Außerhalb | Grashügel | Östlich von Nowigrad - Eine verlassene Ruine abseits der Straße

Lange Zeit war Nowigrad kein Teil von Redanien, lange Zeit konnte die größte (mit ca. 30.000 Einwohnern) und zweifelsohne auch die reichste Stadt den Status einer freien Handelsstadt halten. Nach den letzten Kriegen aber ist sie mehr oder weniger zur inoffiziellen zur Hauptstadt der freien Nordländer, vor allem Redaniens geworden seit Dijkstra als Regent zusammen mit dem Handelsrat von hier aus die Fäden zieht.
Als Heimat des Kults des Ewigen Feuers hat in der Stadt allerdings auch das Wort des Hierarchen Gewicht.
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Voli
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Redanien war ein Fehler. Das wurde ihm jeden Tag wieder aufs Neue ins Bewusstsein gerufen. Er hätte einfach in Temerien bleiben sollen. Dort waren mehr Menschen mit ihm vertraut und es gab weniger Probleme. Doch wenn er es sich recht überlegte, war Temerien auch nicht viel besser. Vielleicht war es einfach die Zeit. Die Unruhen und die Unsicherheit um das Kriegsgeschehen mit Nilfgaard begann die Menschen mehr und mehr zu zermürben. Sie schürte das Misstrauen in den einfachen Leuten. Sorgte dafür, dass man zuerst an sich dachte, sorgte dafür, dass man gewillt war, Risiken einzugehen, um das wenige, was man noch besaß, nicht auch noch zu verlieren.

Eines dieser Risiken war Voli den versprochenen Lohn für seine Arbeit zu verweigern, was man sich für gewöhnlich nicht traute, denn es lag auf der Hand, dass ein Winter-Vran, den man für gefährliche Arbeit bezahlte, selbst auch höchst gefährlich sein konnte. Es schien sich allerdings ein magischer Satz herumgesprochen zu haben, den Voli in dieser Saison nun schon zum dritten Mal zu hören bekam: “Wollen mal sehen, was die Wache dazu zu sagen hat”. Dies riss ihm schlicht den Boden unter den Füßen weg und er hatte keine andere Wahl, als sich mit eingezogenem Schwanz und ohne seinen Lohn davon zu stehlen.

Er würde sich davor hüten gewalttätig einem anständigen Menschen gegenüber zu werden, auch wenn es ihm häufig in den Klauen juckte, doch am Ende würde er dadurch nur verlieren. Man würde ihn jagen und ihm in der nächsten Ortschaft den Kopf abschlagen, ohne dass er auf einen fairen Prozess hoffen könnte. So war die Welt nun einmal. Niemand hatte etwas für Vran übrig; noch weniger für Winter-Vran, die man nicht selten sogar mit den Kreaturen der Nacht auf eine Stufe stellte. Bestie, Monster, Leichenfresser nannte man ihn dann. Sogar als Kinderfresser und Höllengeburt wurde er schon beschimpft. Einmal hetzte man ihm sogar einen Hexer auf den Hals. Hielt ihn für einen Basilisken, worüber der Hexer, der ihn eines Nachts erfolgreich aufgespürt hatte, nur lachte. “Ein Krieger-Vran. Welches Reservat hat dich denn ausgespuckt? Man sollte euch unter Naturschutz stellen, so selten wie ihr seid”, spottete er, bevor er das Silberschwert von Volis Kehle nahm und es zurück in die Scheide schob. “Eine hübsche Summe zahlt man mir für deinen Kopf. Denke nicht, dass der Dorfbüttel den Unterschied zwischen einem Basilisken und einem Vran erkennen würde. Halt dich in Zukunft von Weißlauf fern, Vran.” Er hatte Mitleid mit ihm. War er so bedauerlich? Eine aussterbende Art? Etwas, was die Leute nicht kannten und fürchteten und was nur eine falsche Anschuldigung davon entfernt war, für eine Hand voll Kronen gejagt und erlegt zu werden?

