Ausführungen hatte er gelauscht, mal genickt, mal die Stirn gekräuselt, aber nicht unterbrochen. Wie man es von ihm kannte: Wenn er mal die Erlaubnis zum Sprechen erteilt hatte, dann hörte er zu. „Klingt als hätte sich jemand eine Menge Mühe gegeben Dir ans Bein zu pissen.“ Nachdenklich ging er wieder um seinen Tisch herum, besah sich sein Werk aus Papierstapeln.
„Zwei, drei Kinderficker.“ Hatte er auf die Scheiterhaufen geschickt. „Hab mit den leichten Sachen angefangen.“
Mit Unterschrift und Siegel töten statt dem Schwert war eine weitere Sache, an die er sich gewöhnen musste. „Einer von ihnen Ludwig von Härnisch war damals mit Dir trinken, aber wusste nichts mehr.“
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Liam folgte dem ausgestreckten rechten Zeigefinger mit dem Blick und verzog kurz die Mundwinkel. Traubensaft. Automatisch keimte Misstrauen in ihm auf, doch Lothar vertraute er und so bewegte er sich mit schweren Schritten hinüber. "Du hast einen Leibwächter?" Die Tatsache amüsierte Liam aus irgendeinem Grund. "Passt er gut auf dich auf, ja?" Er zog ungefragt die Türen der Kommode auf und entnahm eine Flasche. Sie hatte ein bisschen Staub angesetzt, die Gläser aber waren sauber. Nachdem die Flasche offen war, es handelte sich wirklich um Traubensaft, füllte von Alensbach ungefragt beide Gläser und stellte eines davon auf Lothars Tisch ab. Erst dann setzte er sich auf den freien Stuhl dem Grossmeister gegenüber. "Ja, so wie es aussieht hat sich wer ziemlich gefickt gefühlt oder ne heiden Angst um seinen Posten."
"Ludwig von Härnisch..." wiederholte der Temerier nachdenklich. "Ja, ich erinnere mich. Ne kleine Ratte, oder? Mit wässrigen Knopfaugen. War ein Schisser, klar, dass der nichts wusste. Da war noch Meldeford. Jan Meldeford, son 'hagerer Kerl. Keine Ahnung, ob der noch da ist."
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Zu Härnisch nickte er. „Übermorgen Mittag, falls Du ihm zusehen willst. - Hm... Meldeford? Ist mir bis jetzt nicht aufgefallen, keiner von ihnen hier. Aber ich merk ihn mir. Hast Du denn aktiv an einem Stuhl gesägt?“ Sprachs und setzte sich auf seinen, um auch den Becher entgegen zu nehmen.
Lothar war überrascht, dass es in der Kommode tatsächlich Traubensaft gab. Aber er würde wohl noch lernen müssen, was er sich auf diesem Posten alles erlauben konnte oder wie er diese Kommode füllen wollte. „Ich hab nicht nur einen Leibwächter, sondern eine ganze Leibgarde von mindestens fünf Mann. Wie dieser Nilfgaarder Oberst, weißt Du noch? Der diesen Kreis aus Stumpfsinnigen nie verlassen hat. Na ja, hatte ihm am Ende auch nichts genutzt. Meine hingegen werde ich nicht so schnell los.“
Er sah einen Moment in seinen Becher und trank. Schon eine Situation wie jetzt hatte einiges erfordert, dass nun kein Leibwächter mit im Raum war. Zum Glück gab es gerade noch die Gemächer zu inspizieren und der Großmeister hatte ein bisschen Ruhe.
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"Ich werde da sein", nickte Liam grimmig. Die Frage seines Gegenübers liess ihn jedoch schweigend nachdenken, ehe der grosse Mann den Kopf schüttelte. "Nicht mit Absicht. Hatte nichtmal Interesse an irgendeinem wichtigen Posten. Die hätten sich die Mühe echt sparen können. Aber Tharen, weiss nicht ob du ihn kennst, war mal Aredhs Waffenmeister und Ausbilder - Hat auch mich unter die Fittiche genommen - der hat ma fallen gelassen, dass ich ein guter Bluthund wäre. Einmal angesetzt, nicht mehr losgelassen. Hat dann begonnen mir kleine Sachen aufzugeben. Da war ich echt stolz drauf. Aber n' paar Aufträge die ich da hab erledigen müssen, waren merkwürdig. Hab nachgefragt und in Frage gestellt. Das kam nicht gut an. Glaub die hatten Angst, dass sie ihren ausgebildeten Hund nicht mehr unter Kontrolle haben. Also muss der weg, du verstehst?" Liam streckte die langen Beine aus.
"Fünf? Bist du so ein Schwächling geworden, dass sie dir gar Händchen halten müssen?" zog er seinen Gegenüber auf. Verächtlich schnaubend nickte der Ritter. "Klar erinnere ich mich. Konnte nichtmal Scheissen ohne ihre Hilfe." Prostend hob er den Becher und trank einen Schluck. "Wie hast du's hinbekommen, dass keiner da ist? Draussen auf dem Gang dachte ich noch, die nehmen mich auf der Stelle fest."
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Der Großmeister nickte amüsiert dazu in seinen Becher, dass er mit seiner Leibgarde Händchen hielt. „Es gibt noch eine Menge zu erledigen, damit überall im Tempel meine Sicherheit gewährleistet ist. Außerdem konnte ich sie davon überzeugen, dass ich auch mal mit meiner Geliebten alleine sein möchte.“ Beinahe sehnsüchtig ging sein Blick auf die Harfe und eine Hand fuhr liebevoll, aber auch nachdenklich über das Instrument. „Aber sie wären schon fix hier, falls Du etwas versuchst…“ Wobei er wohl nicht wirklich Liam in Verdacht hätte.
Wohin nun? Liam war ihm in den Schlachten und Scharmützeln gefolgt. Sie hatten nie in der selben Einheit gedient, aber es war der Punkt gekommen, an dem man die Reste im Dreck aufsammelte und sich entweder zusammenriss oder verreckte. Nun, noch waren sie nicht tot. Er hatte sie geeint, geführt und die meisten lebend herausbekommen. Aber es war Liams Glaube an die Flamme, die Lothar beeindruckt hatte. Er als als Offizier gab Halt für seine Untergebene, aber er selbst? Er konnte nur auf den Anderen und dessen Hingabe an das Größere sehen, sodass Lothar erst nach und nach sich der Religion öffnete und zum Glauben fand. Aber der Funke kam von Liam und eigentlich, eigentlich sollte er auf dieser Seite des Tisches sitzen. Aber… man hatte ihn entfernt. Lothar atmete ein und musterte sein Gegenüber mal wieder.
„Und nun? Wo willst Du jetzt hin?“ Aber sein Gesicht sagte, dass der Großmeister selbst schon eine Idee hätte.
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"Hat sie einen Namen?" Liam lächelte verhalten. Ein Lächeln, dass nur diejnigen zu sehen bekamen, denen er vertraute. Und Lothar vertraute er. Das hatten die Schlachten bewiesen, in denen er dem jetzigen Grossmeister ohne Furcht den Rücken freigehalten hatte. "Du meinst, falls ich nun doch entscheide, dass ich zu grösserem Bestimmt bin?" Der Gedanke belustigte von Alensbach einen flüchtigen Moment lang, ehe er wieder verschwand.