Seit nunmehr elf Jahren hatte er das Wunder vollbracht, alleine all dem zu entgehen und er würde es auch noch weiter schaffen. Er musste nur vorsichtig sein. Der Herbst kam, die Zeiten wurden schwerer und die Leute misstrauischer. Er musste sich dem anpassen. Ein Falke schrie in den Wipfeln der noch saftig grünen Laubbäume und riss Voli aus seinen Gedanken. Sein Weg führte ihn abseits der Straße weiter in den Süden. Er war Nowigrad bereits zu nahe gekommen und spielte mit seinem Glück. Er war es gewohnt, sich durch das Unterholz zu schlagen und sich eher auf Wildwechseln aufzuhalten, als auf den ungepflasterten Straßen, wo hinter jeder Biegung ein Mensch warten konnte. Voli scheute sich vor Zufallsbegegnungen, denn die gingen meist schlecht für ihn aus. Wenn er sich zeigte, dann unter kontrollierten Bedingungen. Seine Bedingungen.
Seine Sinne waren stets geschärft, während er, häufig auf allen vieren geduckt, sich durch die Wildnis stahl. Alle paar Minuten hielt er inne, richtete sich zur vollen Größe auf und kostete die Luft aufmerksam. Reckte den Kopf in die Höhe, richtete ihn zu jeder Himmelsrichtung aus und züngelte an jedem noch so seichten Luftzug, in der Hoffnung, er würde ihm verraten, was sich vor ihm befindet. Da war etwas. Volis Nüstern weiteten sich, als er scharf die Luft durch diese einsog. Züngeln, schnuppern, ein paar Schritte gehen, schnauben, um seine Nase zu neutralisieren, dann das gleiche Spiel nochmal. Da war Blut. Es war weit weg, aber intensiv. Viel Blut, geronnen und gepaart mit dem süßen Duft früher Verwesung. Es kam aus westlicher Richtung. Der Geruch von Blut war nichts Ungewöhnliches, aber die Intensität und die Menge dieser Fährte weckte Volis Neugierde. Dies roch wie ein Schlachtfeld.

Der Kopf des Vran wendete sich kurz in Richtung Süden, der Weg, den er eingeschlagen hatte. Er überlegte kurz. Er wollte vorsichtiger sein. Ein Schlachtfeld bedeutete Gefahr, aber ein Schlachtfeld konnte auch bedeuten, dass es Leichen zu fleddern gab oder zumindest Fleisch. Voli störte sich nicht daran, Menschenfleisch zu essen. Er machte keine Jagd auf Menschen, aber Fleisch war Fleisch und er sah keinen Fehler daran, dieses verkommen zu lassen oder es anderen Aasfressern zu überlassen. Im Gegenteil, fand er diesen Gedanken sogar irgendwo verwerflich. Ein Schlachtfeld konnte außerdem bedeuten, dass irgendwer Hilfe brauchte und Hilfesuchende erwiesen sich häufig als großzügige Einnahmequellen, die sich den Luxus der Wahl ihres Retters nicht leisten konnten. Zumindest hatte Voli bisher diese Erfahrung gemacht.

So schlich er sich weiter Richtung Westen, immer der Zunge nach. Die Fährte schwoll schnell an, bis sie schließlich die gesamte Luft schwängerte. Es war so viel Blut und Fleisch, dass es Voli rasch zu Kopf stieg und er einen seichten Rausch verspürte, wie nach einer erfolgreichen Jagd. Je näher er kam, desto deutlicher wurde auch das Bild, welches sein Geruchssinn ihm vermittelte. Hier sind Menschen zu Tode gekommen. Erst am gestrigen Tage und unter brutalen Umständen. Zu Blut und Verwesung gesellte sich Schweiß, Urin und andere Ausscheidungen und bald bestätigten auch Volis Augen das, was seine Nase schon längst wusste.
Er erreichte eine alte Ruine. Ein vergessener und verlassener Wachtturm mit einem hölzernen Anbau, dessen Dach fast vollständig eingestürzt war. Auch der Turm war bereits teilweise eingestürzt und von Efeu überwuchert, hielt sich jedoch wacker.

Voli wartete in einiger Entfernung verdeckt und starrte angestrengt in Richtung der Ruine. Das Grün seiner Schuppen verschmolz dabei mit dem Grün seiner Umgebung und machte ihn fast unsichtbar. Er lauschte angestrengt. Kostete die Luft. Suchte nach Anzeichen für Leben, doch dort war nichts und das war beunruhigend. Nach einem Tag sollte so ein Ort zumindest andere Aasfresser auf den Plan rufen, doch auch von ihnen fehlte jede Spur. Sogar das Summen von Fliegen fehlte. Alles war still, abgesehen vom sachten säuseln des Windes durch das Blätterdach der Bäume. Irgendwas lag in der Luft. Irgendwas Böses und Unheimliches, das spürte auch Voli und es ermahnte ihn, sich von diesem Ort fernzuhalten. Er wartete noch eine ganze Weile, ohne das sich etwas änderte und dann stand er schließlich auf, schnallte seinen Arachniden-Schild vom Rücken, löste seine Gabelschwanz-Keule vom Gürtel und pirschte sich näher an die Ruine heran. So etwas Ungewöhnliches hatte er bisher noch nicht erlebt und er wollte - aller Vernunft und Vorsicht zum Trotze - zumindest einen Blick ins Innere der Ruine geworfen haben, bevor er sich davon machte.