Das Schweigen, welches folgte, war tief und laut. Es hallte zwischen den beiden Männern, als wollte es auf sich aufmerksam machen. Liam trank vom Traubensaft, der irgendwie bitter auf seiner Zunge schmeckte. Es war die Erinnerung welche die Empfindung auslöste, das wusste er. "Und nun?" fragte er geradeaus, als hätte der Temerier die Gedanken seines Gegenübers erahnt. "Ach... Blasphemie." Es war ihm entfallen, aber diese Erklärung stand noch aus. "Es gab keine blasphemischen Äusserungen meinerseits gegenüber unserem Glauben, nur..." Liam schürzte die Lippen. "Ich hatte eine Auseinandersetzung mit Aredh und war vielleicht ein bisschen zu ehrlich was seine Person betraf. Nicht, dass ich stolz darauf bin, so aus der Haut gefahren zu sein aber... Blasphemie war es keineswegs, Lothar. Doch das Wort einer solch wichtigen Persönlichkeit wie Aredh hat nunmal mehr Gewicht als das eines Verräters, nicht wahr? Und dass de Aldersberg und ich auch keine Freunde waren, das wusstest du sicher. Ich bin also gegangen, mit dem Gedanken nicht wieder zu kommen. Bis die Kunde eintraf, dass man dich als neuen Grossmeister einsetzen wollte. Du kannst dir meine Überraschung bestimmt vorstellen. Wie kam es, dass du doch noch zum Glauben gefunden hast?"
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„Ich hatte genug, Liam.“ Lothar lehrte seinen Becher. „Genug von Krieg und Tod, Blut und Dreck, von quälenden Schmerzensschreien, die man hörte und brutalen Grausamkeiten, die man sah. Von ihrer Politik, die nur wieder andere Kämpfe und Neid nach sich zieht.“ Der leere Becher landete auf dem Tisch und mit einem Ruck stand Lothar auf, wie immer musste er mehr gestikulierend Gehen, wenn er redete: „Es war Dein Vorbild von Alensbach, das mich schließlich in den Tempel trieb. Irgendwo musste ich Kraft schöpfen. Ich fand Ruhe in den heiligen Hallen, fand Trost im Knistern der Flamme, fand Rückhalt in den Worten der Prediger. Aber ich fand auch Verrat und Lügen. Verleumdung und Vertuschung. Egoismus und Machtgier. Missachtung des Glaubens… um sich selbst Vorteile zu schaffen.“
Innehalten. Einatmen. „Nun, Ardh und Aldersberg sind nicht mehr… zu Recht. Und Du und Blasphemie? Hohl gelacht hatte ich, als ich dies las.“ Man hörte ihn schmunzeln, doch sein Blick war auf die Harfe gerichtet: „Elise“
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"Kann ich nicht verübeln", merkte Liam nach einer geraumen Weile an. Hätte er nicht seinen Glauben, der ihn all die Jahre durch das Land begleitet hätte... vermutlich hätte der Ritter dem allem bereits den Rücken gekehrt. Aber die Flamme war stark und sie brannte. Entspannt lehnte sich der Mann im Stuhl zurück. Die Lehne knarzte. Er sah Lothar zu, wie dieser auf und ab ging. Nichts neues. "Ich?" Nun war da ehrliche Überraschung auf seinen Zügen zu erkennen. "Das wusste ich nicht." Er musste zugeben, dass es ihn ehrte.
"Wir können nicht anders", sagte er verbittert. "Der Glaube wird allzu oft als Deckmantel getragen, als nützliche Ausrede um Dinge zu tun die nicht rechtens sind. Leider wird das immer so sein, aber mit dir als Grossmeister bin ich sicher, dass alles seinen rechten Weg gehen wird." Nun heben sich die Mundwinkel. "Es erleichtert mich zu wissen, dass du nicht so schlecht über mich denkst. Der Glaube ist alles was ich habe, Lothar. Aber dir muss ich das nicht erzählen." Sein Blick huscht durch den Raum, bleibt an der Harfe hängen.
"Elise also. Sie ist schön." Einen Augenblick hängt Liam Gedanken nach. "Was hat sich geändert, Lothar? Regeln die du neu eingeführt hast und ich zu wissen brauche? Das Zölibat, die Ausbildung, die Gebete?"
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Zum Harfenkommentar konnte Lothar nur nicken. Er konnte es kaum erwarten diesen feineren Pedalmechanismus an seine Grenzen zu treiben, die Seiten unter seinen Fingern zu spüren und hätte seinem Gegenüber jetzt eine Menge Theorie über diese Dinger erzählen können, aber dafür war jetzt nicht die Zeit. „Noch nichts, ich bin seit nicht einmal einem Quartal im Amt. Wir räumen noch auf, bevor wir reformieren. Der Orden war doch gespalten und ich muss trotzdem meiner Wahl erst die Mehrheit finden und mich beweisen, um etwas bewirken zu können. Dem Grünschnabel folgt niemand in die Schlacht.“ Da war sie die Politikausbildung, was der zukünftige Baron wissen muss, falls man doch an die Reihe kommt. Mit einem Lächeln verabschiedete er sich wieder von Elise und drehte sich zu Liam um.
„Dann willst Du weiter dem Orden dienen?“ Lothar nahm Haltung an, legte die Hände auf den Rücken, drückte das Kreuz durch und machte sich ein wenig größer. Auch keine Pose, die Liam noch nicht gesehen hatte und die keine Widerrede duldete: „So beuge das Knie vor Deinem Großmeister, Ritter Liam von Alensbach, und schenke ihm Deine Treue.“ Fordernd ließ er diese Worte für eine Weile im Raum stehen. „Und heiß Eure Exzellenz.“ Statt ‚Du Lothar‘. Das schiefe Grinsen dabei verriet, wie wenig wichtig ihm diese Anrede, wenn man unter sich war.
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"Da haben sie mit dir den richtigen Mann." merkte Liam an.
Die an ihn gerichtete Frage beantwortete der Temerier erst nach einem weiteren Schluck Traubensaft. "Ja, das will ich." Lothars Haltung liess Liam sich erheben, denn sie strahlte genau jene Autorität aus, weswegen er dem Mann in der Schlacht vertraut hatte. Für einen Moment standen sich die beiden Männer gegenüber, bis Lian vor Lothar auf das Knie sank. "Eure Exzellenz." Der Ritter neigte den Kopf feierlich. "Ich, Liam von Alensbach, schwöre dem Orden der Flammenrose und Euch, mein Grossmeister, meine Treue. Mein Leben und mein Schwert gehören der ewigen Flamme. Mögen Zweifel und Lüge verbrennen. Möge die Ordnung nie wanken, möge Dunkelheit zurückweichen wo ich hingehe. Mein Herz erfüllt von der Wärme, mein Geist erhellt von der Flamme. Auf ewig wird sie mich weisen und geleiten."
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Ganz sicher war sich der Großmeister nicht gewesen, ob der Ritter noch der Mann war, den er kannte. Als dieser schließlich tat wie ihm geheißen, ließ sich Lothar die Erleichterung nicht anmerken. Er trat einen Schritt vor und legte die Rechte auf das Haupt Liams:
„Wo die ewige Flamme erstrahlt, verblassen Zweifel und Lüge. Wo die ewige Flamme herrscht, wird die Ordnung nicht wanken. Wo die ewige Flamme wacht, weicht die Dunkelheit
Die Wärme des Feuers erfülle Dein Herz. Das Licht des Feuers erhelle Deinen Geist.
Die ewige Flamme weise Dir Ritter der Flammenrose den rechten Weg, jetzt und immerdar.“
Herzschläge stand der Großmeister so da, die Finger im Haar des anderen, den Blick selbst in sich gekehrt, bevor er sich anwandte und die paar Schritte um seinen Schreibtisch ging, um Platz zu nehmen.