Die Ruine war nicht schwer zu betreten. Der Anbau des Turmes, durch den man auch in den Turm selbst gelangte, wurde nur noch von zwei Mauern gehalten und Voli bekam schnell einen Einblick in das Geschehen. Ein Einblick, bei dem sich sogar der Magen eines Winter-Wran zusammenzog. Es war ein Massaker; Eingeweide lagen über dem gesamten Boden verstreut und deren Besitzer, drei verstümmelte Leichen, waren nicht weit. Die Sinne geschärft, schlich Voli sich tiefer in den Turm, machte dabei an jeder Leiche kurz halt und betrachtete sie eindringlich, ohne sie jedoch zu berühren. Die Spur des Massakers führte in den Turm und in einem höheren Stockwerk fand sich eine vierte Leiche mit aufgerissener Kehle und anderen Verstümmelungen. Es waren Gesetzlose, die hier wohl ihr Lager hatten; darauf schließen ließ sich anhand der Schlafstätten und generellen, hygienischen Umstände, die irgendwie typisch waren für Menschen, die den Gesetzen ihrer Gesellschaft den Rücken gekehrt hatten und, als gehöre das irgendwie dazu, sich damit auch den Gesetzen der Reinlichkeit entzogen.

Das klärte das Rätsel um die Identität der Männer. Was hier passiert war, warum es passiert war und vor allem, was in der Lage war, so ein Blutbad anzurichten, blieb allerdings schleierhaft. Das war kein Handwerk von anderen Menschen. Die Verstümmelungen kamen eher von einer Bestie, welche nicht nur die Kräfte eines Bären besaß, sondern auch noch rasiermesserscharfe Klauen und kräftige Kiefer. Doch es fanden sich keine Spuren einer solchen Bestie und von den Leichen wurde allem Anschein nach auch nicht gefressen.

Es gab allerdings andere Spuren. Blutige Fußabdrücke, von nackten, zierlichen, humanoiden Füßen und ein Geruch, der nicht passte und der sich neben dem Blut und Unrat bitter auf seiner Zunge absetzte. Patchouli und… Vergissmeinnicht? Der Geruch war besonders stark neben dem vierten Banditen im Obergeschoss des Turmes. Parfum. Voli wusste, dass die besser gestellten Menschenfrauen hoch konzentrierte Duftstoffe benutzten, um sich den Männchen gegenüber attraktiver zu machen. Eine wohlgeborene Menschenfrau war also hier gewesen während des Massakers. Das erklärte auch die blutigen Spuren von zierlichen Füßen. Vielleicht eine Gefangene, die während des Angriffs flüchten konnte? Die Spur führte zumindest nach draußen.

Voli verließ die Turmruine, ohne sich an den Leichen vergriffen zu haben. Er scheute sich davor, sie anzufassen, so als würde das Böse, was sie so zugerichtet hatte, in irgendeiner Form auf ihn überspringen, wenn er es tat. Etwas von ihrem Fleisch zu fressen, kam dadurch natürlich auch nicht in Frage. Der Ort hatte seinen Appetit verdorben und außerdem war da immer noch das Rätsel um die Menschenfrau, die Überlebende.

Voli prüfte vor dem Turm die Luft. Jetzt wo er den Geruch des Parfums wahrgenommen hatte, bemerkte er ihn auch vor der Turmruine. Er nahm die Form eines dünnen Fadens an, der sich in Richtung Westen zog. Eine Hochwohlgeborene, die verängstigt und verwirrt auf der Flucht ist, schloss Voli. Wenn sie noch lebte und Voli sie fand, könnte ihre Rettung sich zu einem äußerst lukrativen Geschäft für ihn entwickeln. Die Chancen waren nicht sehr hoch, dass sie nicht schon jemand anderes gefunden hatte oder dass das, was dieses Massaker angerichtet hatte, nicht auch sie einholte und erwischte. Doch die einzige Fährte, die Voli wahrnahm, war die des Parfums der Frau, also hatte er vielleicht Glück. Glück war etwas, was er wirklich gut gebrauchen konnte.

Und so, entgegen jeder Vernunft, folgte er der Geruchsspur Richtung Westen.