„Dann erhebt Dich und lümmel Dich wieder auf Deinen Stuhl. Ich hab Dir ein paar Dinge zu sagen...“
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Liam erhob sich, wenn auch mit ein klein wenig Mühe. Bis dahin war nicht erkenntlich gewesen, dass er hinkte, aber nun - wohl durch die kniende Haltung - trat die Gangunregelmässigkeit hervor. "Wie ihr befehlt, Lothar." meinte er gutmütig und liess sich auf den Stuhl fallen. Es hatte damals ein bisschen Arbeit gebraucht, den wortkargen Soldaten zum reden zu bringen. Aber die Geschehnisse auf den Schlachtfeldern hatte jenes kleine Wunder vollbracht, an dem andere sich lange die Zähne ausgebissen hatten und Lothar wusste damit einen durchaus treuen Ritter an seiner Seite. Jener Ritter, der nun hier sass und darauf wartete, dass sein Vorgesetzter die Katze aus dem Sack lassen würde. Er hat irgendwie geahnt, dass es nicht nur auf einen kurzen Besuch hinaus laufen würde. Wenn er ehrlich war, dann hatte er sogar geglaubt, dass er ohne den weiteren Dienst im Orden aus diesem Tor treten würde. Das wenigstens war nicht eingetreten.
Die klaren, stahlgrauen Augen nahmen den Älteren in den Blick.
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Lothar schob ein paar Papiere von links nach rechts, schob sie zusammen, um mehr freie Fläche zu haben, auf die er seine Unterarme stützen konnte. „Kurz gesagt. Dein Ruf ist verdammt scheiße.“ Ein symbolhafter Fingerzeig auf den Stapel. „Und das bekommen wir so schnell nicht weg, natürlich könnte ich Dir Kraft meines Amtes Absolution erteilen und alles sei vergeben. Aber Du weißt selbst, was dann gemunkelt wird. Wir haben noch keine Ahnung wer genau Dir Alles ans Bein pissen wollte und warum. Noch wissen wir wo die heute sind, vielleicht sind sie schon erledigt vielleicht auch nicht. Außerdem würde es nur Neider hervorbringen, die beginnen in unserer gemeinsamen Vergangenheit zu kramen oder sonstige Verbindungen herzustellen, um uns am Ende beiden zu schaden. Noch ist meine Macht nicht so umfassend, dass ich mir Alles erlauben könnte.“
Wobei Lothar selbst noch gar nicht wusste, wie sehr es bei noch bleiben sollte. Er würde sehen, wo sich ein Feuer entfacht: „Aber…“ Natürlich waren die vorherigen Worte nur dafür da, um sein eigentliches Anliegen besser zu verkaufen – auch wenn sie wohl der Wahrheit entsprachen. „… ich könnte jemand hinter der Front brauchen. Jemanden wie Dich. Der den Glauben genau dort hat wo er sein soll. Jemand der das Wappen der flammenden Rose stolz trägt und zeigt. Ich möchte, dass das Volk Dich sieht. Den Orden sieht. Die Ritterlichkeit für die wir stehen, wenn es gegen das Chaos dieser Welt geht. Statt Dich hier in Intrigen zu verwickeln und Deine alte Feinde zu wecken, zieh hinaus. Sei meine Speerspitze des wahren Glaubens. Zeig dem Norden, was ein einzelner Ritter des Ordens bewirken kann. Zeig dem einfachen Leuten, dass wir auch ihr Schwert und Schild sind.“ Und nicht nur Melitele sich um sie kümmert.
Denn dieser giftige Kommentar der Erzpriesterin hatte gesessen. Wozu braucht das Volk Ordensbrüder wie seine, die nur schlachten und töten. Und Lothar musste zugeben sich mit dem Schlachten und Töten auszukennen, sonst wäre er nicht mehr hier. Aber der Orden war doch mehr und… naja, er hatte das Gefühl mit ihr würde er bestimmt noch häufiger diskutieren, sollte er diesen Posten länger haben.
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Liam lachte leise und verbittert auf. Ja, da hatte der Grossmeister recht. In den Stuhl zurücklehnend, die Finger miteinander verwoben, hörte er Lothar zu. Sein Blick lag dabei stets auf ihm.
"Geschickt eingefädelt." gab Liam zu, nachdem Lothar geendet hatte. Doch es klang nicht so, als würde er es seinem Gegenüber übel nehmen. Im Gegenteil. "Ich gehe also wieder auf Reisen, trage den Glauben hinaus und verbreite ihn wo ich nur kann?" fasst er alles kurz und knapp und ziemlich nüchtern zusammen. Man sah ihm nicht an, ob er über dieses Angebot enttäuscht war. Als sein Nicken aber Lothar erreicht konnte dieser ahnen, dass Liam ganz und gar nicht unglücklich über die neue Aufgabe sein musste. "Ich werde dich nicht enttäuschen, Lothar von Tretogor." Der Ritter hatte seine neue Aufgabe angenommen und das Funkeln in seinen Augen verriet dem Grossmeister, dass er in diesem Mann - dessen Ruf beileibe beschissen war - einmal mehr einen treuen Verbündeten gefunden hatte.
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„Und hin und wieder schreibst Du mir einen Brief“, fügte er der Aufgabenstellung noch hinzu. Der Großmeister musste grinsen und schenkte beiden Traubensaft nach, schüttelte aber leicht den Kopf: „So viel gefädelt habe ich gar nicht, nur gepuzzelt.“
Re: Der Tempel des Ewigen Feuers | Lothars Büro
Verfasst: Sonntag 23. Juli 2023, 16:07
von Lothar von Tretogor
„Pfft“ zu den Lebkuchen. „irgendein Laster braucht der Mensch. Und jetzt habe ich ein größeres Vermögen zur Verfügung, um derlei Süßgebäck anschaffen zu können. Mira von Birkhaimer macht eindeutig die Besten. Solltest Du probieren.“ Außerdem dient sein Lebkuchenverbrauch dazu, falls man Geld waschen muss. Für die 'geheimen' Laster des Großmeisters hat der Orden Geld. Für andere Dinge, die manchmal nötig sind, aber vielleicht nicht jeder toll fände, nicht. Aber nichts worüber sich Lothar nun Gedanken machte, als er ein Stück des Lebkuchens abbrach, um es genüsslich zu essen.
Nur bei der Erwähnung einer Priesterin der Melitele zog er eine Augenbraune nach oben. „Sag bloß, jetzt verdrehen sie Dir auch den Kopf?“ Ob für Lothar Leben retten unter Kopf verdrehen zählt, ist nicht ganz sicher. „Ich habe hier einen Haufen junger Knappen und Männer im besten Alter und gleich nebenan Horden von Novizinnen des Tempels. Was glaubst Du, wie das gut gehen soll?“ Er brach sich noch ein Stück Lebkuchen ab, schob die Schüssel auch in Richtung seines Gastes und schenkte beiden in die Zinnbecher ein. Aber eigentlich war das gerade nicht so wichtig.
„Aufgemischt… könnte man so sagen.“ Man oder besser Liam konnte es dem Großmeister ansehen, dass er es gerade genoss mal ein wenig aus der Rollen fallen können. „Ist ja nicht nur der Orden hier. Ich hab hier eine ganze Stadt, die nicht genau weiß wohin sie will oder zu viele Gruppen eine Idee haben wohin sie gehen sollte: Royalisten, Zünfte und Gilden, Neureiche, Altadel, Nilfgaarder, Rebellen, Ordnungsmächte, Armeen, Redanier, Temerier und natürlich die beiden Kirchen sowie diverse Anderlinge. Jeder will seine Interessen durchsetzen, wobei sich viele einig sind, dass niemand einen nilfgaarder Stadthalter braucht – wahrscheinlich. Der Erste ist schon verbraucht worden, die Zweite ist vorsichtiger, fast zurückhaltend. Es gibt also viel zu tun hier den Frieden zu erhalten.“ Oder zu erreichen, dass ein gewalttätiger Konflikt nur von kurzer Dauer ist. „Jetzt kommen noch ein paar Personalsituationen im Orden dazu und Du.“ Dieses musternde Grinsen kannte Liam. „Aber nein, Du bist nicht verdächtig, vielleicht nur… praktisch.“ Wobei sich Lothar noch nicht ganz sicher war, wie gut die Idee ist. „Wann warst Du zuletzt in Nowigrad.“