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Thalna
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Registriert: Sonntag 23. Oktober 2022, 17:15
Lebenslauf:

Von: Osten
Nach: Verlassene Ruine abseits der Straße nahe der Stadt Nowigrad
Wann: 31. Juli 1278, Morgens
Betrifft: Thalna
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Der Tross schien nicht so recht in das Land zu passen. Fast wirkte es, als stammte er nicht von dieser Welt. Der Wagen, der an den eines Händlers erinnerte war noch das Unauffälligste an diesem Anblick. Die Pferde, die ihn zogen, waren schon deutlich weniger unauffällig. Beide waren gut gepflegt, von edler Haltung und ihr Fell schimmerte in einem goldigen Karamelton. Die Ritter, die zu beiden Seiten neben dem Wagen entlangritten waren noch eine deutliche Steigerung dessen mit ihren pompösen, teilweise vergoldeten Rüstungen. Sie beide trugen dazu noch zierende Stoffe in bunten Farben mit dem Wappen von Toussaint. Ebenso pompös wirkten die schneeweißen Schlachtrösser, auf denen sie saßen. Sie waren fast genauso gut gerüstet wie ihre Reiter und ebenfalls mit bunten Tüchern behängt.

Der jedoch auffälligste Anblick war die Sukkubus, die neben dem Kutscher saß und ihn mit aufmerksamen Blick aus ungewöhnlichen Augen anblickte, während er ihr von den Rheumaleiden seiner ganzen Familie berichtete und von seiner Arbeit bei der Restaurierung des Majorantempels und von dem Wein, den sein Vetter anbaute und vermutlich noch sehr vielen weiteren Dingen.
Sie war ein höchst exotischer Anblick mit ihren gewaltigen widderartig gewundenen Hörnern, die zwischen den langen schwarzen Locken hervorwuchsen, den großen okkerfarbenen Augen mit schwarzen Skleren und der dunklen Hautfarbe. Sie war mit allerlei Schmuck behängt, vermutlich machte dieser ein größeres Gesamtgewicht aus als ihre gesamte spärliche Bekleidung, die nur aus zwei länglichen purpurnen Tüchern bestand, von denen sie eines X-förmig um den Hals über die Brüste gebunden und am Rücken verknotet und das andere als Wickelrock um ihre Hüften gebunden hatte.
Ihr Gesicht war von beachtlicher Schönheit, ihre Wimpern lang, ihre Lippen voll, ihre Wangenknochen ausgeprägt. Der Oberkörper war sehr wohlproportioniert und weiblich, ebenso wie ihre Hüften, doch wie es darunter weiterging, war ein durchaus merkwürdiger Anblick. Ein glänzendes schwarzes Fell zog sich über die Hinterläufe des Sukkubus, die in kräftigen gespaltenen Hufen endeten. In ihrer Haltung und Anmut hätte sie einer Königin Konkurrenz gemacht doch schien sie sich dessen nicht bewusst zu sein. Sie gab dem Kutscher einen zärtlichen Kuss auf die Wange und er wurde erst Rosa wie eine Ignatiablüte, dann schaute er verträumt drein, als sei er noch nie glücklicher gewesen. Wagen und Pferde kamen zum Stehen. Sie waren an der Ruine eines verlassen Turms angekommen.

„Du hast Recht, der Wein deines Vetters ist ganz und gar vorzüglich, doch hat für mich die Zeit, die ich mit dir verbringe einen viel größeren Wert“, ihre Stimme war tief und rauchig und doch auch samtigweich und melodisch. Es lag etwas betörend laszives darin und zugleich eine tiefe Ruhe und Behaglichkeit. Der Kutscher schien im wahrsten Sinne des Wortes dahin zu schmelzen. Er erstrahlte in purer Glückseligkeit.
„Gebt mir einen Augenblick, damit ich mich umsehen kann“, sagte die Sukkubus etwas lauter an die Ritter gewandt und sprang geschmeidig vom Wagen, ihre Schwanzquaste zuckte leicht, als sie den Geruch der Umgebung durch die Nase zog. Ja, sie hatte sich nicht vertan. Es roch nach Verwesung, maximal zwei Tage alt… sie nährte sich dem Eingang, duckte sich und schaute hinein, betrachtete die Spuren des Massackers und seufzte tief. Sie wusste nicht, ob sie sich jemals an Anblicke wie diesen gewöhnen konnte. Zumindest war die Handschrift unverkennbar und zeigte ihr, dass sie auf der richtigen Spur war.
Sie drehte sich um und kehrte zurück zum Wagen. Ausgerissene Gliedmaßen auf Häuserdächern, auf Bäumen und Büschen drapierte Eingeweide und jetzt auch noch sowas… sie würde ein ernstes Wörtchen mit ihrer Tante reden müssen.
„Lasst uns weiterziehen. Wir sind auf dem richtigen Weg“, sagte sie und sprang zurück auf den Wagen, der sich sogleich wieder in Bewegung setzte. Sein Ziel war der Vorort jener Stadt, deren Silhuette bereits am Horizont erkennbar war: Nowigrad.

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